Zuletzt sind die Börsen eingebrochen. Ulrich Kater, Jahrgang 1964, ist Chefvolkswirt der Deka-Bank. Das Institut ist das Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen. Kater sagt, weshalb er die Märkte bald wieder im Aufwind sieht und wie es mit den Zinsen weitergeht.
Frage: Herr Kater, hat die Konjunktur die besten Zeiten hinter sich? Firmen wie Bayer wollen tausende Stellen streichen.
Ulrich Kater: Die besten Konjunkturzeiten liegen hinter uns. Das heißt aber nicht, dass schlechte Zeiten kommen. Anfang dieses Jahres gab es geradezu eine Euphorie in der Weltwirtschaft und insbesondere in den USA, wo gerade die Steuerreform in Kraft trat. Im Laufe des Jahres hat sich gezeigt, dass die Erwartungen nicht ganz zu rechtfertigen waren.
Droht die Rezession oder ist es für Panik zu früh?
Kater: Die Wirtschaft hat auch 2019 noch genug Schwung. Die Gedanken richten sich dann Richtung 2020, wo sich das Wachstum nochmals abschwächen wird. Dann kann auch in den USA einmal ein Quartal dabei sein, in dem die Wirtschaft schrumpft. Für ausreichend verlässliche Aussagen ist das aber noch zu weit weg.
Würde eine Abkühlung der Weltwirtschaft auch die deutsche Wirtschaft treffen?
Kater: Deutschland war dieses Jahr nicht mehr auf das Wachstum der Weltwirtschaft angewiesen. Längst helfen uns Kräfte, die den außenwirtschaftlichen Gegenwind kompensieren: Seit der Finanzkrise sind in der EU sieben Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden, davon mehr als die Hälfte in Deutschland. Und hier haben wir die stärksten Reallohnsteigerungen seit Jahrzehnten. Bei einem Lohnplus von drei Prozent bleiben real immer noch ein bis zwei Prozent übrig, wenn man die Inflation berücksichtigt. Das alles unterstützt die Kaufkraft und damit den Konsum.
Aber fressen derzeit die steigenden Preise für Benzin und Heizöl die höheren Einkommen nicht auf?
Kater: In den vergangenen Jahren war der Ölpreis extrem niedrig. Im Laufe des Jahres 2018 gab es stark steigende Energiepreise. Das haben wir beim Tanken erlebt. Wenn das so weitergehen würde, wären die schönen Effekte der Lohnerhöhungen auf die Konjunktur weg. In den letzten sechs Wochen sind die Rohölpreise aber so stark gefallen, wie wir es noch nie erlebt haben, sodass die Opec jetzt die Fördermengen senken will.
Anleger hat in den vergangenen Jahren ein Thema beschäftigt: der Nullzins. Bald will die Europäische Zentralbank die Anleihekäufe beenden und weniger Geld in den Markt pumpen: Ist das ein erstes Signal für steigende Zinsen?
Kater: Es wird noch dauern, bis der Zins zurückkommt – wenn überhaupt. In Amerika hat die Zinswende von der ersten Ankündigung bis heute, wo wir in den USA bei zwei Prozent Zins liegen, fünf Jahre gedauert. Die EZB hat ihre Zinswende im Frühjahr dieses Jahres angedeutet. Deshalb können wir uns den ersten Zinsschritt in Europa erst in zwei Jahren vorstellen – und das wären 0,25 Prozent.
Der Dax ist vergangene Woche regelrecht eingebrochen. Ist die beste Zeit auch an der Börse vorbei?
Kater: Ganz klar nein. Aktienmärkte können nicht jedes Jahr steigen. Die Börse hat in diesem Jahr verarbeiten müssen, dass die Konjunkturerwartungen nicht mehr ganz so gut ausfallen und die Zentralbanken ihre Zügel anziehen. Der Dax ist seit Jahresbeginn um mehr als 15 Prozent gefallen. Nach einer sehr, sehr guten Entwicklung in den Vorjahren ist dies eine Konsolidierung, so etwas ist normal an den Aktienmärkten.
Wie geht es 2019 an der Börse weiter?
Kater: Es kann im nächsten Jahr weiter holprig werden – angesichts der Frage, wie es mit der Konjunktur weitergeht oder wie sich die Notenbanken verhalten. Das kann die Börse belasten. Der Dax kann vielleicht sogar in die Region von 10 000 Punkten fallen. Fallende Kurse sind aber ganz klar Chancen für einen langfristigen Anleger, der auf Jahre spart.
Das klingt nach einem unruhigen Jahr an der Börse.
Kater: Für die Aktienmärkte gibt es sicher nächstes Jahr immer wieder Momente der Verunsicherung. Im Frühjahr 2019 könnten Diskussionen aufkommen, wie es mit der Konjunktur weitergeht oder wie sich Italiens Schuldenkrise entwickelt. Auch die US-Handelspolitik kann auf den Aktienmärkten lasten. Eine Schwächephase im ersten Halbjahr ist aber eine gute Basis für den Aufbau von Aktienpositionen. Denn wir rechnen mit einer stabilen Konjunktur. Ende 2019 sehen wir den Dax wieder bei rund 12 000 Punkten.
Mut braucht man schon für solche Prognosen. Man weiß ja nie, was dazwischenkommt.
Kater: Das stimmt. Manchmal sehen Prognosen ganz alt aus, weil die Geschehnisse die Kurse woanders hintreiben können. Schaut man sich aber lange Zeiträume an, sind viele Prognosen dann doch zutreffend. Dazu gehört zum Beispiel die Aussage, dass wir im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre an den Aktienmärkten eine Rendite von fünf bis sieben Prozent pro Jahr erwarten. Der Dax hat heuer Geburtstag gefeiert. Er kam in den letzten 30 Jahren auf eine jährliche Durchschnittsrendite von knapp neun Prozent – obwohl nicht jede Jahresprognose stimmte. Marktprognosen sollte man also nicht auf den Tag genau eingelöst haben wollen. Besser ist es, sie mittelfristig zu betrachten.
Viele Anleger haben über Aktiensparpläne den Weg zurück an die Börse gefunden. Jetzt bricht der Dax ein, hat man sie auf die falsche Fährte gelockt?
Kater: Profis denken umgekehrt. Für sie ist eine Phase sinkender Kurse eine gute Gelegenheit, die durchschnittlichen Kaufkurse zu verbilligen. Das ist gerade bei einem Sparplan möglich. Der Sparplan hat den Vorteil, dass in Schwächephasen automatisch ein Aufbau betrieben wird.