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BAGDAD/BERLIN
Wenn Waffen in die falschen Hände geraten
reda
 |  aktualisiert: 02.09.2014 19:26 Uhr

Während die Kurden im Irak auf die Waffenlieferung aus Deutschland warten, sind ihre Feinde einen Schritt weiter. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfügt offenbar längst über Kriegsgerät made in Germany. In einem Propagandafilm präsentieren die Terroristen eine erbeutete Rakete. Zu lesen sind die Worte „Lenkflugkörper“ und „Panzerabwehr“. Experten glauben, dass es sich um Bestände aus deutsch-französischer Produktion handelt.

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die Europäer diese Waffen nach Syrien geliefert haben. Ein fast vergessenes Rüstungsgeschäft, das sich nun in Erinnerung bringt. Schon bald könnten sich im Nordirak Kurden und Terroristen gegenseitig mit deutschen Raketen bekriegen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Kriegsgerät in einem Krisengebiet in falsche Hände gerät.

Angesichts der Entscheidung der Bundesregierung, Waffen in den Irak zu schicken, bleibt die Frage: Rüstet Deutschland die Feinde von morgen auf? Ein Schreckensszenario, mit dem der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven wenig anfangen kann. „Wir sollten das nicht so aufgeregt, sondern ganz realistisch betrachten“, sagt er. Zwar könne heute keiner garantieren, dass die Waffen nicht irgendwann zweckentfremdet werden, räumt Tophoven ein, fügt aber hinzu: „Dieses Risiko müssen wir in Kauf nehmen, denn es geht darum, den Vormarsch der IS-Milizen um jeden Preis zu stoppen.“

Ähnlich argumentiert die Bundesregierung. Doch ein Blick zurück zeigt, wie schnell aus vermeintlichen Verbündeten erbitterte Gegner werden können, die ihre früheren Partner im wahrsten Sinne des Wortes mit den eigenen Waffen bekämpfen. Bestes Beispiel ist der Irak selbst: Im Jahr 2003 marschieren amerikanische Truppen dort ein, um Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Im Wüstensand stehen sie einer Armee gegenüber, die Washington einst selbst aufgerüstet hatte. Als der Irak in den 1980er Jahren im ersten Golfkrieg gegen den Iran kämpft, stärken die USA das Regime in Bagdad mit Waffenlieferungen in großem Stil. Als sich das Blatt Jahrzehnte später gegen ihn wendet, setzt Saddam amerikanisches Kriegsgerät gegen die US-Truppen ein.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Afghanistan. 1979 marschiert die Sowjetunion dort ein. Die Russen stoßen auf erbitterten Widerstand der „Mudschahedin“. Diese selbst ernannten Gotteskrieger werden von den Amerikanern mit Geld und Waffen unterstützt. Über zwei Jahrzehnte später starten die USA selbst eine Invasion in Afghanistan. Präsident George W. Bush vermutet dort die Drahtzieher hinter den Anschlägen vom 11. September 2001. Im Krieg gegen die Taliban kämpfen bis heute nicht nur die amerikanischen Soldaten mit amerikanischen Waffen, sondern auch deren Gegner.

„Natürlich besteht die Möglichkeit, dass nicht nur die regulären kurdischen Streitkräfte, sondern auch Gruppierungen wie die PKK, die von Deutschland immerhin als terroristische Vereinigung eingestuft wird, Zugriff auf die Waffen bekommen“, sagt Tophoven. Er hält die Risiken dennoch für kalkulierbar. „Man schickt ja nicht ganze Divisionen in den Nordirak. Die Waffen, die jetzt geliefert werden, reichen kaum, um Depots anzulegen“, gibt der Experte zu bedenken. Er spielt damit auf die Situation in Libyen an, wo zwielichtigen Milizen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes ganze Waffenlager in die Hände fielen.

Eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik kann Tophoven in der Unterstützung der Kurden nicht erkennen: „In den vergangenen Jahrzehnten wurden so viele Waffen aus Deutschland auf legalem oder halblegalem Wege in Krisengebiete geliefert, dass man im aktuellen Fall wirklich nicht von einem Tabubruch sprechen kann.“

 
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