Die Türkei droht – und die EU-Kommission reagiert eher verhalten. Die türkische Seite möge sich an die getroffenen Vereinbarungen halten, lautet der Kommentar aus Brüssel. Was aber, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten hier für Sie zusammengestellt.
Alle Flüchtlinge, die nach dem 20. März illegal von der Türkei auf die griechischen Inseln und damit in die EU übergesetzt sind, werden seit 4. April in die Türkei zurückgeschickt. Die Europäische Union hat sich im Gegenzug dazu verpflichtet, für jeden zurückgeschickten Syrer einen syrischen Flüchtling direkt aus einem türkischen Lager nach Europa zu holen. Dafür verpflichtet sich Ankara dazu, die Grenzen zur EU besser zu sichern. Die EU will, sobald die irregulären Grenzüberquerungen zwischen der Türkei und der EU enden oder zumindest ihre Zahl erheblich und nachhaltig zurückgegangen ist, darüber hinaus eine freiwillige humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Land am Bosporus in die Wege leiten. Zudem unterstützt die Gemeinschaft Hilfsprojekte in der Türkei bis 2018 mit drei Milliarden Euro, weitere drei Milliarden sollen im Anschluss folgen.
Auch sie war ein Teil des Abkommens. Die EU hat versprochen, den Prozess zu beschleunigen. Allerdings soll dies nur gelten, sobald alle wichtigen „Benchmarks“, also Bedingungen, erfüllt sind. Derzeit ist das bei fünf der 72 Konditionen aber nicht der Fall. Dazu zählen die Reform des umstrittenen Anti-Terror-Gesetzes, die Gewährleistung von Meinungsfreiheit in der Praxis und die Einhaltung von Menschenrechten. Weil die Aufhebung der Visapflicht für türkische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen, sich deshalb wohl kaum bis Oktober umsetzen lässt, wie von Erdogan gefordert, droht dieser nun mit der Aufhebung des Deals.
Nein. Im EU-Parlament reagierte man weitaus deutlicher auf die Drohungen aus Ankara als in der Kommission. „Die EU lässt sich nicht erpressen“, lautete dort der Tenor.
Erdogans politischer Erfolg ist maßgeblich mit der Wirtschaft seines Landes verbunden, doch die hat mit der EU viel engere Verbindungen als etwa mit Russland. Darüber hinaus steht die Türkei finanziell unter Druck. In den kommenden Monaten werden einige internationale Kredite fällig. Auf Unterstützung aus Europa kann das Land also nicht ohne weiteres verzichten.
Die Mitgliedstaaten der Union werden sich mit jenen Baustellen wieder befassen müssen, die sie mit dem EU-Türkei-Deal erst einmal notdürftig geflickt haben. Man wird erneut über eine effiziente Sicherung der Außengrenzen sprechen müssen. Die geplanten Kompetenzerweiterungen der EU-Grenzschutzbehörde Frontex sollten dafür schnell umgesetzt werden. Darüber hinaus wird die Gemeinschaft nicht umhinkommen, erneut über die Frage der fairen Verteilung von Flüchtlingen zu sprechen. Dagegen wehren sich bislang vor allem die osteuropäischen Staaten.
Schon jetzt sind 632 Gastbeamte aus den übrigen Mitgliedstaaten im Dienst, um technische Hilfe bei der Aufnahme, Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge zu leisten. Darüber hinaus stehen 50 000 Unterkunftsplätze zur Verfügung. Eine Vielzahl der Flüchtlinge harrt jedoch nach wie vor in Grenznähe aus. Hilfsgelder (353 Millionen Euro seit Anfang 2015) aus einem Notfallfonds sowie Zahlungen an Hilfsorganisationen sollen helfen, die teilweise prekäre Lage in Griechenland für die Flüchtlinge zu verbessern. Selbst der Chef des Außenausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), fürchtet jedoch, dass in Hellas eine humanitäre Katastrophe drohen würde, sollte die Türkei ihre Hilfe aufkündigen.
Bis zum Inkrafttreten der Vereinbarung erreichten nach Angaben der Kommission durchschnittlich 1740 Flüchtlinge pro Tag die griechischen Ägäis-Inseln. Im vergangenen Monat waren es hingegen nur noch 89. Allerdings gehen Experten davon aus, dass die Schließung der Balkanroute viele Menschen davon abgehalten hat, sich überhaupt auf den Weg zu machen.
Auch der gemeinsame Einsatz der EU mit der Nato in der Ägäis, die dort mit Schiffen Schlepper aufspüren soll, dürfte dazu beigetragen haben.