Halb zog man sie, halb sanken sie hin. Obwohl in der Union längst nicht jeder Abgeordnete mit dem Rentenkompromiss der Koalition einverstanden ist, blasen die Wortführer des Widerstands schon zum Rückzug. Die Rente mit 63, sagt der CDU-Mann Jens Spahn am Tag danach, liege ihm zwar noch immer schwer im Magen. In der Politik aber müsse man eben auch Kompromisse machen.
Seinem Parteifreund Christian von Stetten geht es ähnlich. Er will den Gesetzentwurf erst noch genau studieren, ehe er sich entscheidet, ob er ihm tatsächlich zustimmt. Aber auch der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand räumt ein: Die vereinbarten Korrekturen bei der Rente mit 63, die eine Welle von Frühverrentungen verhindern sollen, seien „ein Schritt in die richtige Richtung“.
Eine große Mehrheit ist dem Rentenpaket damit bei der Abstimmung im Bundestag am Freitag sicher – mag die Wirtschaft noch so sehr toben. Die geplante Reform, warnt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sei „ein schwerwiegender und teurer Fehler“, der zu deutlich mehr Frühverrentungen führen werde. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammertages, wird noch deutlicher: „Hier wird mit vollen Händen das Geld ausgegeben, das Wirtschaft und Beschäftigte erwirtschaftet und in die Rentenkasse eingezahlt haben“, kritisiert er in der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“. Auch wenn die Gefahr gebannt sei, dass Beschäftigte sich mit 61 für zwei Jahre in die Arbeitslosigkeit verabschieden und dann ohne Abschläge in Rente gehen, bleibe die Rente mit 63 ein Fehler.
Strikt gegen die Reform ist in der Union vor allem Kurt Lauk, der Vorsitzende des Wirtschaftsrates der CDU, der aber nicht im Bundestag sitzt und nicht mit abstimmen kann. Umso heftiger erregt er sich über die „Geisterfahrt“, auf die Union und SPD sich bei der Rente begeben hätten. Lauk wörtlich: „Die SPD hat unser Land mit der Agenda 2010 mit Unterstützung der damaligen Oppositionspartei CDU und den Rentenreformen der Minister Müntefering und Riester entscheidend vorangebracht. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass nun ausgerechnet die Union als Steigbügelhalter der SPD diese Reformen mit zurückdreht.“ Lauk schätzt, dass etwa 200 000 Menschen pro Jahr ohne Not in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt werden.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann rechnet nach einem geglückten Probelauf am Dienstag damit, dass alle Abgeordneten seiner Fraktion für das Rentenpaket stimmen – und auch Volker Kauder, sein Kollege von der Union, dürfte die Abweichler am Freitag an zwei Händen abzählen können. Der eine oder andere habe noch seine Schwierigkeiten mit dem Kompromiss, am Ende aber werde es in der Union eine breite Zustimmung für das Paket geben, nachdem in der vergangenen Woche noch über bis zu 70 Gegenstimmen spekuliert worden war. „Das Nacharbeiten hat sich gelohnt“, sagt der Nördlinger Abgeordnete Ulrich Lange zufrieden. In der CSU-Landesgruppe gebe es „keinen echten Widerstand mehr“.
Bei einer Probeabstimmung in der Bundestagsfraktion der Union stimmten gestern 14 Abgeordnete gegen den Kompromiss, darunter von Stetten und seine baden-württembergischen Parteifreunde Olav Gutting und Joachim Pfeiffer.