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Was bleibt beim Abschied?
Zehn Jahre Ministerpräsident: Horst Seehofer verlässt „das schönste Amt nach dem des Papstes“. Er selbst sieht seine bayerische Mission erfüllt. Doch der 68-Jährige lässt seinem Nachfolger manche politische Baustelle zurück.
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 21.03.2018 03:01 Uhr

Er galt stets als unberechenbar – und doch mussten politische Freunde und Gegner jederzeit mit ihm rechnen: Nach fast zehn Jahren gibt Horst Seehofer das Amt des Ministerpräsidenten nun ab. „Bayern ist das Paradies und Ministerpräsident das schönste Amt nach dem des Papstes“, beteuerte er erst kürzlich noch einmal in der „Süddeutschen Zeitung“. Seinen Trennungsschmerz betäubt er mit einer neuen Aufgabe als Bundesinnenminister: Bundespolitik, findet er, sei eben doch „ein bisschen prickelnder“ als die politische Landesliga, über deren Niveau er sich immer wieder auch lustig gemacht hat.

Dass der geordnete Übergang auf einen Nachfolger, den er zu Beginn seiner Zeit in München gar zu seiner „Mission“ erklärt hatte, am Ende in einem sehr CSU-typischen Machtkampf endete, will der 68-Jährige zumindest öffentlich nicht so sehen: Selbstbestimmt und aus freien Stücken mache er den Weg für den von ihm lange und intensiv bekämpften Nachfolger Markus Söder frei – so lautet seine Interpretation der vergangenen Monate. Eine Sicht der Dinge, die er allerdings selbst in der CSU weitgehend exklusiv haben dürfte. Auf dem Münchner Nockherberg wurden Seehofers zäher Abschied von der Macht in Bayern jedenfalls treffend in eine Liedzeile gepackt: „Sieh‘ es ein, alter Horst, du musst gehen . . .“

Der Rücktritt am 13. März 2018 ist das Ende einer landespolitischen Geschichte, die für den Bundespolitiker Horst Seehofer nach dem CSU-Fiasko bei der Landtagswahl 2008 begann: Über 17 Prozent und die alleinige Macht hatte die Partei unter dem Führungsduo Erwin Huber und Günther Beckstein verloren. Seehofer sei „die letzte Patrone im Colt der CSU“, befand der CSU-Experte Heinrich Oberreuter. Und der Ingolstädter – im Jahr zuvor im Kampf um den Parteivorsitz gegen Huber noch klar gescheitert – meldete sofort seinen Führungsanspruch an.

Zuerst musste Huber als Parteichef seinen Platz für Seehofer räumen. Beckstein sollte nach dem Willen der CSU-Spitze dagegen möglichst als Ministerpräsident gehalten werden. Doch Seehofer wollte die ganze Macht in der CSU – und verdrängte auch den Franken. „Das sind politische Prozesse, da kann man nichts machen“, soll er später kühl erklärt haben. Am 27. Oktober 2008 wurde er schließlich Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition in Bayern. „Das ist der größte Moment in meinem politischen Leben“, sagte Seehofer damals.

In der Landtags-CSU stieß der politische Einzelkämpfer Seehofer auf tiefe Skepsis: „Horst, die Ich-AG“ wurde er dort genannt. Seine ersten landespolitischen Schritte hielten lang gediente CSU-Abgeordnete gar für „dünne Suppe“. Denn anders als etwa Edmund Stoiber setzte Seehofer nicht auf eine ausgefeilte politische Strategie, die er nach und nach hätte abarbeiten können. Ganz Bauchpolitiker verließ er sich auf sein politisches Gefühl – und schreckte dabei auch vor politischen Kehrtwenden nicht zurück.

Doch auch Seehofer wurde mit der „Herzkammer der CSU“ über all die Jahre nie so recht warm: Zu viel kleinteiliges „Mäusekino“ herrscht aus seiner Sicht in der Landtags-CSU. Zu viele „Pyjama-Strategen“ machten ihm aus seiner Sicht im Maximilianeum immer wieder das Leben unnötig schwer.

Man müsse Politik immer „vom Ende her denken“, trichterte Seehofer den Seinen deshalb immer wieder ein. Denn: „Die Wahrheit liegt in der Wahlurne.“ Nicht Ideologie oder langfristige Konzepte bestimmten Seehofers politischen Kurs, sondern die Popularität seiner Entscheidungen beim Wähler. In seiner 2013 ausgerufenen „Koalition mit dem Bürger“ trieb Seehofer dieses Politikverständnis auf die Spitze: Nicht mehr Mehrheiten im Landtag sollten seiner Politik die Richtung geben, sondern der Erfolg seiner Entscheidungen in der Bevölkerung.

Inhaltlich wickelte Seehofer nach und nach die Ära Stoiber ab: Er schaffte die 42-Stunden-Woche für Beamte genauso ab wie die Studiengebühren an Bayerns Hochschulen. Zuletzt kehrte die CSU auf Druck des Regierungschefs sogar wieder zum neunjährigen Gymnasium zurück.

Kaum im Amt überrollte ihn zudem die Krise der BayernLB, für die Seehofers Koalitionsregierung zehn Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen musste. Wirtschaftspolitisch begann Seehofer mitten in der Finanzkrise 2008 damit – sozusagen im Tal der Tränen. Doch von da an ging es vor allem finanziell in Bayern fast nur noch steil bergauf: Von rund 37 Milliarden Euro vor Seehofers Amtsantritt schnellte der bayerische Staatshaushalt auf über 60 Milliarden Euro im Jahr 2018.

Weil die Einnahmen noch schneller wuchsen als die Ausgaben, blieb Seehofer trotzdem genug Spielraum für öffentlichkeitswirksame Wohltaten: ein Bayern-Museum in Regensburg, ein neuer Konzertsaal für München, eine neue Universität für Nürnberg, der Ausbau der Uniklinik oder die Sanierung des Mainfränkischen Museums in Würzburg – aber auch Tausende neue Beamtenstellen in ganz Bayern.

„Da gab es eine Politik, die Zusagen einlöste“, lobt sich Seehofer zum Abschied selbst – und verweist auf politische Erfolge wie die mit Milliardenkosten nun unter der Erde verlegten neuen Stromtrassen durch Bayern. Zu seinem Politikstil gehörte es allerdings auch, Zusagen zu geben, die weit in die Zukunft gerichtet waren: Bis 2030 werde Bayern alle Altschulden tilgen, versprach er 2012. Doch der jährliche Schuldenabbau blieb trotz sprudelnder Einnahmen stets unter den dafür notwendigen Jahresraten zurück. Bis 2023 wollte Seehofer Bayern zudem komplett barrierefrei machen – doch auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit bis heute meilenweit auseinander.

Typisch für Seehofers Politikstil war auch die im Sommer 2016 selbst für die eigenen Fachminister völlig überraschend präsentierte Idee eines dritten Nationalparks in Bayern: Vom Ende her denkend – also vom nächsten Wahltermin – glaubte Seehofer, im Naturschutz eine offene Flanke der CSU zu entdecken, die er mit dem neuen Nationalpark schließen wollte. Doch der Plan ging nicht auf: Das Thema spaltete die Bevölkerung ganzer Regionen, nicht zuletzt in Unterfranken. Die Scherben darf nun Nachfolger Markus Söder wegräumen.

Anders als seine Amtsvorgänger Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber reiste Seehofer nicht gerne. In seiner zweiten Amtszeit sorgte zudem eine gewisse Unwucht in Richtung autoritärer Staaten für Schlagzeilen: Seehofer fuhr nach China und traf den Ungarn Viktor Orban und den Russen Wladimir Putin. Nach Frankreich oder in die USA reiste er dagegen nicht. Ein bleibendes Verdienst des Ingolstädters ist hingegen seine Reise nach Prag im Dezember 2010, die eine lange, von der CSU gepflegte Eiszeit mit dem östlichen Nachbarn beendete und die Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien auf eine völlig neue Grundlage stellte.

Während Seehofer persönlich in seiner Amtszeit von politischen Skandalen verschont blieb, war er doch immer wieder als Krisenmanager gefragt: Vor allem die Verwandtenaffäre im Landtag kurz vor der Landtagswahl 2013 drohte die CSU ins Wanken zu bringen. Doch Seehofer reagierte radikal und effektiv: CSU-Fraktionschef Georg Schmid musste gehen, betroffene Regierungsmitglieder wie Ludwig Spaenle oder Gerhard Eck übten sich in von Seehofer verordneter Demut und zahlten den Familien-Lohn an den Landtag zurück. Wie man an schlechtem Krisenmanagement scheitert, zeigte dagegen rund ein Jahr später Seehofers Staatskanzleichefin Christine Haderthauer, die über ihre „Modellauto-Affäre“ stürzte.

Interne Konflikte scheute der Oberbayer nie. Im Gegenteil: Oft beförderte er sie sogar. Die eigenen Leute beschimpfte er dann schon mal auch öffentlich als „Glühwürmchen“, „Leichtmatrosen“ oder „Kleinstrategen“. Im Landtag hielt der Ministerpräsident („Das können Sie alles senden“) gerne in einer Journalisten-Traube Hof, um seine politischen Botschaften und Bosheiten möglichst weit unters Volk zu streuen.

Legendär auch die CSU-Weihnachtsfeier, bei der Seehofer seinem stärksten internen Rivalen Markus Söder offen „charakterliche Schwächen“ und „zu viele Schmutzeleien“ attestierte. Seehofer und Söder sind sich vor allem in Machtfragen wohl einfach zu ähnlich, um dauerhaft ein gutes Verhältnis haben zu können: Jeder weiß, was er an der Stelle des anderen täte – und traut ihm deshalb jedes politische Foul zu.

„Von Politik habe ich keine Ahnung, aber ich weiß, wie man Wahlen gewinnt“, kokettierte Seehofer gerne. 2013 hatte er – unter anderem mit dem erfolgreichen Kampf gegen neue Windräder in Bayern – die CSU tatsächlich wieder zur alleinigen Macht im Freistaat geführt. Nach der Europawahl 2014 und vor allem nach der Bundestagswahl 2017, die Seehofer beide mit einem schlingernden Sowohl-als-auch-Kurs für seine Partei in den Sand gesetzt hatte, war dieser Gewinner-Nimbus jedoch dahin.

Doch von der geordneten Machtübergabe „ohne Zwang und aus freien Stücken“, die Seehofer zu Beginn seiner Zeit in der Münchner Staatskanzlei angekündigt hatte, blieb am Ende wenig übrig. Und obwohl er selbst auf dem Weg zur Macht nicht zimperlich gewesen war, klagte er zuletzt über ausbleibende Dankbarkeit, „Demontage“ und „Bösartigkeiten“ aus den eigenen Reihen. Dabei stand Bayern „in seiner über 1000-jährigen Geschichte noch nie so blendend da“, findet Seehofer selbstbewusst im „SZ“-Interview. Doch im Leben sei eben alles endlich: „Und in der Politik allemal.“

 
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