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Was passiert hinter verschlossenen Türen?
Beschwerlicher Weg nach Jamaika: CDU, CSU, FDP und die Grünen tun sich schwer bei den Sondierungsgesprächen in Berlin. Traute Einigkeit herrscht nur beim Thema Currywurst.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 10.11.2017 03:14 Uhr

Heute können sie darüber herzhaft lachen. Damals allerdings war es ernst, sehr ernst sogar. Dass Alexander Dobrindt und Christian Lindner – in Zeiten der schwarz-gelben Bundesregierung zwischen 2009 und 2013 Generalsekretäre von CSU und FDP und somit auch für das Laute, Deutliche und manchmal auch Grobe zuständig – sich und ihre Parteien im Streit um die Gesundheitspolitik gegenseitig heftig attackierten und sich dabei auch persönlich nicht schonten, haben sie mittlerweile großzügig als Jugendsünde abgehakt. Dass damals Worte wie „Wildsau“, „Gurkentruppe“ oder „durchgeknallt“ fielen, ist vorbei, vergessen, verziehen.

Nun sitzen Alexander Dobrindt, mittlerweile mächtiger CSU-Landesgruppenchef, und Christian Lindner, seit vier Jahren noch mächtigerer FDP-Vorsitzender, Seit' an Seit' in den Sondierungsverhandlungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition und verstehen sich prächtig.

Vor allem wenn es gegen die Grünen geht, sind sich der bayerische Christsoziale und der nordrhein-westfälische Liberale bis in die Wortwahl hinein einig, machen sie doch keinen Hehl daraus, dass sie weder vom Programm noch vom Personal der Öko-Partei viel halten und diese ihnen als Koalitionspartner reichlich suspekt ist.

Die neue Regierung muss versöhnen, was bisher getrennt war

Doch die beiden sind nicht alleine. Neben der CSU und der FDP sitzen auch noch die große Schwester CDU und eben auch die Grünen seit zwei Wochen am Verhandlungstisch im Kaisersaal der noblen Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber dem Reichstagsgebäude, um hinter verschlossenen Türen das völlig neuartige schwarz-gelb-grüne Jamaika-Bündnis zu schmieden – und das macht die Sache ungemein kompliziert. Denn die neue Regierung muss versöhnen, was bislang jedenfalls auf Bundesebene getrennt war, und Brücken bauen, die stark genug sind, um vier Jahre zu halten und auch politischen Stürmen zu trotzen, wie sie in der Karibik an der Tagesordnung sind.

Weil die Parteien in jeder Beziehung Neuland betreten und dabei über so manchen Schatten der Vergangenheit springen müssen, kommt es in den Sondierungen mehr denn je auf das menschliche Miteinander an. Doch das ist für viele leichter gesagt als getan. „Es fehlt hier an Vertrauen zwischen den Verhandelnden“, diagnostiziert der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Er weiß, wovon er spricht, hat er doch nach den Wahlen in seinem Heimatland Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition geschmiedet, die erstaunlich gut und geräuschlos arbeitet und vielen als Blaupause für Berlin gilt.

Kämpfe der Vergangenheit und persönliche Verwundungen sind präsent

Doch Kubicki winkt ab. In Berlin fehle, was es in Kiel gegeben habe – ein über die Jahre gewachsenes Vertrauen zwischen den handelnden Personen. Da hilft es auch nichts, dass sich Grünen-Chef Cem Özdemir und sein FDP-Kollege Christian Lindner seit einigen Jahren duzen und einen freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen oder dass CSU-Chef Horst Seehofer seinen baden-württembergischen Ministerpräsidentenkollegen Winfried Kretschmann von den Grünen schätzt. Doch das sind Ausnahmen.

Vor allem zwischen der CSU und den Grünen sowie der FDP und den Grünen sind die Kämpfe der Vergangenheit, die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen und auch die persönlichen Verwundungen überaus präsent. „Die CSU hat nur die Landtagswahlen in Bayern im nächsten Jahr im Blick und hat Angst, uns als ihr bisheriges Feindbild zu verlieren“, heißt es bei den Grünen. „Die Grünen sind weltfremd“, kontert die CSU. „Die kennen die Probleme der Menschen nicht.“

Die Liberalen wiederum wissen noch immer ganz genau, wie sie in Zeiten der rot-grünen Regierung vom damaligen Außenminister Joschka Fischer und Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin verhöhnt und verspottet wurden. Die Grünen tragen der FDP das überhebliche Auftreten des mittlerweile gestorbenen FDP-Chefs Guido Westerwelle oder seines Generalsekretär Dirk Niebel in den schwarz-gelben Regierungsjahren nach. Und dass Alexander Dobrindt im Wahlkampf vor vier Jahren den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin als „Teil des Pädophilie-Kartells bei den Grünen“ bezeichnete, hat dieser weder vergessen noch verziehen.

Der nie um griffige Formulierungen verlegene CSU-Frontmann Dobrindt und der noch immer äußerst einflussreiche Grünen- Fundi Trittin markieren denn auch die Antipoden der Sondierungen. Ihre Rolle ist eine doppelte – und für beide Parteien daher extrem wichtig: Sie müssen als die „bad cops“ auftreten, mit Nachdruck die eigenen Positionen verteidigen und zu weit reichende Kompromisse verhindern, gleichzeitig aber auch die Gegner, Skeptiker und Kritiker von Jamaika in den eigenen Reihen in dieses ungeliebte Bündnis führen. Ihr Ja zu den Sondierungsergebnissen ist am Ende von eminenter Bedeutung. „Ohne Dobrindt und Trittin geht es nicht“, heißt es denn auch offen im Umkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel, „nur wenn sie an Bord sind, funktioniert das Ganze“. Schließlich muss die grüne Basis auf einem Parteitag am 25. November dem Sondierungsergebnis zustimmen und die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen offiziell beschließen – ein starkes Druckmittel. So hofiert denn selbst ein strammer Liberaler wie Wolfgang Kubicki den Frontmann der grünen Fundis: „Mit dem kann man arbeiten. Jürgen Trittin dokumentiert: Er hat keine Furcht.“

Angela Merkel hat in den Sondierungen die ebenso schwierige wie undankbare Rolle, als Mittlerin zu fungieren, die Extrempositionen zu schleifen und einen Kurs der Mitte zu finden. Mit klaren inhaltlichen Positionierungen hält sie sich zurück, wie Sitzungsteilnehmer berichten, beschränkt sie sich darauf, zu moderieren und die Konflikte zu entschärfen, dezent, subtil, im Hintergrund, aber deutlich, auch gegenüber den eigenen Truppen. Als am Wochenende die Berichte über die Krise der Sondierungen zunahmen und in zahllosen Interviews die gegenseitigen Schuldzuweisungen überhandnahmen, rief sie kurzfristig am Sonntagabend ein Treffen aller Parteivorsitzenden ein und appellierte eindringlich, die Scharfmacher an die Leine zu legen. Mit Erfolg.

Inzwischen spürt man den guten Willen aller, heißt es

Beim zweiten Treffen der großen Runde am Montag hat sich der Pulverdampf des Wochenendes verzogen, in den Arbeitsgruppen herrscht eine ruhige, sachliche Atmosphäre, wie alle Teilnehmer übereinstimmend berichten. „Man spürt den guten Willen aller Beteiligten“, sagt der stellvertretende CSU-Chef, der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl, der der elfköpfigen Delegation der CSU angehört, gegenüber dieser Redaktion.

„Jeder ist sich der enormen Verantwortung bewusst. Deswegen werden die Verhandlungen nicht nur zum Schein geführt, sondern sehr ernsthaft und konstruktiv.“ Gleichwohl seien viele der zentralen Probleme „erst benannt, aber noch nicht gelöst“.

Er ist also beschwerlich, der Weg nach Jamaika; nur in Trippelschritten kommen die Koalitionäre in spe voran, mühsam verlaufen in die Annäherungen. Manchmal wird erbittert um jedes Wort gerungen – so beim Thema Umwelt, als sich die Parteien nicht einigen konnten, ob man die bereits versprochenen Klimaziele einhalten „wolle“ oder einhalten „müsse“; eher unverbindlich das eine, ziemlich verbindlich das andere. Als der Streit zu eskalieren drohte, brach Merkel die Debatte ab und vertagte sie. Andere Formulierungen sind so allgemein, dass sie jeder auf seine Weise interpretieren kann.

Die Grünen, heißt es von allen Seiten anerkennend, seien extrem gut vorbereitet und kämen mit intern abgestimmten Positionen in die Runden. CDU und CSU müssten an manchen Stellen erst noch ihre eigenen Koalitionsverhandlungen führen. Den Liberalen merke man an, dass sie vier Jahre nicht im Bundestag vertreten waren und niemanden mehr mit Regierungserfahrung hätten. Bei der FDP führt Parteichef Christian Lindner das große Wort, Wolfgang Kubicki hingegen sagt nur sehr wenig. Bei der CDU spielen neben Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor allem die Ministerpräsidenten eine starke Rolle.

Die CSU wird von Horst Seehofer und Alexander Dobrindt geführt, wobei sich der Parteichef eher „altersmild“ und „ausgleichend“ gibt, Dobrindt aber als „Scharfmacher“ fungiert, wird kolportiert. Und nicht immer sind die Fronten klar und eindeutig: Mal heißt es, wie bei der inneren Sicherheit, Union und FDP kontra Grüne, mal, wie beim Sozialen, Union und Grüne kontra FDP oder sogar, wie bei der Aufhebung des Kooperationsverbots bei der Bildung oder der Freigabe von Cannabis, FDP und Grüne kontra Union. Immerhin: Wenn es um die Liebe zur Curry-Wurst geht, die in den Verhandlungspausen gereicht wird, gibt es keine Differenzen zwischen den Parteien.

Entscheidende Punkte sind vorerst einfach verschoben

So gehen die Verhandlungen in die dritte Woche. Vieles ist noch offen, die entscheidenden Punkte sind erst einmal aufgeschoben und harren einer Klärung, alle Beschlüsse stehen unter einem Finanzierungsvorbehalt. „Es liegt noch ein langer Weg vor uns“, sagt die frühere Grünen-Chefin Claudia Roth. Gleichwohl stehe man in der Pflicht: „Die demokratischen Parteien müssen das gemeinsame Signal aussenden, dass wir einen humanitären Grundkompass haben und die internationalen Verpflichtungen akzeptieren.“ Das klingt einfach – und ist doch so schwer.

 
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