
Der Moment der Vertragsunterzeichnung verleitet zum Schmunzeln. Fast wie in der Schule saßen der französische und der deutsche Außenminister, Jean-Yves Le Drian und Heiko Maas, am gestrigen Dienstag nebeneinander an einem Tisch auf der Bühne im prächtigen Krönungssaal des Aachener Rathauses und schielten verstohlen auf das Schriftstück des jeweils anderen: Wo genau kommt eine Unterschrift hin?
Nach ihnen nehmen Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel Platz, um ebenfalls zu unterzeichnen. Feierlich halten sie im Anschluss jeweils ihren frischen „Vertrag von Aachen“ in die Luft, bevor die französische, die deutsche und dann die europäische Hymne erklingen.
Genau 56 Jahre zuvor, am 22. Januar 1963, schufen Präsident Charles de Gaulle und Kanzler Konrad Adenauer mit dem Elysée-Vertrag ein Manifest der Freundschaft zweier einstiger Kriegsfeinde. Ihn ergänzt die neue Vereinbarung, der sich ein Abkommen beider Parlamente anschließt, die sich künftig in einer deutsch-französischen Versammlung treffen.
Die Idee eines „neuen Elysée-Vertrags“ hatte Macron in seiner Sorbonne-Rede im Herbst 2017 aufgebracht. Jetzt lobt seine wichtigste europäische Partnerin Merkel den „atemberaubenden Weg“ der Aussöhnung und wirbt für die „Neubegründung unserer Verantwortung innerhalb der Europäischen Union“.
Europa an erster Stelle
Bewusst setzte man Europa an erste Stelle, so Merkel, die EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk und dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, dessen Land derzeit die wechselnde Ratspräsidentschaft innehat, für ihr Kommen dankte. Deutschland und Frankreich wollen ihre Positionen vor EU-Gipfeln und anderen internationalen Treffen abstimmen – was bislang schon Usus war, ist jetzt vertraglich vereinbart.
Festgeschrieben wird auch eine Klausel des militärischen Beistands im Angriffsfall. Man versuche zu einer gemeinsamen militärischen Kultur, Verteidigungsindustrie und Linie zu Rüstungsexporten zu finden, so Merkel, und damit einen Beitrag zur Entstehung einer europäischen Armee leisten. Mit seiner Forderung danach war der französische Präsident in Berlin lange auf Widerstand gestoßen. Weitere Ziele sind die Schaffung eines „deutsch-französischer Sicherheits- und Verteidigungsrates“ sowie eines Wirtschaftsrates mit zehn unabhängigen Experten.
Entstand im Zuge des Elysée-Vertrags 1963 das Deutsch-Französische Jugendwerk, das seither Millionen Gymnasiasten und Studenten über den Rhein geschickt hat, so fördert dieses heute auch den Austausch von Auszubildenden. Ein Europa der „konkreten Projekte“ brauche man, sagte Macron in der auf die Zeremonie folgenden Bürger-Debatte.
Seine Rede klang bereits nach EU-Wahlkampf, in der er die EU als „Schutzschild unserer Völker gegen die neuen Tumulte der Welt“ bewarb. Jene, die Lügen verbreiteten, „tun unserer Geschichte und unseren Völkern weh“, klagte der Präsident die Vertreter rechtsextremer und nationalistischer Parteien wie dem Rassemblement National sowie „Aufstehen, Frankreich“ („Debout la France“) an, die zuletzt vor einem „Ausverkauf“ Frankreichs an Deutschland gewarnt hatten: Elsass und Lothringen kämen quasi unter deutsche Kontrolle, wurde geraunt, außerdem müsse Frankreich seinen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat abgeben.
Augenmerk auf die Grenzregionen
Tatsächlich wird in dem Schriftstück nur das Streben der Bundesrepublik nach einem eigenen Sitz unterstützt. Ein besonderes Augenmerk gilt den Grenzregionen: Dort sollen „Eurodistrikte“ mit besonderen Kompetenzen ausgestattet werden, bürokratische Hürden fallen, ein „deutsch-französischer Wirtschaftsraum“ mit angepassten steuerlichen Regeln entstehen und die Sprache des jeweils anderen systematisch gelernt werden. Sie wisse aus eigener Erfahrung, wie „träge“ die politischen Antworten auf Herausforderungen oft ausfallen, sagte Merkel selbstkritisch. Das solle diesmal anders sein.