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BERLIN
Wie der Tod von Benno Ohnesorg das Land veränderte
Benno Ohnesorg       -  Friederike Dollinger beugt sich über den Studenten Benno Ohnesorg.
Foto: Henschel/akg-images / dpa | Friederike Dollinger beugt sich über den Studenten Benno Ohnesorg.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 10.06.2017 03:34 Uhr

Er war, so bitter es klingt, einfach nur im falschen Augenblick am falschen Ort. Benno Ohnesorg, 26-jähriger Student der Romanistik und Germanistik an der Freien Universität (FU) Berlin, hatte am Abend des 2. Juni 1967 mit seiner schwangeren Frau und Freunden vor der Deutschen Oper in der Berliner Bismarckstraße gegen den Schah von Persien, Mohammed Reza Pahlewi, und dessen Frau Farah Diba demonstriert.

Dann sah er, wie mehrere Polizisten in Zivil einen Studenten in einen Hinterhof zerrten. Unauffällig folgte er ihnen in den Hof, wo etwa zehn Beamte auf ebenso viele Studenten einprügelten. Und auf einmal saß er in der Falle. Ein Weiterkommen war nicht mehr möglich.

Was dann geschah, wurde nie vollständig aufgeklärt und sorgt auch 50 Jahre nach den dramatischen Ereignissen für Spekulationen. Nach Angaben von Zeugen trieb die Polizei alle Studenten aus dem Hinterhof, mit einem Schlag stand der völlig unbeteiligte Ohnesorg alleine den Polizisten gegenüber. Der Student versuchte zu fliehen, wurde aber festgehalten. Eine Frau gab an, dass drei Polizisten auf ihn einschlugen. Als Zeichen seiner Aufgabe hob er die Hände, ein Zeuge hörte den Ruf „Bitte, bitte, nicht schießen!“ Da fiel um 20.30 Uhr ein Schuss, abgegeben von dem als Waffennarr bekannten Polizisten Karl-Heinz Kurras.

Ohnesorg, der aus etwa eineinhalb Metern am Hinterkopf getroffen wurde, fiel stark blutend auf den Boden. Unmittelbar darauf trafen Fotografen und Studenten, die den Schuss gehört hatten, am Tatort ein. Ein Foto, das um die Welt ging, zeigt die entsetzte Studentin Friederike Dollinger, die den Kopf des schwerverletzen Ohnesorg mit ihren Händen hält. Erst gegen 20.50 Uhr kam ein Krankenwagen. Auf dem Weg ins Krankenhaus starb Ohnesorg.

Doch laut Krankenhausakte trat der Tod erst um 22.55 Uhr ein, zudem wurde als offizielle Todesursache „Schädelbasisbruch“ angegeben. Bei der Obduktion am nächsten Tag wurde festgestellt, dass ein Knochenstück der Schädeldecke mit dem Einschussloch herausgesägt und beseitigt worden war.

Kurras selber rechtfertigte sich, der Schuss „ist mir losgegangen“. Später machte er geltend, er habe in Notwehr gehandelt. Der Schuss habe sich im Handgemenge gelöst und Ohnesorg versehentlich getroffen. Obwohl Zeugen diese Version nicht bestätigten, wurde Kurras zwei Mal freigesprochen. 2009 stellte sich heraus, dass er Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit war. 2014 starb er, ohne sich noch einmal zu den Umständen seiner Tat zu äußern.

Zäsur in der Nachkriegsgeschichte

Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg vor 50 Jahren war mehr als ein lokales Ereignis, er stellte vielmehr eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte dar. Die Schüsse des Polizisten auf den jungen Studenten, der sich bislang weder auffällig politisch betätigt hatte noch zu den Anführern der Studentenproteste gehörte, trug maßgeblich zur Radikalisierung der Studentenbewegung und somit in seiner langfristigen Folge auch zum Entstehen der Terrororganisation „Rote Armee Fraktion“ (RAF) zu Beginn der 70er Jahre bei.

„Der 2. Juni 1967 wurde zum historischen Datum, zum Wendepunkt im Denken und Fühlen vieler, nicht nur der Studenten“, schrieb der spätere „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust 1985 in seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Von Berlin aus breitete sich der Funke explosionsartig auf die gesamte Bundesrepublik aus, überall revoltierten die Studenten gegen das erstarrte politische und gesellschaftliche System sowie gegen ehemalige NS-Mitglieder, die in der Bundesrepublik ungebrochen ihre Karriere fortgesetzt hatten, später auch gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition. Selbst bis dahin völlig unpolitische junge Menschen politisierten sich und verstanden sich als Teil der außerparlamentarischen Opposition.

Unmittelbaren Bezug auf den Tod Ohnesorgs nahm dabei die im Januar 1972 in West-Berlin gegründete linksextremistische terroristische Vereinigung „Bewegung 2. Juni“, die eine Reihe von Bombenattentaten und Banküberfällen verübte, den Präsidenten des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann, 1974 bei einem fehlgeschlagenen Entführungsversuch erschoss und 1975 den damaligen Berliner CDU-Spitzenkandidaten, Peter Lorenz, entführte und im Gegenzug für sein Leben die Freilassung mehrerer Gesinnungsgenossen erpresste.

Diese Entwicklung schien undenkbar, als Benno Ohnesorg und andere Studenten am 2. Juni 1967 auf die Straßen gingen, um gegen den Schah von Persien zu demonstrieren, dem sie schwere Menschenrechtsverletzungen, Folter und die Etablierung eines Terrorregimes vorwerfen.

Vor der Deutschen Oper, wo der Herrscher Mozarts „Zauberflöte“ besuchte, flogen Steine, Eier, Rauchbomben und Farbbeutel. Kaum hatten der Schah, seine Frau und Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) die Oper betreten, ging die Berliner Polizei mit äußerster Brutalität gegen die Protestierenden vor. „Es setzte ein die brutalste Knüppelei, die man bis dahin im Nachkriegs-Berlin erlebt hatte“, schrieb Aust im Rückblick.

Noch in der Nacht schob Bürgermeister Albertz, ohne von den Umständen des Todes Ohnesorgs zu wissen, die alleinige Schuld für die Eskalation den Studenten zu: „Die Geduld der Stadt ist am Ende. (…) Die Polizei, durch Rowdies provoziert, war gezwungen, scharf vorzugehen.“ In die gleiche Kerbe schlugen auch die Zeitungen des „Springer“-Verlags, die über die Studenten herfielen: „Ihnen genügte der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen“, schrieb die „Bild“-Zeitung. Und im Boulevardblatt „B.Z.“ hieß es: „Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen.“

Studenten wurden kriminalisiert

Die Studenten waren entsetzt, derart kriminalisiert zu werden. An der FU Berlin brodelte es, man sah in der Polizei und im Staat einen Gegner, mit dem ein Dialog nicht mehr möglich war. Eine Studentin brachte es auf den Punkt: „Mit denen kann man nicht diskutieren, sie werden uns alle umbringen. Das ist die Generation von Auschwitz!“ Ihr Name: Gudrun Ensslin. Sie wurde später Mitbegründerin der RAF.

Heinrich Albertz hingegen erkannte rasch, dass sein bedingungsloser Rückhalt für die Polizei ein Fehler war, da dies einen Flächenbrand ausgelöst hatte. „Ich war am schwächsten, als ich am härtesten war, in jener Nacht des 2. Juni, weil ich dort objektiv das Falsche tat“, sagte er vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Und in seinen Erinnerungen schrieb er über jene Nacht, die eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte darstellen sollte: „Ich war todmüde, angeekelt von allem, was geschehen war. Aber ich werde die Schuld für dieses persönliche Versagen tragen müssen, bis ich vor meinem ewigen Richter stehe.“

 
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