Als der junge Wachmann Frank Wills am 17. Juni 1972 seine Runde durch den neuen Luxuskomplex in der US-Hauptstadt Washington beginnt, weiß er noch nicht, dass diese Nacht die USA verändern wird. Nach Mitternacht entfernt der 24-Jährige an Türschlössern im sechsten Stock Klebeband: Die Türen gehen zwar zu, aber sie sperren nicht. Eine Stunde später sind die Schlösser erneut überklebt. Wills ruft die Polizei und bringt den größten politischen Skandal der US-Geschichte ins Rollen.
Im sechsten Stock des Watergate-Komplexes liegt 1972 die Wahlkampfzentrale der Demokraten. Um 2.30 Uhr nehmen Beamte dort fünf Einbrecher bei dem Versuch fest, Abhöranlagen zu installieren. Die Eindringlinge tragen Anzüge und Handschuhe, sie haben mehrere tausend Dollar dabei. Einer von ihnen ist ein ehemaliger Geheimdienstangehöriger, ein anderer arbeitet für die regierenden Republikaner.
Im Lauf der Ermittlungen kommen weitere Merkwürdigkeiten zutage: Einer der Kriminellen hat einen Scheck über 25 000 Dollar erhalten - von einem Komitee für die Wiederwahl von Präsident Richard Nixon. Die „Washington Post“ berichtet, dass der Vorsitzende dieses Komitees, John Mitchell, als Generalstaatsanwalt unter Nixon einen Fonds verwaltete, aus dem Spionage gegen die Demokraten finanziert wurde. Das Weiße Haus bestreitet jede Verwicklung. Bei der Präsidentschaftswahl im November fährt Nixon gegen George McGovern einen Erdrutschsieg ein.
Aber Ermittler und Medien lassen nicht locker. Besonderes Glück haben Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei junge Reporter der „Washington Post“: Sie werden mit hochkarätigen Tipps versorgt. Bei nächtlichen Treffen in einer Washingtoner Tiefgarage warnt der Informant, das Weiße Haus sei hochnervös. Er prägt auch den berühmten Satz „Folgt dem Geld“. Die beiden Journalisten taufen ihre Quelle „Deep Throat“. Erst 2005 wird herauskommen, dass es sich um den Vize der Bundespolizei FBI handelt, William Mark Felt.
Der Geheimdienst CIA stört das FBI, wo er kann. Unterlagen verschwinden, nationale Geheimnisse werden erfunden. Es nützt wenig: Nixon muss immer mehr Mitarbeiter entlassen, der Senat beruft einen Untersuchungsausschuss ein – wie hoch reicht die Intrige?
Den Durchbruch bringt die Entdeckung, dass Nixon seit 1971 im Weißen Haus Gespräche und Telefonate mitschneidet. Der Präsident zwingt den Generalstaatsanwalt, seinen Vize und einen Sonderermittler aus ihren Jobs, aber am Ende entscheidet der Supreme Court: Die Aufnahmen müssen herausgegeben werden. Wenige Tage nach der Veröffentlichung tritt Nixon zurück.
Die Bänder belegen nicht nur, dass er früher um die Affäre wusste als behauptet. Auf ihnen ist auch zu hören, wie der Präsident Schweigegeldzahlungen veranlasst und die CIA gegen das FBI in Stellung bringt. Noch schlimmer: Das Ganze war kein Einzelfall. Nixon hegte Vorurteile gegen Intellektuelle, Medien, Juden und Linke, er witterte überall Verschwörung. Schon in der Auseinandersetzung mit Vietnam-Kriegsgegnern hatte er Einbruchspläne in einen Think Tank abgesegnet.
Das Weiße Haus ließ eine Psychologenpraxis nach kompromittierendem Material durchsuchen und Journalisten abhören. Diskutiert wurden der Einsatz von Schlägertrupps, von falschen Sicherheitskräften und von Prostituierten. „Watergate“ wiederum, das zeigte sich später, war die Spitze eines Komplotts, der Nixon die Wiederwahl sichern sollte. Das Paranoide daran: Sie war nie gefährdet.
Für Nixon-Anhänger war der Grundton, der sich durch die Tonbänder zog, womöglich noch schlimmer als die justiziablen Äußerungen: Sie zeigten einen ordinären, verschlagenen und eitlen Präsidenten, der keinerlei Achtung für Bürger, Gesetze und Institutionen der USA zu haben schien. Tatsächlich war der Eindruck so verheerend, dass nicht die Opposition, sondern die eigene Partei Nixon mitteilte, dass er ihren Rückhalt verloren habe. Am 8. August 1974 kam er einer Amtsenthebung zuvor und kündigte seinen Rücktritt an – als erster und bisher einziger Präsident der US-Geschichte.
Watergate wurde zum Synonym für den politischen Skandal schlechthin. Nach dem verlorenen Vietnamkrieg fügte er dem amerikanischen Selbstvertrauen innerhalb weniger Jahre den zweiten schweren Schlag zu. Die Affäre führte von der Wahlkampffinanzierung bis zur Auskunftspflicht der Regierung zu zahlreichen Reformen, die mehr Transparenz bewirken sollen. Die Einsicht in die Anfälligkeit der Institutionen rückte allerdings auch den Wert einer freien Presse ins Bewusstsein. In den Jahren nach dem Skandal kam es zu einem ungekannten Ansturm auf Ausbildungsplätze für Journalisten.
Mehr als 40 Menschen wurden im Lauf der Untersuchungen verurteilt, nur einer nicht: Nixon selbst wurde von seinem Nachfolger, dem bisherigen Vizepräsidenten Gerald Ford, begnadigt. Am Tag, als er das Weiße Haus verließ, dem 9. August 1974, sagte er einen Satz, der nach Einsicht klang: „Es mag Menschen geben, die einen hassen, aber diese Menschen gewinnen nicht, wenn man sie nicht ebenfalls hasst. Dann zerstört man sich selbst.“ Bis zu seinem Tod im Jahr 1994 beharrte Nixon trotzdem auf seiner Unschuld.
Wachmann Frank Wills, dessen Aufmerksamkeit die Affäre ins Rollen gebracht hatte, gelangte immerhin zu kurzfristigem Ruhm. Als die Geschichte 1976 mit Robert Redford und Dustin Hoffman verfilmt wurde, spielte er sich selbst („Die Unbestechlichen“). Das war allerdings alles, was er davon hatte: Aus Enttäuschung darüber, dass ihm seine Verdienste nicht mit einer Gehaltserhöhung entlohnt wurden, quittierte er seinen Job. Er kam nie wieder auf die Füße und starb 2000 verarmt an einem Gehirntumor.