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BERLIN
Wehrbeauftragter warnt: Die Truppe ist am Limit
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 04.02.2016 03:47 Uhr

Seit acht Monaten erst ist Hans-Peter Bartels als Wehrbeauftragter des Bundestags im Amt, doch sein Befund über den Zustand der Armee könnte verheerender nicht ausfallen: „Es ist von allem zu wenig da.“ Es fehle an Geld, an Material und an Personal, sagt der Sozialdemokrat aus Kiel, zuvor Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und langjähriger Wehrexperte der SPD-Fraktion, am Dienstag in Berlin bei der Vorlage seines ersten Jahresberichts.

„Diese planmäßige Mangelwirtschaft gefährdet heute Ausbildung, Übung und Einsatz.“ Die Bundeswehr stehe an einem „Wendepunkt“: „Noch mehr Reduzierung geht nicht. Bundeswehr nach Kassenlage geht nicht.“ Angesichts der wachsenden Aufgaben dürfe die Kluft zwischen dem „Soll“ und dem „Ist“ nicht noch größer werden.

Es ist ein völlig neuer Ton, den Bartels nach der Übergabe seines 101-seitigen Berichts an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) anschlägt. Themen wie Rechtsverstöße von Soldaten, Schikanen durch Vorgesetzte und Misshandlungen von Untergebenen, rechtsradikale Hetze sowie sexuelle Übergriffe auf weibliche Soldaten, die in der Vergangenheit stark die Arbeit der Wehrbeauftragten prägten, spricht der neue Anwalt der Soldatinnen und Soldaten erst gar nicht an. Derartige Vorfälle gebe es, doch es habe sich bei der Bundeswehr viel getan, es gebe „keine Ausreißer nach oben“ und eine „Sensibilität für das Thema“, sagt er.

Dagegen versteht er sein Amt politischer und folgt damit seinem Vorgänger Hellmut Königshaus von der FDP, der in der Vergangenheit stets vor einer Überforderung der Armee angesichts der zahlreichen Auslandseinsätze gewarnt und die Defizite bei Personal wie Material angeprangert hat.

Doch Bartels geht noch einen Schritt weiter und fordert explizit eine politische Kehrtwende in der Verteidigungspolitik. Eindringlich appelliert er an die Regierung, ein Konzept zum Schließen der bestehenden Lücken vorzulegen. Dazu gehöre zum einen, dass die Armee erst einmal ihren Sollbestand von 185 000 Angehörigen erreiche. Ende 2015 gab es tatsächlich nur noch 177 000 aktive Soldatinnen und Soldaten. Zum anderen, dass man bei allen Teilstreitkräften zu einer Vollausstattung von 100 Prozent zurückkehre – „vom Panzer bis zur Schutzweste“ – und sich nicht mit 70 Prozent wie beim Heer begnüge.

Vor allem aber sei es unumgänglich, den Wehretat deutlich zu erhöhen. Von der Vorgabe der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, sei Deutschland mit 1,16 Prozent weit entfernt. Zwar steige der Anteil in diesem Jahr um ein Hundertstel auf 1,17 Prozent, doch bis 2019 sinke er wieder auf 1,07 Prozent. Dies sei die falsche Richtung. „Aufgaben, Struktur, Personal, Material und Finanzen müssen in Übereinstimmung gebracht werden.“ Schon ein Anteil von 1,2 Prozent sei im Sinne der Armee. „Alles, was mehr ist, hilft“, sagt Bartels.

Waffensysteme mit Mängeln

Langfristig sei auch eine Erhöhung des Personals unumgänglich, vor allem in den Bereichen Führungsunterstützung, IT, Elektronik, Marinetechnik oder Notfallsanitäter. So sei beispielsweise der Einsatz von U-Booten gefährdet, weil es an technischem Personal fehle. 185 000 Soldaten seien „keine dogmatische Obergrenze“. Im Gegenzug stehen für die etwa 12 500 Frauen und Männer, die freiwillig Wehrdienst leisten, nur 5000 Dienstposten zur Verfügung, für den Rest gebe es keine originären Aufgaben. „Junge motivierte Soldatinnen und Soldaten werden so verprellt und gehen der Bundeswehr für eine langfristige Bindung als Soldat auf Zeit oder Berufssoldat verloren.“

Nach Ansicht von Bartels ist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dabei, umzusteuern und die Defizite zu beheben, wie ihre Ankündigung vom Dienstag belegt, in den nächsten 15 Jahren 130 Milliarden Euro investieren zu wollen. Doch Bartels moniert mit Blick auf die neuen Waffensysteme: „Alles verspätet, verzögert, voller Kinderkrankheiten und oft in zu geringer Stückzahl, dafür teurer als geplant.

“ Auch bei der Sanierung von Kasernen gehe es voran, „aber viel zu langsam“, was allerdings vor allen an den Ländern liege, in deren Baubehörden es zu wenig Personal gebe. Einem Einsatz der Bundeswehr im Innern erteilt der Wehrbeauftragte eine klare Absage. „Die Bundeswehr wird gebraucht – und zwar für ihren Kernauftrag: äußere Sicherheit.“ Amtshilfe im Innern werde „liebevoll erledigt“, daraus dürften aber „keine unabsehbaren Daueraufgaben“ werden. Dies gelte auch für die Flüchtlingshilfe.

 
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