Die drei Herren kennen sich – und schätzen sich. Seit Jahrzehnten engagieren sie sich in der Landespolitik von Mecklenburg-Vorpommern, in unterschiedlichen Konstellationen waren sie mal Regierungspartner, mal politische Gegner. Die lauten Töne sind ihre Sache nicht. Außerhalb ihres Landes sind sie kaum bekannt, in der Bundespolitik spielen sie keine Rolle.
In Schwerin dagegen geht nichts ohne sie. Schon vor fünf Jahren, im Sommer 2011, traten sie als Spitzenkandidaten ihrer Parteien gegeneinander an, nun wiederholt sich der Dreikampf zwischen SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering, 66 Jahre alt und seit acht Jahren Chef einer ebenso geräuschlos wie konfliktfrei arbeitenden Großen Koalition, seinem Stellvertreter, Innenminister Lorenz Caffier von der CDU, mit 62 Jahren der Jüngste im Bunde, und dem 63-jährigen Oppositionsführer Helmut Holter von der Linkspartei.
Wenn alles normal verlaufen wäre, hätte sich Erwin Sellering nach der Landtagswahl am kommenden Sonntag aussuchen können, mit wem er koaliert – sowohl die CDU als auch die Linkspartei wären als potenzielle Juniorpartner zur Verfügung gestanden. Doch dieses Mal ist alles anders. Den trauten Dreikampf um die Macht im Schweriner Schloss hat ein Neuling auf der politischen Bühne durcheinandergewirbelt.
Mit der rechtspopulistischen AfD, die aus dem Stand auf 20 Prozent oder mehr kommen und möglicherweise sogar wie in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten politischen Kraft im Landtag werden könnte, ist den Altparteien ein Konkurrent entstanden, der alle Planungen über den Haufen wirft und am Ende sogar dafür sorgen könnte, dass weder die Große Koalition noch Rot-Rot eine Mehrheit haben. Ein kompliziertes und instabiles Dreierbündnis, entweder Rot-Rot-Grün oder eine zweite „Kenia“-Koalition aus SPD, CDU und den Grünen (wie in Sachsen-Anhalt), wäre die Folge. Dabei ist die AfD im strukturschwachen Flächenland an der Ostseeküste ein Phantom.
Im ganzen Land hat sie nach Schätzungen gerade einmal 500 Mitglieder. Ihr Spitzenkandidat, der 46-jährige Leif-Erik Holm, ein früherer Discjockey und Radiomoderator aus Schwerin und bis vor kurzem Mitarbeiter der Europaabgeordneten Beatrix von Storm, gehört zum eher moderaten Flügel der Partei, doch im Wahlkampf keilt er kräftig gegen die Asylpolitik sowie die „inländerfeindliche Politik“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wenn Frau Merkel nicht mehr in der Lage ist, die Grenze zu schützen, dann soll sie zurücktreten und uns das überlassen“, sagt Holm über die Kanzlerin, deren Wahlkreis, die Hansestadt Stralsund und die Ostseeinsel Rügen, im Lande liegt.
„Asylchaos beenden“, steht auf den hellblauen AfD-Plakaten. Dabei leben kaum Ausländer im dünn besiedelten Nordosten, ihr Anteil liegt bei 3,7 Prozent, im vergangenen Jahr kamen rund 23 000 Asylbewerber, nur im Saarland und Bremen waren es weniger, in diesem Jahr bislang knapp 4000. Und von den 3300 Erstaufnahmeplätzen sind gerade einmal 582 belegt. Doch das Flüchtlingsthema überlagert alle anderen Themen. SPD und CDU haben Mühe, den Parolen der AfD etwas entgegenzusetzen. Sowohl SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering wie auch sein CDU-Herausforderer Lorenz Caffier versuchen zu punkten, indem sie offen auf Distanz zu ihren Bundesparteien und der Politik der Bundesregierung gehen.
So kritisiert Sellering die „Planlosigkeit“ der Kanzlerin, die im vergangenen Jahr den Eindruck erweckt habe, „wir müssten unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“. Caffier wiederum fordert eine deutliche Verschärfung der Sicherheitsgesetze sowie ein Burkaverbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, auch wenn er sich damit im Kreise seiner Innenministerkollegen von CDU und CSU nicht durchsetzen konnte. In den Hintergrund rücken dagegen die unbestreitbaren Erfolge der Großen Koalition.
So gelang es SPD und CDU in den letzten zehn Jahren, die Arbeitslosigkeit mehr als zu halbieren und unter die Zehn-Prozent-Marke zu drücken. Seit 2006 gibt es einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs stieg im letzten Jahr um 1,1 Prozent auf 553 000, im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der offenen Stellen sogar um 6,6 Prozent auf 24 500 zu, im Gegenzug sind 6200 Ausländer arbeitslos gemeldet.
Der Tourismus entlang der gesamten Ostseeküste sowie auf dem Darß, auf Rügen, Hiddensee und Usedom sowie in den Hansestädten Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald boomt, auch die mecklenburgischen Seenplatte lockt die Urlauber an. Mit 29,5 Millionen Übernachtungen wurde 2015 ein neuer Rekordwert erreicht.
Doch nicht alle Bürger profitieren gleichermaßen von der wirtschaftlichen Gesundung, vor allem in Vorpommern an der Grenze zu Polen sowie im Hinterland der Küste von Parchim über Pasewalk bis Anklam fühlen sich viele Menschen abgehängt und benachteiligt. Vor allem dort, wo bislang die Linke und die NPD, die seit 2006 im Landtag sitzt, stark waren, hat nun die AfD ihre Hochburgen. Mit der paradoxen Folge, dass beide Parteien Wähler an die Neulinge verlieren. AfD-Chef Leif-Erik Holm hat damit keine Probleme – und träumt schon von Größerem: Er will die AfD zur stärksten politischen Kraft im Heimatland der Kanzlerin machen.
Mecklenburg-Vorpommern
Mit einer Fläche von 23 121 Quadratkilometern ist es das achtgrößte deutsche Bundesland, liegt aber mit nur knapp 1,6 Millionen Einwohnern auf Platz 14. Nur das Saarland und Bremen sind kleiner. Mit 69 Einwohnern pro Quadratkilometer hat es die mit Abstand geringste Bevölkerungsdichte aller 16 Länder. Einzige Großstadt ist Rostock mit rund 206 000 Einwohnern, die Landeshauptstadt Schwerin folgt mit 96 000 Einwohnern auf Platz zwei.
Mecklenburg-Vorpommern hat eine Küstenlänge von etwa 2000 Kilometern und damit die längste Küste aller Bundesländer. Rügen und Usedom sind die beiden größten Inseln Deutschlands, die Müritz ist der größte vollständig auf deutschem Territorium liegende See der Bundesrepublik. Im Land liegen drei der 14 deutschen Nationalparks: der Nationalpark Jasmund auf Rügen, der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sowie der Müritz-Nationalpark. Erster Ministerpräsident nach der Wiedergründung des Landes war der CDU-Politiker Alfred Gomolka, der von 1990 bis 1992 eine CDU-FDP-Koalition leitete. Ihm folgte Berndt Seite (ebenfalls CDU), der bis 1994 mit der FDP und von 1994 bis 1998 mit der SPD regierte.
1998 bildete der Sozialdemokrat Harald Ringstorff ein rot-rotes Bündnis mit der PDS, das bis 2006 Bestand hatte und danach von einer Großen Koalition abgelöst wurde. 2008 trat Ringstorff aus Altersgründen zurück, sein Nachfolger Erwin Sellering (SPD) setzte die Koalition mit der CDU fort.
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