Nach der Rückeroberung der Stadt Mossul im Juli ist nun auch das westlich davon gelegene Tall Afar aus den Händen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) befreit worden. Die Zukunft der Christen im Nordirak ist ein Thema, um das sich Philipp W. Hildmann kümmert. Er ist Beauftragter für Interkulturellen Dialog der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung.
Philipp W. Hildmann: Zunächst einmal eine große Erleichterung, dass das an Grausamkeit kaum überbietbare Wüten der Islamisten des IS, dem neben den Christen etwa auch die Glaubensgemeinschaften der Jesiden und Schabak zeitweise schutzlos ausgeliefert waren, an ein Ende gekommen ist. Dennoch blicken sie weiterhin mit Sorge in die Zukunft.
Hildmann: Die Zahl der Christen, die seit zwei Jahrtausenden in dieser Region um die Ninive-Ebene leben und deren ethnische Wurzeln noch deutlich weiter zurückreichen, hat sich dramatisch verringert. Vor dem Irakkrieg von 2003 lebten noch etwa 1,5 Millionen Christen im Irak. Heute müssen wir möglicherweise von weniger als 400 000 ausgehen. Dieser Exodus wird auch nach der Niederlage des IS schwer aufzuhalten sein. Die Infrastruktur in den Dörfern und Städten ist ebenso massiv zerstört wie das Vertrauen der Christen, in diesem Land als Minderheit ausreichend geschützt zu sein.
Hildmann: Diese Versuche gibt es. Seit längerer Zeit verfolgen Christen vor Ort etwa den Ansatz, die Region um die Ninive-Ebene in eine eigenständige autonome Provinz umzuwandeln, in der sich Christen, aber auch Minderheiten wie die Jesiden, Schabak oder Turkmenen ohne Angst vor Diskriminierung in ihren jeweiligen ethnischen, kulturellen und religiösen Eigenheiten wieder entfalten und eine gesicherte Zukunft haben können. Dieses Vorhaben ruht dabei auf dem Fundament der irakischen Verfassung, die ein solches Projekt ausdrücklich zulässt.
Hildmann: Der Vergleich ist nicht ganz abwegig, trifft es aber nicht ganz. Er führt uns allerdings in die unmittelbare Gegenwart. Masoud Barzani, der amtierende Präsident der Autonomen Region Kurdistan, hat für den 25. September ein Referendum angekündigt, bei dem die irakischen Kurden einschließlich der Bewohner der Ninive-Ebene über die Ausrufung eines eigenen Kurdenstaates abstimmen sollen.
Ein solches Referendum war schon einmal für 2014 angesetzt, dann aber nach Gesprächen mit der irakischen Zentralregierung in Bagdad wieder abgesagt worden. Im Falle eines positiven Votums im September wäre die Region um die Ninive-Ebene damit Teil eines eigenständigen kurdischen Staates mit Erbil als Hauptstadt.
Hildmann: Zunächst muss man festhalten, dass sie gar nicht die Möglichkeit haben, ein solches Referendum zu verhindern. Sie müssen die Entwicklung so hinnehmen, wie sie ist. Die kurdische Regierung hat bereits angekündigt, einer Provinz Ninive im Kontext eines eigenständigen Kurdenstaates weitgehende Autonomie zuzugestehen. Ob dies aus wahltaktischen Gründen erfolgte, um insbesondere die religiösen Führer als Multiplikatoren für ein zustimmendes Votum beim Referendum zu gewinnen, oder aus innerer Überzeugung, bleibt abzuwarten und wird sich im Zweifel am Ergebnis messen lassen müssen.
Vertreter von sieben der acht relevanten christlichen Parteien haben bereits einen Forderungskatalog aufgestellt, der zentrale Aspekte wie eigene Sicherheits- und Polizeikräfte, Gesundheits-, Wasser- oder Energieversorgung enthält, und dessen Akzeptanz zur Voraussetzung für ein positives Votum gemacht. Unterm Strich ist es für die Christen aber letztlich zweitrangig, ob eine autonome Provinz Ninive künftig an Bagdad oder Erbil hängt. Für sie ist wichtig, dass sie diesen Status überhaupt bekommen. Von zentraler Bedeutung ist dabei natürlich die Sicherheitsfrage, die einen zentralen Faktor für den Wiederaufbau der IS-Zerstörungen und eine Rückkehr der geflohenen Menschen in ihre Heimat darstellt.
Hildmann: Was das Referendum am 25. September angeht, so sieht die Bundesregierung es offiziell mit großer Sorge und warnt die Kurden vor einseitigen Schritten. Die Einheit des Irak infrage zu stellen, ist ihrer Ansicht nach nicht der richtige Weg und könnte die ohnehin schwierige und instabile Lage vor Ort noch zusätzlich verschärfen. Was die CDU/CSU betrifft, so begrüßt sie als politische Anwältin des Menschenrechts „Religionsfreiheit“ im Grundsatz einen Zuwachs an Autonomierechten für die Christen und die weiteren religiösen Minderheiten in der Ninive-Ebene.
Dem Projekt einer autonomen Provinz Ninive würde sie aber zumindest nach Stand der Dinge nur dann positiv gegenüberstehen, wenn es im Konsens mit der Zentralregierung in Bagdad realisiert werden würde. Unabhängig davon bleibt die Tatsache, dass sich das Zeitfenster für eine Zukunft der Christen im Irak zunehmend schließt. Dementsprechend hoch ist der Druck auf alle Beteiligten, so rasch als möglich tragfähige Lösungskonzepte zu finden. Das Projekt einer autonomen Provinz Ninive könnte hier einen wichtigen Schritt markieren. Die Alternative wäre ein weiteres Abwandern von Christen aus der Region und damit letztlich das Ende einer jahrtausendealten Kultur.