Während Medien wie die „Washington Post“ weiter pikante NSA-Unterlagen veröffentlichen, ringt der US-Kongress darum, die Kommunikationsüberwachung des Geheimdiensts zu reformieren. Bruce Schneier arbeitet als international anerkannter Experte für Computersicherheit an der US-Eliteuniversität Harvard und hilft dem britischen „Guardian“ bei der Analyse der Dokumente des Informanten Edward Snowden, ehemaliger NSA-Mitarbeiter. Am Rande einer Konferenz in Washington erklärte der 51-jährige Schneier unserem Korrespondenten Jens Schmitz, warum er vor allem Transparenz für wichtig hält.
Bruce Schneier: Außerhalb von Washington, New York und San Francisco kümmert sich niemand um diese Themen. Es zielt an der Sache vorbei, darüber zu reden, ob Veränderungen im Detail einen Unterschied machen. Das Problem ist viel grundsätzlicher, und meine Sorge ist, dass dem Kongress das gar nicht bewusst ist.
SCHNEIER: Das eigentliche Problem ist, dass wir keinen übergeordneten Rahmen haben, um zu bewerten, welche Überwachungsformen moralisch vertretbar, legal und effektiv sind. Es steht ja nicht infrage, dass die NSA Bösewichte aushorcht. Die Frage ist, ob sie absichtlich die Sicherheit aller anderen Menschen schwächen darf, um das zu tun.
SCHNEIER: Auch Kriminelle interessieren sich für solche Schwachstellen, genauso wie Regierungen in anderen Ländern, die das Leben und die Sicherheit ihrer Bürger bedrohen. Wenn man erst einmal eine geschwächte Version von irgendetwas gebaut hat, kann man nicht garantieren, dass man der Einzige bleiben wird, der das ausnutzt. Es geht um die Grundsatzentscheidung zwischen Massenüberwachung und gezieltem Vorgehen. Diese Entscheidung muss politisch getroffen werden, nicht bei der NSA.
SCHNEIER: Über das meiste kann man offen sprechen. Der 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten schützt vor Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Jeder einzelne Fall, der diesbezüglich vor Gericht gegangen ist, war öffentlich. Und es funktioniert trotzdem. Es kann viel mehr in der Öffentlichkeit geschehen, als die Geheimdienste zugeben wollen.
SCHNEIER: Früher haben wir einfach fremde Regierungen ausgespäht. Nach dem 11. September 2001 hat sich das verändert. Dazu kommt, dass die NSA zwei Aufgaben unter einem Dach erledigt: Angriff und Verteidigung. Das hat sich im Kalten Krieg ziemlich gut ergänzt. Man brauchte für beides dieselbe Expertise, aber die Netzwerke des Feindes waren andere als unsere eigenen. Seit es das Internet gibt, benutzen alle die gleiche Infrastruktur. Man kann jetzt nicht mehr die Standards der Sowjets hacken, ohne dass das Folgen für uns alle hat. Wir brauchen deshalb eine klare Trennung zwischen denen, die Kommunikationsstandards schützen, und denen, deren Aufgabe gezielte Spionage gegen Bösewichte ist.
SCHNEIER: Wenn es in Ihrem Haus ein Feuer gibt, wird es gelöscht. Die Feuerwehr ruft nicht vorher bei der Polizei an und fragt: Wollen Sie, dass das Haus dieses Mannes abbrennt? Wenn die NSA in einen bestimmten Computer eindringen will, dann wird sie das vermutlich auch weiterhin schaffen. Die Abwehr ist aber für uns viel wichtiger als der Angriff. Und im Moment unterliegt sie bei dieser Abwägung fast immer.
SCHNEIER: Wie haben sie ihre Ziele vor 20 Jahren gefunden? Terrorismus ist jahrtausendealt.
SCHNEIER: Und was soll das heißen? Dass wir unsere Gesellschaft aufgeben müssen? Die Bedrohung rechtfertigt unsere Reaktion nicht. Sie ist nicht so groß.
SCHNEIER: Die Zahl der Menschen, die an 9/11 gestorben sind, werden in den USA jeden einzelnen Monat von Autos getötet; alle eineinhalb Monate von Handfeuerwaffen. Terrorismus ist ein Rundungsfehler in der Bedrohungsstatistik, wir können damit umgehen. Aber es sind einfach alle zu verängstigt. Eine Generation später wird das jeder sagen: Erinnerst du dich daran, wie wir uns vor dem Terrorismus in die Hose gemacht haben – war das nicht dumm? Wie damals, als wir uns vor dem Kommunismus gefürchtet haben – waren wir nicht Idioten? Im Zweiten Weltkrieg haben wir Amerikaner mit japanischen Wurzeln interniert. Was haben wir uns dabei gedacht? Es braucht eine Generation, um so etwas einzusehen. Wir können diese Herausforderung bestehen. Sie ist einfach. Der Klimawandel ist schwierig. Foto: Jens Schmitz