Das automatisierte Fahren ist keine Utopie mehr. In Bayern wurde auf der Autobahn 9 bereits 2015 ein rund fünf Kilometer langer Abschnitt bei Pfaffenhofen zur Teststrecke ausgebaut. Das Thema hat sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik höchste Priorität. Denn man muss wissen: Nicht Google oder Tesla, sondern deutsche Unternehmen sind auf diesem Gebiet führend. Von den etwa 3000 Patenten zum autonomen Fahren, die seit 2010 weltweit registriert wurden, stammen über 50 Prozent aus Deutschland.
Das Fahren ohne menschliche Hand am Steuer verspricht also gute Geschäfte und eine komfortable Fortbewegung. Für Hersteller, Passagiere, andere Verkehrsteilnehmer, Versicherer und Gerichte stellen sich aber schwierig zu beantwortende Fragen: Wer würde denn ein Fahrzeug kaufen oder benutzen, dessen Software es unter Umständen für die am wenigsten schlechte Lösung in einer ausweglosen Situation hält, das Leben der Insassen aufs Spiel zu setzen?
Oder: Wie soll ein computergelenktes Fahrzeug entscheiden, kurz bevor es einen Unfall baut? Der Apparat muss jede denkbare Situation antizipieren. Er muss möglicherweise auswählen, ob ein gesundes Schulkind oder ein kranker Neunzigjähriger getötet wird?
Fragen nach Leben und Tod
Es sind unter anderen extreme Ausnahmesituationen, die debattiert wurden. Autonome Fahrzeuge werden, davon sind Fachleute und Hersteller überzeugt, die Zahl der Verkehrsunfälle drastisch senken. Das ist einer der wichtigsten Gründe, sie überhaupt zu entwickeln. Aber für die gesellschaftliche Akzeptanz der Technik und für ihren Erfolg auf dem Markt wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass auch die Fragen nach Leben und Tod beantwortet werden können.
Nach einem Jahr hat die von Bundesverkehrsminister Dobrindt eingesetzte Ethikkommission unter Leitung des früheren Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio am gestrigen Dienstag in Berlin ihren Abschlussbericht zum automatisierten und vernetzten Fahren vorgelegt. In dieser Kommission arbeiteten hoch kompetente Fachleute mit, darunter der Augsburger Weihbischof Anton Losinger und der Würzburger Jurist und Rechtsphilosoph Professor Eric Andreas Hilgendorf.
In dem 44-seitigen Manuskript werden auch all die Fragen diskutiert, die der Mensch normalerweise unterbewusst oder instinktiv beantwortet. Denn der Fahrer am Lenkrad hat oft gar keine Zeit, bewusste Abwägungen zu treffen. Wenn der Computer am Steuer ist, muss aber alles geregelt sein. 20 ethische Grundforderungen hat die Kommission nun vorgeschlagen, auf deren Basis alles weitere Regelwerk fußen soll.
In erster Linie geht es darum, dass bei der neuen Technik Sicherheit oberste Priorität hat. Darum steht ganz vorne die Forderung: „Der Schutz von Menschen hat Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen.“ Es sollen weniger Unfälle entstehen, wenn möglich, sollen sie durch die Technik sogar vermieden werden“, sagte Losinger. Nach Meinung der Experten ist die Zulassung der neuen, automatisierten Fahrsysteme nur vertretbar, wenn sie im Vergleich zu menschlichen Fahrern weniger Schäden verspreche. Darum müsse eine „erhebliche Steigerung der Verkehrssicherheit Entwicklungs- und Regulierungsziel“ sein.
Defensive Programmierung
Die logische Konsequenz: Nach Meinung der Ethikkommission müssen autonom gesteuerte Autos so programmiert werden, dass sie defensiv und vorausschauend gesteuert werden – immer zugunsten schwächerer Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer. Betont wird aber auch, dass „technisch unvermeidbare Restrisiken bei Vorliegen einer grundsätzlich positiven Risikobilanz nicht entgegenstehen“, wie es im Juristendeutsch des Berichts heißt.
Ein entscheidender Punkt ist laut Losinger die Forderung, dass bei unausweichlichen Unfällen, die „jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen“ wie Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution strikt untersagt werden soll. Dies heißt, dass ein Fahrzeugcomputer beispielsweise vor einem Unfall eben nicht unterscheidet, ob es ein Kind oder einen Greis anfährt.
Für vertretbar hält es die Kommission allerdings, dass die Autos derart programmiert sind, dass sie in Unfallsituationen so entscheiden, dass möglichst wenig Personen zu Schaden kommen.
Und es wird sich mit der Einführung des automatisierten Fahrens noch etwas Entscheidendes im Straßenverkehr ändern: Die Verantwortung wird sich vom Autofahrer auf die Hersteller und Betreiber der Technik sowie „die infrastrukturellen, politischen und rechtlichen Entscheidungsinstanzen“ verschieben. „Neue gesetzliche Haftungsregelungen müssen diesem Übergang Rechnung tragen“, fordert die Kommission.
Das heißt, es muss neue Kfz- und Unfallversicherungen geben.