Es ist ein überraschendes Friedensangebot, das der Brüsseler EU-Kommission in dieser Woche auf den Tisch flatterte. Seit fünf Jahren ermittelt die europäische Behörde gegen den staatlichen russischen Konzern Gazprom wegen Verstoßes gegen die europäischen Wettbewerbsregeln. Im April 2015 eröffnete die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager ein offizielles Verfahren. „Ich habe Bedenken, dass Gazprom die Kartellvorschriften der EU verletzt“, begründete sie ihren Schritt damals.
„Gütliche Einigung“
Diese Woche dann die Wende: Aus Moskau sei ein Kompromissvorschlag zur Beilegung des Streits eingetroffen, bestätige eine Kommissionssprecherin. Man hoffe auf „eine gütliche Einigung“ in naher Zukunft. Es geht im Wesentlichen um zwei Vorwürfe: Zum einen verlangte Gazprom jahrelang von den osteuropäischen EU-Mitgliedern deutlich höhere Preise als beispielsweise vom räumlich weiter entfernten Deutschland. Die Unterschiede sollen zeitweise bis zu 30 Prozent betragen haben. Um dieses Geschäftsgebaren nicht zu unterlaufen, hatte das Unternehmen darüber hinaus den Weiterverkauf des russischen Gases innerhalb der EU verboten.
Dieses Verhalten konnte Brüssel nicht hinnehmen. Sollte das Kompromissangebot aus Moskau akzeptabel sein, könnte Vestager ihre Untersuchung einstellen, sofern die europäische Konkurrenz keine Einwände erhebt. Ob die Offerte aus Russland dazu aber ausreicht, konnte zwischen den Feiertagen noch niemand aus der Kommission sagen. Der Vorgang betrifft zwar die Geschäftspolitik des russischen Konzerns aus der Zeit vor 2012, die Verurteilung zu einer Milliardenstrafe hätte das Verhältnis beider Länder aber in der heutigen, politisch höchst sensiblen Phase getroffen. Schließlich bleibt die EU immer noch auf Gas aus dem Osten angewiesen – zu einem Drittel deckt Gazprom den europäischen Bedarf, in einigen Mitgliedstaaten beträgt die Abhängigkeit sogar deutlich über 80 Prozent.
Hinzu kam der erkennbare Versuch Moskaus, mit unterschiedlichen Preisen einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben. Präsident Wladimir Putin, ein enger Freund von Gazprom-Chef Alexej Miller, hat mehrfach den Rohstoff als außenpolitisches Druckmittel benutzt. Da die Union gerade erst die Sanktionen gegen Moskau wegen des Krieges in der Ostukraine um sechs Monate verlängerte, wäre eine Verurteilung von Gazprom eine weitere Eskalationsstufe dieses Konflikts gewesen.
Energie-Union in Arbeit
Allerdings hat sich die Situation für den Lieferanten des Russland-Gases auch deutlich verändert. Gazprom kann inzwischen schon froh sein, wenn das Unternehmen seine derzeitigen Marktanteile in Europa halten kann. Denn die Gemeinschaft bastelt an einer Energie-Union, um die Abhängigkeit zu verringern. Foto: dpa