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Wenn Österreich die Grenze dichtmacht
EU missbilligt Tiroler Blockabfertigung als «unverhältnismäßig»       -  Stoßstange an Stoßstange vor dem Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein. Ein Bild, das in den vergangenen Wochen öfter zu sehen war.
Foto: Angelika Warmuth, dpa | Stoßstange an Stoßstange vor dem Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein. Ein Bild, das in den vergangenen Wochen öfter zu sehen war.
Von Fabian Huber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:30 Uhr

Es ist Montag, 22. Juli, 8.15 Uhr – und auf der Autobahn 93 reiht sich wieder einmal Lastwagen an Lastwagen. Entnervt starren die Fahrer nach vorn. Oder auf ihre Handys. Einer hält seine Zigarette aus dem Fenster, balanciert sie mit den Fingern hin und her wie einen Schlagzeug-Stick. Was soll man schon groß tun, wenn der Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein 15 Kilometer weg ist, der Weg dorthin und damit nach Österreich aber vermutlich eine Stunde dauern wird.

Es hat sich einiges angestaut zwischen Deutschland und Österreich, vor allem zwischen Bayern und Tirol. Und das nicht nur auf der rechten Fahrbahn der A 93. Weil Tirol vor allem den Lkw-Verkehr über Inntal und Brenner einschränken will, gibt es immer wieder Blockabfertigungen. Heißt: Die Polizei drosselt auf der Inntalautobahn A12 an der Anschlussstelle Kufstein-Nord den Schwerlastverkehr in Richtung Innsbruck so, dass pro Stunde nur bis zu 300 Lastwagen, die von Deutschland kommen, auf ihr unterwegs sind.

Es gibt vieles zu bereden

Lange Rückstaus sind die Folge. Und an diesem Donnerstag der sogenannte Transitgipfel in Berlin. Den hat Bundesverkehrsminister und CSU-Politiker Andreas Scheuer vorgeschlagen und dazu den österreichischen Verkehrsminister Andreas Reichhardt sowie den Tiroler Landeshauptmann Günther Platter eingeladen. Eine Deeskalationsmaßnahme. Zu bereden haben sie vieles. Auch, dass Platter seit Wochen samstags und sonntags Landstraßen sperren lässt und so die Ausweichrouten für den Durchreiseverkehr abriegelt, um die Dörfer an den Autobahnen zu entlasten.

Bis September soll es die Pkw-Fahrverbote geben, Platter zeigt sich da unnachgiebig. Denn die Tiroler Autobahnen platzen aus allen Nähten. Heuer werden voraussichtlich alleine zweieinhalb Millionen Lastwagen die Transitstrecke nach Italien passieren. „Die Grenzen der Belastbarkeit für Mensch, Natur und Infrastruktur sind erreicht“, sagt er, wenn man ihn danach fragt. Bundesverkehrsminister Scheuer dagegen warf ihm vor einem Monat eine „Politkampagne“ vor, bezeichnete das Vorgehen Tirols als „zutiefst diskriminierend“ und drohte mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Die Stimmung ist eingetrübt

Am Montag, einem von 32 Blockabfertigungsterminen im Jahr 2019, ist die Stimmung am Rastplatz Inntal-West, dem letzten vor der deutsch-österreichischen Grenze bei Kiefersfelden, eingetrübt wie der Himmel über den Alpen. „We move Europe“, steht auf dem Sattelschlepper von Gabi Semeniuc. Wir bewegen Europa. Seit Samstagmorgen ist er auf dem Rastplatz. In Österreich gilt für Lkw neben einem Nacht- ein Wochenendfahrverbot. Der Rumäne muss ins ligurische Savona, Nordwestitalien. Vier Stunden sei er mal bei der Blockabfertigung aufgehalten worden. „Nervig!“ Ein paar hundert Meter weiter, direkt hinter der Grenze, stehen zwei Tiroler Polizisten an einem provisorisch aufgebauten Container. Links brausen Autofahrer unbehelligt in den Strandurlaub, rechts rollen die 7,5-Tonner auf den Checkpoint zu. Es ist 9.28 Uhr, der Rückstau hat eine Länge von 22 Kilometern erreicht. Der Tageshöchstpunkt an diesem Blockabfertigungstag, teilt die Polizei später mit.

Die Beamten arbeiten mit Stoppuhr und Zähler. 300 Lastwagen pro Stunde lassen sie gerade nach Österreich. Hinter der Kontrollstation löst sich der Stau auf, der Verkehr fließt. Es ist wie im Waschbecken, wenn man den Stöpsel zieht. An der ersten Raststation in Österreich lehnt Valentin Momchilov an seiner Lkw-Tür. Zwei Stunden stand er auf der A 93, jetzt muss er pausieren. „Mir läuft die Zeit davon, ich muss noch heute abladen“, sagt der Bulgare. Seit Tagen ist er unterwegs, in Griechenland gestartet. Die einzigen Grenzprobleme habe es vor Tirol gegeben. Auch Roman Dil, der für eine deutsche Spedition zwei Mal wöchentlich nach Italien fährt, macht seinem Ärger Luft: „Wegen diesem Scheiß ist meine Woche kaputt!“ Für ihn bedeuten die Blockabfertigungen Überstunden. Er verstehe es nicht.

Bereits 2013 gab es einen „Pickerlstreit“

„Es“ zu verstehen, ist gar nicht so einfach. Der Verkehrsstreit zwischen Tirol und Bayern schwelt seit langem, bricht hin und wieder aus und ist verworren. Bereits 2013 gab es mit dem „Pickerlstreit“ ein bayerisch-Tiroler Fingerhakeln. Tirol weitete damals seine Vignettenpflicht auf der Inntalautobahn bis zur deutschen Grenze aus, was vor allem Wintersportler aus Bayern traf. Zuvor hatte Horst Seehofer, seinerzeit bayerischer Ministerpräsident, eine „Ausländer-Maut“ ins Spiel gebracht. Ausländische Autofahrer sollten für die Benutzung deutscher Autobahnen zahlen, wie umgekehrt deutsche Autofahrer etwa in Österreich. Ein Wahlkampfschlager. Zur Einführung einer Pkw-Maut, bis vor kurzem ein Herzensanliegen der CSU, kam es nicht. Erst im Juni machte der Europäische Gerichtshof den Bayern einen Strich durch die Rechnung. Geklagt hatte Österreich. Zu einer Befriedung des aktuellen Streits könnte eine „Korridormaut“ von München bis Verona beitragen, wie sie Platter mehrfach gefordert hat. Sie soll den Lastwagenverkehr auf der gesamten Strecke verteuern und eine Verlagerung der Transporte auf die Schiene befördern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zeigt sich am Mittwoch zumindest offen für eine Prüfung. Im Gegenzug verlangt er von Tirol Bewegung in Sachen Blockabfertigung. Die verstoße gegen Europarecht. Eines der Probleme dabei: Trotz einer Grundsatzvereinbarung von 2009 kommt der Bau der Nordzuläufe für den Brennerbasistunnel, der den Güterverkehr auf die Schiene verlagern soll, auf deutscher Seite nicht voran. „Deutschland hat zehn Jahre geschlafen“, schimpft Platter.

Jahrelang mit der Verkehrszunahme falsch kalkuliert

Klaus Frank lässt das nicht gelten. Der 56-jährige Friedberger leitete einst eine Spedition, mittlerweile durchkreuzt er die Alpen zwei bis drei Mal in der Woche mit dem Auto als Kundendienstler. In Tirol habe man die Verkehrszunahme lange falsch kalkuliert und verkehrspolitisch nicht nachvollziehbare Entscheidungen getroffen, sagt er, und nennt Beispiele. Und tatsächlich mündet die A 7 bei Kempten auf österreichischer Seite in eine Landstraße. Eigentlich sollte sie einst zu einer Autobahn ausgebaut werden. Auch eine belastbare West-Ost-Verbindung in Österreich von Bregenz in Richtung Innsbruck gibt es nicht. Also nehmen österreichische Lastwagenfahrer – die vergleichsweise günstige Maut in Deutschland kommt ihnen ganz gelegen – lieber einen Umweg über Lindau und München in Kauf, um nach Tirol oder gleich weiter nach Salzburg zu gelangen. „Damit wird genau der Verkehr erzeugt, der jetzt zu Blockabfertigungen führt“, meint Frank. Selbst die österreichische Post übt diese Praxis. 13 000 Fahrten jährlich würden so über deutsche Straßen abgewickelt, bestätigt ein Sprecher.

Einsatzprotokoll und interaktive Karte

Mit dem Verkehr, mit den Folgen der Blockabfertigung hat die Autobahnpolizei Rosenheim zu kämpfen. Die Polizeistation liegt etwa 30 Kilometer nördlich der Grenze direkt am Inntal-Dreieck, wo die A 93 auf die A 8 trifft. Wenn die Österreicher an Blockabfertigungstagen dichtmachen, staut es sich manchmal hier. Oder, schlimmer noch, bereits am Irschenberg. Am Montag gegen 11 Uhr, sechs Stunden nach Beginn der Blockabfertigung, ist es recht ruhig. Einsatzleiter Sebastian Ludwig beobachtet die Bildschirme vor sich. Einer zeigt das Einsatzprotokoll: Staulänge, Durchlasskapazitäten. Ein anderer eine interaktive Karte: Der Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein ist gelb markiert. Bedeutet: gerade kein Rückstau. Ludwigs Kollegen müssen das Stauende absichern und dafür sorgen, dass die Lastwagenfahrer auf der rechten Spur bleiben. „Das sind Gefangene im eigenen Fahrzeug, die Ärmsten der Armen“, sagt der 36-Jährige. Viele würden im Stau einschlafen und so große Lücken reißen. Elf Polizisten regeln an diesem Tag den Verkehr auf der A 93. Früher waren es gut doppelt so viele. „Aber das ist personell nicht mehr zu stemmen. Wir alle haben auch noch einen normalen Schichtbetrieb zu leisten“, sagt Ludwig. Auch er ärgert sich über den Verkehrsstreit. „Die Devise ist: Kein Stau in Tirol. Wenn, dann Stau in Bayern.“

Klage über den vielen Verkehr

Wörgl, eine Tiroler Kleinstadt in der Nähe Kufsteins. Auch hier: Ärger. Aus anderen Gründen. „Einfach z?viel“, sei der Verkehr, klagt die Bedienung einer Konditorei in der Innenstadt. Ein Taxifahrer sagt: „Ein bisschen weniger Lkw“ seien schon unterwegs. Die Spedition Berger hat ihren Sitz in einem Neubau, größer als das Wörgler Bahnhofsgebäude daneben. Für Geschäftsführer Markus Ley sind die Blockabfertigungen ebenfalls ein großes Thema. Er verstehe die Klagen der Bevölkerung über die Lastwagen- und Automassen, den Lärm, die Luftverschmutzung. „Aber“, sagt er, „wir haben im Juni eines unserer schlechtesten Ergebnisse erwirtschaftet, was natürlich auch an der Blockabfertigung lag.“ Er habe einen Filmbeitrag über seine etwa 120 Fahrer drehen lassen wollen, erzählt er. Um auf die Probleme hinzuweisen. „In diesen Lkw sitzen Menschen, die weder ihre Notdurft noch sonst etwas verrichten können. Mit einem Tier würde man wahrscheinlich nicht so umgehen.“ Der 53-Jährige redet sich in Rage. Vom Tiroler Landeschef Platter heißt es lapidar: „Feststeht, dass kein Lkw wegen der Blockabfertigung auch nur eine Minute länger braucht.“

Ley glaubt nicht an eine eindämmende Wirkung der Blockabfertigung. „Nicht der Logistiker macht den Verkehr, sondern der Konsument. Jeder will in 24 Stunden sein Buch oder seine Brille. Niemand fragt sich, ob das alles Sinn macht. Das muss sich ändern.“ Leys Lösungsansätze: Nachtfahrverbote in Österreich abschaffen. Schneller Bau der Nordzuläufe zum Brennerbasistunnel samt Verteilzentren in Ingolstadt oder Regensburg – und nicht, so wie noch, in Wörgl.

Platter erhöht nochmals den Druck

Es ist Nachmittag geworden an diesem Blockabfertigungs-Montag. Die Kontrollstelle der Tiroler Polizei am Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein ist inzwischen verlassen. Fast zur selben Zeit tritt in Innsbruck der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter an ein Stehpult. „Unser Land Tirol“ steht auf der Wand hinter ihm. „Mir wird berichtet, dass sich Deutschland bewegt“, sagt er bei einer Pressekonferenz, über die der ORF berichtet. Und dass er am Transitgipfel in Berlin teilnehmen werde. Er hatte das lange offen gelassen.

Ob sich Österreich und Deutschland in ihrem Verkehrsstreit annähern werden? Platter jedenfalls erhöht nochmals den Druck und sagt einen Satz, den weder Bundesverkehrsminister Scheuer noch die Lastwagenfahrer auf dem Rastplatz Inntal-West noch Markus Ley von Berger Logistik noch die Rosenheimer Verkehrspolizei gerne hören dürften: Bei Lkw-Blockabfertigungen und Pkw-Fahrverboten werde er „keinen Millimeter nachgeben“.

 
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