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Weltgeschichte ist Geldgeschichte
Geldgeschäfte: Dieses Bargeld – wofür braucht man das überhaupt noch? Die Plädoyers für eine Abschaffung werden immer mächtiger. Aber die besondere Treue der Deutschen zum Baren hat gute Gründe
Geldscheine bilden einen Hintergrund       -  Abschied vom Bargeld? Noch gilt den Deutschen nur Bares als Wahres. In vielen anderen Ländern sieht das aber schon ganz anders aus.
Foto: Markus Mainka | Abschied vom Bargeld? Noch gilt den Deutschen nur Bares als Wahres. In vielen anderen Ländern sieht das aber schon ganz anders aus.
Von unserem Mitarbeiter Wolfgang Schütz
 |  aktualisiert: 26.12.2015 10:02 Uhr

Noch klimpern sie in unseren Hosentaschen, machen unsere Portemonnaies dick, rasseln durch Automatenschlitze, bestimmen unsere Möglichkeiten nach einer papiernen Farbskala. Und wenn es manchmal noch so nervig sein mag – Wohin mit all den Cent-Münzen? – irgendwie wirkt das doch logisch. Wie eine Fortsetzung dessen, was vor über 2500 Jahren in Mesopotamien begonnen hat, als sich die Menschen für ihren Tauschhandel ein Medium erfanden.

Aber wenn Weltgeschichte Geldgeschichte ist: Warum sollte sich nicht auch das Geld verändern, wo es doch die Welt dramatisch tut? Konkret: Wer braucht im Zeitalter der Digitalisierung noch Bargeld? Und wirkte es nicht immer selbstverständlich, dass etwa im „Raumschiff Enterprise“ keiner mehr geprägte Münzen und farbig bedrucktes Papier auf den Tresen zählt?

Die Welt, ihre Geschichte und das Geld – der US-Historiker Niall Ferguson hat mitten in die Finanzkrise 2008 eine große Untersuchung zu diesem Thema vorgelegt. Und seine „fundamentale Wahrheit über das Geld“ lautet: Es halte bis in die heutigen Schwankungen der Finanzmärkte hinein dem Menschen einen Spiegel vor, „der an jedem Tag zu jeder Zeit enthüllt, inwieweit wir uns selbst und die Ressourcen der Welt wertschätzen“. So dreht sich die Frage um. Es geht also nicht nur darum, wie sich das Geld verändert, wenn sich die Welt verändert. Es geht auch darum, was uns das über die Welt sagt, wenn sich das Geld verändert. Und drastischer, als es sich nun vielleicht verändern soll, hat es das in seiner zweieinhalbtausendjährigen Geschichte nie getan. Und das innerhalb von nur 65 Jahren? So lang ist es nämlich erst her, dass mit „Diners Club“ die erste Kreditkarte auf den Markt gekommen ist. Und nun sind wir schon auf dem Weg zur Abschaffung des Bargelds? Kommt uns mit dem Geld in Zukunft auch die Welt abhanden?

Aber was ist eigentlich passiert? Haben kürzlich Statistiken der Bundesbank nicht erst bewiesen, dass noch immer mehr als die Hälfte aller Einkäufe in Deutschland mit Bargeld getätigt werden – und damit kaum weniger als fünf Jahre zuvor? Und wurden nicht eben erst mit großem Aufwand neue Euro-Scheine eingeführt, um den Handel damit für die Zukunft sicherer zu machen? Andernorts aber werden mächtige Argumente für den Wandel aufgefahren und zugleich erste politische Weichen gestellt. Wissenschaftler erforschen länger schon die Möglichkeiten des Abschieds vom Bargeld – nun werden sie zu exklusiven Tagungen geladen. Der US-Ökonom und frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff zeigte dabei kürzlich auf Einladung der Schweizer Nationalbank in London auf, wie es gelingen könne: In zehn Jahren keine Scheine mehr mit einem Wert über 20 Dollar, fünf Jahre danach auch die Zwanziger weg, höchstens 15 Jahre später gar kein Bargeld mehr.

Der USA-Reisende weiß, dass dort auch Kleinstbeträge mit Kreditkarte bezahlt werden, dass Barzahler auffallen. Aber eher das und nicht die deutsche Zurückhaltung scheint langsam Normalität zu werden. Der Norweger zahlt sein Bier am Tresen längst mit Karte, der Franzose selbstverständlich, auch wenn's länger dauert, an der Supermarktkasse per Computer. In Schweden ist der Anteil der Bar-Geschäfte von 80 Prozent im Jahr 1990 auf heute unter 25 gefallen. Dänemark ist das erste Land, wo es den meisten kleineren Läden bald ermöglicht wird, Bargeld abzulehnen. Ab nächstem Jahr wird der Staat gar kein neues Bargeld mehr herstellen. Und auch für Deutschland sprach inmitten all dessen nun der Würzburger Wirtschaftsweise Peter Bofinger das visionäre Wort aus: abschaffen! Die Argumente?

Bargeld ist umständlich und teuer. Es muss gedruckt und geprägt werden, mit hohen, ständig nachzubessernden Sicherheitsstandards. Es muss mit Geldtransportern ausgeliefert werden, an Geldautomaten verfügbar sein und ständig erneuert werden. Auf 150 Euro belaufen sich die Kosten für all das pro Jahr pro Bürger im Euro-Raum.

Bargeld ist schmutzig und gefährlich. Schwarzarbeit und Schwarzmarkt, Mafia, Drogenkartell und Raubüberfall – das Böse zahlt bar und giert nach Barem. Ein schwedischer Vorreiter der Abschaffungskampagne, der frühere Abba-Sänger Björn Ulvaeus, träumt: „Für alle Aktivitäten in der illegalen Wirtschaft braucht man das Bargeld. Stellen Sie sich vor, das gäbe es nicht mehr.“ Stoff lieferte ihm etwa ein Banküberfall in seiner Heimat 2013, als der Täter unverrichteter Dinge abziehen musste, weil in der Filiale kein Bares vorhanden war.

Bargeld ist widerspenstig. Ökonomen bemängeln, dass es sich dem Einfluss der Volkswirtschaft entzieht. Denn wenn, wie derzeit in vielen Ländern, die Zinsen für Erspartes auf der Bank bis in den Negativbereich gedrosselt werden, um die Konjunktur anzukurbeln, bleibt davon das Bare unangetastet. An das privat materiell gehortete Geld kommen Regulierungen so nicht heran. Und allein im Euro-Raum entzieht sich so rund eine gute Billion dem Zugriff der Ökonomen.

Bargeld ist eklig. Diese Erkenntnis hat die Umfrage eines Kreditkartenunternehmens ergeben. Demnach halten 51 Prozent der Deutschen Banknoten für unhygienischer als Kartenlesegeräte, Handläufe von Rolltreppen und Bücher aus der Bücherei. Den Ekel, der die Deutschen offenbar doch nicht hemmt, die meisten Einkäufe bar zu erledigen, beiseite gelassen – es sind Argumente des billigeren und besseren Controllings. Einer Kontrolle des Geldes durch Volkswirtschaften, Regierungen, Banken, die diese als notwendig für die Zukunft ansehen. Dem gegenüber aber ist ein großes Unbehagen bezifferbar. Denn noch nie wurde weltweit so viel Bargeld gehortet wie heute – in fremden Währungen, wo die eigene schwächelt, aber wohl auch in eigenen Währungen, wo die eigenen Spareinlagen, statt Zinsen zu bringen, Zinsen kosten.

So zeichnet sich als Problem ab, was ursprünglichste Eigenschaft des Geldes ist: Sein Wert basiert nur auf dem gemeinsamen Glauben an diesen Wert. Und dieses Vertrauen scheint erschüttert zu sein. So erhält sich parallel zu dem einen Finanzsystem, das sich immer stärker auf Daten beschränkt und im Hochgeschwindigkeitshandel der Börsen wesentlich auf Computerprogrammen basiert, ein zweites. Eines, das den Absurditäten der Märkte zu trotzen versucht. Bei denen wie 2008 eine mächtige Schwankung genügt, um mehr Geld zu vernichten, als im ganzen Euro-Raum in bar vorhanden ist. Ein greifbares Parallel-System, das auch der Sorge Rechnung trägt, mit den digitalen Zahlungen überall Spuren zu hinterlassen. Es haben inzwischen sogar die ersten Läden eröffnet, bei denen Internetkäufe bar und ohne eigene Datenweitergabe zu begleichen sind. Das Bargeld abzuschaffen, ist da vielleicht auch der Versuch, die Vertrauensfrage durch Alternativlosigkeit zu klären, also: dieses zweite System unmöglich zu machen.

Man stelle sich vor: Das Gehalt würde bar ausbezahlt und jeder müsste dann mit seiner Lohntüte vorbei an endlosen Reihen von Tischen, an denen zunächst die Steuer, dann Miete oder Tilgungsraten für die Hypothek, schließlich Heiz- und Stromkosten, Versicherung und Vereinsbeiträge einkassiert werden, bis man höchstens mit einem kleinen Bündel vor den unbegrenzten Möglichkeiten der bunt nach Konsum schreienden Warenwelt steht. Eine absurde Vorstellung im 21. Jahrhundert. Aber führt die Auflösung jedes letzten Restes an materieller Bindung nicht ebenso ins Absurde?

Niall Ferguson berichtet in seinem Buch, dass immer mehr Amerikaner ihre Kreditkartenrechnungen nur teilweise begleichen, weil sie das Prinzip von Zins und Zinseszins gar nicht mehr verstehen. Gutgläubigkeit bis zur plötzlichen Zahlungsunfähigkeit. Und eine stetig wachsende Schuldenwirtschaft. Aber Kredit kommt ja von lateinisch „credere“, glauben. In Verbindung mit den Finanzmärkten führt das jedenfalls dazu, dass immer mehr Schuldner auf immer weniger Gläubiger kommen, zur zentralisierenden Anhäufung des Kapitals, der Macht.

Vom russischen Klassiker Dostojewski stammt der Satz „Geld ist geprägte Freiheit“. Im zweiten Teil von Goethes Faust ist für die Erfindung des Aktienmarktes niemand anders als der Teufel zuständig, wo Mephisto als Narr die Regierung in diese riskante Spekulation auf die Zukunft treibt. Nun muss man sicher nicht so weit gehen, in der Abschaffung des Bargelds den endgültigen Wandel vom einen ins andere zu sehen. Aber so viel ist doch frappierend am längst herandämmernden Übergang: die Abkopplung des Wertes vom Greifbaren.

Tatsächlich findet das Geld damit zu seinem Wesen zurück: Es ist eigentlich nicht selbst etwas Wert, sondern bloßes Medium. Weniger mächtig wird es dabei freilich nicht. Immerhin ermöglicht es bereits jetzt, dass eine Buchungsplattform wie AirBnB im Internet den gleichen Wert wie der ganze Autokonzern Fiat hat. Eher im Gegenteil also. Und es stellt sich die Frage, wem die Macht über das mächtige Medium zukommt, wenn Ökonomen dank ihm über den tatsächlichen Wert der Ziffern auf den privaten Konten entscheiden können – im Sinne des Marktes. Doch: Was werfen wir dem Straßenkünstler künftig in den Hut, dem Bettler in die Schale?

 
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