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Wehrbeauftragter fordert mehr Geld für Verteidigung
Hans-Peter Bartels       -  Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels
Foto: Rainer Jensen, dpa | Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 16.05.2018 02:42 Uhr

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels unterstützt die Forderungen von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach einem höheren Wehretat in vollem Umfang und benennt schonungslos die derzeitigen Defizite der Bundeswehr.

Frage: Herr Bartels, angenommen ein 18-Jähriger fragt Sie, ob er Berufssoldat werden soll, und bittet Sie um eine ehrliche Antwort – was würden Sie ihm raten?

Hans-Peter Bartels: Ehrlicherweise müsste ich ihm sagen, dass er bei der Bundeswehr zunächst nur einen Zeitvertrag erhält. Und nur ein Teil der Zeitsoldaten kann später auch Berufssoldat werden. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsnachteil gegenüber der Polizei, wo junge Leute sofort eine Lebenszeitperspektive haben. Aber ich würde ihm auch sagen, dass er sich für einen Beruf entscheidet, den unser Land dringend benötigt. Die Bundeswehr braucht gute Leute, die sich selbst etwas zutrauen.

Dahinter steckt die Frage, wie attraktiv die Bundeswehr als Arbeitgeber überhaupt noch ist?

Bartels: Zweigeteilte Antwort: Von der Aufgabe her ist die Bundeswehr ungewöhnlich attraktiv. Es gibt unzählige Verwendungen für alle Begabungen, und man steht für etwas sehr Kostbares: Frieden und Sicherheit. Auf der anderen Seite ist die Bundeswehr ein Arbeitgeber, der erst auf dem Wege ist, voll wettbewerbsfähig zu werden bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dem ewigen Pendlerdasein, der Bezahlung oder der Arbeitszeitgestaltung. Da gibt es unverändert noch viel zu tun. Der größte Vorteil gegenüber anderen Arbeitgebern ist, dass die Bundeswehr praktisch alles, was sie braucht, selbst ausbildet. Es gibt keinen anderen Arbeitgeber, der so vielfältig ist.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat zu Beginn ihrer Amtszeit vor bald fünf Jahren das Thema Attraktivität stark in den Mittelpunkt gerückt. Kasernen sollten modernisiert werden, Stuben Flachbildschirme erhalten. Wie wichtig war und ist dieses eher „softe“ Thema für die Nachwuchsgewinnung?

Bartels: Das wurde gelegentlich ironisiert – wozu braucht man einen Flachbildschirm, wenn man keinen funktionierenden Kampfpanzer hat? Aber natürlich braucht man beides: die großen Waffensysteme und genauso selbstverständlich moderne Unterkünfte und attraktive Betreuungseinrichtungen, wo auch die Kameradschaft gelebt und gepflegt wird. Dazu gehört zum Beispiel auch das Kasernen-WLAN. Das ist kein technologisches Großprojekt, aber für junge Leute nicht ganz unwichtig.

Ein Flachbildschirm auf der Stube reicht nicht, wenn die Bundeswehr insgesamt schlecht ausgerüstet ist und es gravierende Mängel bei der Ausrüstung gibt. Sie haben in Ihrem jüngsten Jahresbericht diese Defizite angeprangert. Was muss aus Ihrer Sicht sofort und ohne weitere Verzögerungen behoben werden?

Bartels: Ich werbe dafür, ein Sofortprogramm aufzulegen, um schnellstmöglich mit Verbesserungen bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten zu beginnen. Wenn wir über ein großes 130-Milliarden-Programm für die nächsten 15 Jahre reden, dann sollte es daneben einen Plan für eine spürbare Trendwende jetzt sofort geben, zum Beispiel bei der Kampfbekleidung inklusive der neuen Kampfstiefel, bei den Schutzwesten, damit man sie nicht mehr hin- und herverleihen muss. Da braucht man nichts Neues zu erfinden, man muss einfach nur kaufen.

Da geht es ja auch nicht um die ganz großen Summen …

Bartels: Genau. Das ist, wenn überhaupt, eine Milliarde, mit der aber viel erreicht werden kann. Und man kann das innerhalb von zwei Jahren abschließen, so dass die Soldaten die Verbesserung unmittelbar spüren.

Die gesamte U-Boot-Flotte liegt auf dem Trockenen, es gibt Tage, da steht kein einziges Transportflugzeug zur Verfügung. Nun wurde bekannt, dass von 128 Eurofightern nur vier einsatzbereit sind. Was läuft da schief bei der Bundeswehr? Warum diese Häufung an Pannen jetzt?

Bartels: Das hat einen Vorlauf in der Zeit vor 2014, als die Bundeswehr von Jahr zu Jahr kleiner wurde und nur eine Hauptaufgabe hatte, nämlich Auslandseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Damals wurde alles auf diese Einsätze ausgerichtet. Überschaubare Kontingente, gut ausgebildet und ordentlich ausgerüstet, wurden auf den Balkan, nach Afghanistan, nach Afrika geschickt. Dafür hat man zu Hause mehr und mehr auf die Vollausstattung für die Armee als Ganzes verzichtet. Die Bundeswehr lebte in der langen Schrumpfungsperiode von der Substanz, und die ist nun aufgezehrt. Seit der Annexion der Krim 2014 geht es nun aber auch wieder um kollektive Verteidigung, um die Sicherheit unserer Bündnispartner im Osten Europas. Das heißt, die ganze Bundeswehr muss einsatzfähig sein. Das ist sie heute nicht. Es fehlen Ersatzteile, wir müssen modernisieren, alte Systeme durch neue ersetzen, neue Technik entwickeln. Die Trendwende hin zur Vollausstattung sollte so schnell wie möglich gehen, aber zur Zeit kämpft man noch gegen alte Mentalitäten und alte Regeln.

Ursula von der Leyen will die Bundeswehr erneut umstrukturieren. Die Auslandseinsätze sollen demnach reduziert oder gar beendet und der Schwerpunkt wieder auf die Landes- und die Bündnisverteidigung gelegt werden. Ist das der richtige Weg?

Bartels: Mit der neuen „Konzeption der Bundeswehr“ startet kein neuer Gesamtumbau der Truppe, aber hier wird konzeptionell nachvollzogen, was in der Praxis schon begonnen hat: die Umstellung auf zwei Hauptaufgaben anstelle von einer, also Bündnisverteidigung und Auslandseinsätze gleichermaßen. Wenn?s hart auf hart kommt, hat natürlich die Bündnisverteidigung Vorrang.

Ist die Bundeswehr angesichts dieser Mängel überhaupt in der Lage, ihre Nato-Verpflichtungen zu erfüllen? Verlieren die Partner das Vertrauen in Deutschland?

Bartels: Nein. Die Bundeswehr steht mit diesen Problemen übrigens nicht alleine da. Fast alle Nationen haben ihre Armeen verkleinert, haben gespart und die kollektive Verteidigung ins Museum verbannt. Insofern müssen heute alle umdenken und umsteuern. Deutschland ist nun aber das größte Land in Europa, die stärkste Volkswirtschaft, und deshalb ist es besonders wichtig, dass Deutschland nicht hinterherhinkt. Deshalb darf im Bundeshaushalt der Anteil, den wir für Verteidigung ausgeben, nicht mehr sinken, sondern er muss steigen.

Welche Verantwortung trägt dabei die Rüstungsindustrie? Der A 400 M steht doch beispielhaft dafür, dass die Industrie viel verspricht, um einen Auftrag zu erhalten, dann aber nicht liefern kann, was sie versprochen hat.

Bartels: Da sind beide Seiten nicht unschuldig dran. Richtig ist, die Industrie versprach viel, um in Zeiten der Sparzwänge überhaupt einen Auftrag zu erhalten, und die Armeen der acht Programmnationen packten noch Sonderwünsche drauf. Aus diesen Fehlern muss man lernen. Heute geht es in vielen Bereichen darum, funktionierende Dinge auf der Grundlage von vorhandener Technik schnell zu liefern. Die Zeit und das Geld, immer etwas völlig Neues zu erfinden, haben wir im Moment nicht.

Von der Leyen wollte das gesamte Beschaffungswesen modernisieren und effektiver machen und hat mit Katrin Suder eine Expertin von McKinsey geholt. Wie weit ist sie damit gekommen?

Bartels: Frau Suder hat sich verdient gemacht und enorme Vorarbeiten geleistet, was die Analyse von Schwachstellen und Risiken angeht. Aber wir können nicht sagen, dass wir jetzt schon ein effektiveres Beschaffungswesen hätten. Die Arbeit geht weiter.

Der Bundeswehr-Etat soll in dieser Legislaturperiode um 5,5 Milliarden Euro erhöht werden, doch die Ministerin fordert mindestens zwölf Milliarden Euro mehr und droht mit dem Ausstieg aus internationalen Projekten. Unterstützen Sie die Verteidigungsministerin bei ihrem Kampf gegen den Finanzminister?

Bartels: Ich verstehe, dass sie etwas dramatischer wird. Sie muss sich um ihre Finanzen selbst kümmern. Das Geld kommt nicht von alleine. Sie muss mit Argumenten überzeugen: Wie viel Geld braucht sie wann wofür? Die Richtung ist grundsätzlich richtig: Es gibt mehr Geld für die Bundeswehr, aber noch steht nicht fest, wie viel genau und wie es nach 2019 stabil und planbar weitergeht. Auf Grundlage der beschlossenen Eckwerte muss weiter verhandelt werden. Ich bin zuversichtlich, dass das Parlament seine Parlamentsarmee nicht hängen lässt.

Deutschland ist weit vom Zwei-Prozent-Ziel der Nato entfernt und liegt bei etwa 1,2 Prozent. Das Zwei-Prozent-Ziel bedeutet fast eine Verdoppelung des Wehretats, rund 70 Milliarden. Ist diese Zielmarke überhaupt realistisch oder die Einladung zu neuer Verschwendung?

Bartels: Das Nato-Ziel ist ein Richtungsanzeiger. Für Deutschland sind gegenwärtig die zwei Prozent völlig illusionär. Ich kenne niemanden, der eine Zwei-Prozent-Bundeswehr plant. Diese Armee müsste sehr viel größer sein und über ganz andere Fähigkeiten verfügen, als wir heute der Nato angezeigt haben. Worüber wir heute reden, ist das Stopfen der Löcher beim Personal und beim Material, damit die Bundeswehr mit ihren dann knapp 200 000 Soldatinnen und Soldaten voll funktionsfähig ist. So wird sie auch den Beitrag leisten, den das Bündnis von uns erwartet. Dafür reichen vielleicht rund 1,5 Prozent.

Teile der Union oder die AfD fordern eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Sie auch?

Bartels: Die Wehrpflicht Hals über Kopf auszusetzen, war damals ein Fehler, sie nun wieder einführen zu wollen, ist illusionär. Alle Strukturen sind geschleift, es fehlt an den Ausbildern, den Verbänden, den Unterkünften, der Ausrüstung. Frau von der Leyen wird nichts anderes übrig bleiben, als nun das Konzept der Freiwilligenarmee umzusetzen und für einen moderaten Aufwuchs zu sorgen, damit die Bundeswehr quantitativ wie qualitativ ihren gewachsenen Aufgaben gerecht werden kann.

 
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