
Wenn Sanda C. aus dem Krieg kommt, warten daheim in Augsburg schon die Staatsanwälte, sie ermitteln wegen Geldwäsche. Sanda ist vermutlich in Syrien, sie hat eingeheiratet in den Terror, und wer sich auskennt, sagt: Dort wird sie herumgereicht. Die erste Ehe mit einem Mudschahedin, einem „Gotteskrieger“, habe nicht lange gehalten, kurz nach der Hochzeit im Oktober 2013 hat er sie verstoßen. Ihr nächster war von niederem Rang.
Mindestens 140 Mädchen und Frauen aus Deutschland sind nach Syrien aufgebrochen, Tendenz steigend. Zurück bleiben entsetzte Eltern, die nicht verstehen, warum ihre Töchter den islamischen Gesichtsschleier Niqab auf einmal „sooo Ninja“ finden und sich als selbst ernannte „Perlen des Islams“ vermeintlichen Traumprinzen mit Kalaschnikow und Terrormitgliedschaft an den Hals werfen. Auch als Zweitfrau im Kriegsgebiet. Sanda C., 36, aus Augsburg, ihre 19 Jahre jüngere Freundin Fatma B., die 16-jährige Elif Ö. aus München, Andrea B., 30, aus dem Oberallgäu: Wir sind den Spuren des erstarkenden weiblichen Dschihads gefolgt, der Jugendämter, Familien, Ermittler und Gerichte in den nächsten Jahren vor Probleme stellen dürfte.
Der Auszug der deutschen Terror-Fräuleins beginnt schleichend. Nach dem Rollenverständnis der ultraorthodoxen Islamisten dürfen Frauen eigentlich nicht alleine reisen, nicht einmal direkt mit einem Mann sprechen. Sie brauchen einen „Wali“, einen Vormund, der für sie spricht. Oder eine weibliche Mittlerin, die ihre Festigkeit testet, ihre Tauglichkeit als Braut – und die hilft, zum Bräutigam zu gelangen. In mindestens zwei Fällen aus Bayern soll es eine Mittlerin gegeben haben, einer davon ist der Fall Elif.
Recherche mit falscher Identität
Die Geschichte von Elif Ö. beginnt angeblich am 6. Mai 2012, Elif ist gerade 13 Jahre alt. Nichts deutet darauf hin, dass sie dieses Jahr im Februar nach Syrien reisen wird. Andernorts allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass sich Deutschlands Jugend radikalisiert. In Bonn kommt es am 6. Mai vor drei Jahren zu schweren Ausschreitungen. Salafisten und Anhänger der rechtsextremen Partei „Pro NRW“ prallen bei einer Demon-stration aufeinander, Polizisten werden verletzt. Im Getümmel mittendrin: Munir Ibrahim aus Pforzheim. Die Staatsanwaltschaft wird nach den Krawallen ein Verfahren eröffnen, dennoch flieht er nach Syrien.
Was lockt Elif? Wie verdreht der Terror Mädchen aus Deutschland den Kopf? Binnen weniger Monate hat sie sich verändert. Im März 2014, da ist sie noch ganz normal, recherchieren wir zur Brautschau der Gotteskrieger. Wir haben uns eine falsche Identität im Internet zugelegt, schlüpfen in die Rolle einer jungen Muslima: Daumen hoch für radikal-islamistische Gruppen im Internet, für islamische Frauenkleidung, für Sinnsprüche. Die Propaganda aus dem Kriegsgebiet richtet sich auch an Frauen, es gibt Fatwas zum Download, Rechtsgutachten, die dazu verpflichten, selbst gegen den Willen der Eltern in den Krieg zu ziehen. Wir kommentieren „mashallah“, Gott sei Dank, lassen auch andere pseudo-religiöse Floskeln der deutschen Islamistenszene einfließen.
Ein paar Syrienkämpfer schicken Freundschaftsanfragen, und wir bekommen Kontakt zu einem jungen Mann aus dem engsten Umfeld des toten Kemptener IS-Kämpfers David G. Ein Foto zeigt ihn bei einer Demonstration in Berlin. Er will in den Krieg, sagt er, und: Er will zuvor noch heiraten. Später soll er es tatsächlich nach Syrien geschafft haben. Der 25-Jährige sucht ganz offen nach einer Frau. Er will ein Foto, gleichzeitig zeigt ihn ein Online-Video, in dem er sagt: Frauen drohe die Hölle, sollten sie auch Parfüm auflegen.
Islamisten auf Online-Brautschau
Er will wissen, ob wir schon „verhüllt“ sind, Niqab tragen. Wir brechen den Kontakt ab – finden aber heraus: In sozialen Netzwerken ist nicht nur der Berliner auf Brautschau. Andere Gotteskrieger in spe kommen deutlich schneller zur Sache. Denn heiraten wollen viele Islamisten.
Bereiten bloße Teenager-Flirts den Boden für blauäugige Dschihadreisen? Zumindest im Fall Elif aus Neuried deutet einiges darauf hin. Sie soll Zettel geschrieben haben, in denen sie für die Versprechen der Dschihad-Ehefrau von Munir Ibrahim schwärmt. Einen jungen Mann aus Dresden soll Elif Ö. angehimmelt haben. Ist er derjenige, den sie mittlerweile in Syrien geheiratet hat? Offiziell schweigen die Behörden, der Ermittlungen wegen. Ihre Werberin dagegen soll Witwe sein, Munir Ibrahim gilt als tot. Elifs Vater hat unterdessen erfolglos im türkisch-syrischen Grenzgebiet nach seiner Tochter gesucht.
Fatmas Vater hat seine Tochter aus Syrien herausgeholt – vorübergehend. Fatma B. aus Augsburg brennt 2013 zum ersten Mal durch, 16 ist sie da. Sie will Samir heiraten, einen jungen Kämpfer. In Augsburg gibt es damals einen Frauenzirkel, alle sympathisieren mit radikalem Gedankengut, besuchen einschlägige Moscheen, sind in sozialen Netzwerken aktiv. Fatma schafft es (wie ihre Bekannte Sanda) ins Krisengebiet, dort wohnt sie mit anderen Kriegerbräuten in einer Villa in Latakia.
Ihr Vater und ihre Schwester Amine reisen hinterher. Vermittelt hat eine Frau, die den früheren bayerischen Syrienkämpfer Harun P. heiraten will, mit ihm in Kontakt steht, während er sich in Syrien auf den Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo vorbereitet haben soll. Ein Beispiel, das zeigt: Die Islamistenszene ist gut vernetzt, ihr Hochzeitsmarkt floriert über Ländergrenzen hinweg.
Mit den Kindern nach Syrien und zurück
Syrienrückkehrer Harun P. steht in München vor Gericht, im Juli soll ein Urteil fallen. Seine Bekannte Fatma aus Augsburg ist hingegen wieder in Syrien. Nach der Rückkehr 2014 ist sie vor einigen Monaten erneut durchgebrannt, wiederum zu Samir. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen Terrormitgliedschaft. Sprecherin Judith Henkel sagt: Immer mehr Mädchen und Frauen reisen aus. Erfahrene Ermittler gehen in der Einschätzung noch weiter: Der Dschihad sei Familiensache.
Aus mehreren Bundesländern sind Islamisten mit Kindern fortgegangen. Manche kommen wieder, so wie Andrea B. aus Immenstadt. Sie war 2014 mit ihren damals drei und sieben Jahre alten Töchtern nach Syrien gezogen, der Vater der Kinder schaltete die Behörden ein. Das Jugendamt Oberallgäu hat den Fall begleitet. „Inzwischen sind die Kinder selbstständig in Behandlung und wir aus dem Fall raus“, sagt Landratsamtssprecher Andreas Kaenders. „Die Leidtragenden sind in solchen Fällen die Kinder.“ Erfahrungen mit Islamismus gibt es in der Oberallgäuer Behörde darüber hinaus nicht, ebenso wenig wie beim Gros der deutschen Familienrichter.
Wann gefährden Islamisten ihre Kinder, wann muss man sie ihnen wegnehmen? Auch in anderen Fällen – etwa bei Süchtigen – eine Gratwanderung. Und für Pädagogen die allerletzte Lösung. Andrea B. hat das Sorgerecht für ihre Töchter verloren. Das Landgericht München hat sie wegen Kindesentzugs verurteilt, über die Revision entscheidet Karlsruhe.
Wächst in Deutschland eine Generation bedrohter Kinder aus radikalisierten Elternhäusern heran? Sieht man sich die Zahlen aus allen Bundesländern an, sieht es danach aus: Mindestens 36 Minderjährige sind nach Syrien ausgereist – entweder, weil die Eltern sie mitgenommen haben, oder, weil Kämpfer und Bräute des Terrors selbst noch blutjung waren.