Hans de Borst steht fast ein wenig ehrfürchtig vor diesem Gerippe, das einmal eine stolze Boeing 777-200 war. Was er sieht, wirkt wie ein dreidimensionales Puzzle, das schreckliche Abbild des in zehn Kilometer Höhe explodierten Flugzeugs mit der Flugnummer MH 17. Luftfahrtexperten haben die Trümmer auf dem niederländischen Stützpunkt Gilze-Rijen lückenhaft zusammengesetzt. Es ist die Maschine, in die de Borsts Tochter am 17. Juli 2014 in Amsterdam stieg, um in die malaysische Hauptstadt Kuala Lumpur zu fliegen.
„Die Fachleute nennen ja zwei Theorien, was die Insassen angeht“, sagt de Borst am Dienstag. „Die eine lautet, dass sie wahrscheinlich nichts mehr mitbekommen haben. Die andere, dass sie womöglich noch ein paar Sekunden gelebt haben. Ich persönlich halte mich an die erste Theorie, denn es hilft mir nicht, wenn ich mir vorstelle, dass meine Tochter noch zehn Sekunden gelebt hat.“
15 Monate lang haben Experten aus sieben Ländern unter Leitung des niederländischen Sicherheitsrates versucht herauszufinden, was an diesem Tag gegen 15.20 Uhr in zehn Kilometern Höhe über dem Osten der Ukraine wirklich passiert ist. Jetzt wissen sie es. Behördenchef Tjibbe Joustra fasste gestern den Abschlussbericht zur Unglücksursache so zusammen: „Flug MH 17 stürzte ab, weil auf der linken Cockpit-Seite ein Raketenkopf explodierte.“ 298 Menschen, darunter 80 Kinder, starben.
„Es war keine Bombe an Bord, kein technischer Defekt lag vor, kein Meteorit schlug ein und keine Luft-Luft-Rakete wurde von einem Militärflugzeug abgeschossen“, bekräftigt Joustra am Dienstag. Mit Hilfe chemischer Analysen habe man Bestandteile einer BUK-M1-Luftabwehrrakete identifizieren können. Das Geschoss war mit einem 9N314M-Sprengsatz bestückt. Dieser sogenannte Fragmentations-Gefechtskopf explodierte wenige Meter neben der linken Cockpitseite, seine Geschosse durchsiebten die Außenhaut, töteten die Piloten sofort. Die Flugzeug-Konstruktion wurde „durch den enormen Luftdruck“ instabil, der 17 Jahre alte Jet brach auseinander.
Drängendste Frage ungeklärt
„Innerhalb weniger Augenblicke hatten die Passagiere und Besatzungsmitglieder das Bewusstsein verloren. Sie bekamen nichts mehr von dem Absturz mit“, sagt der Chef des Untersuchungsteams, als wolle er die anwesenden Angehörigen trösten. Doch das kann er nur bedingt. Denn die wollen mehr wissen: Wer hat diese Rakete auf das zivile Flugzeug abgeschossen?
Es ist die drängendste, die wichtigste Frage. Doch sie bleibt unbeantwortet. Schließlich sollten die Techniker nur herausfinden, was das Flugzeug in der Luft explodieren ließ, nicht wer dafür verantwortlich sein könnte. Man hatte fest damit gerechnet, dass die internationalen Ermittler deshalb schweigen würden. Doch Joustra lässt sich den Mund nicht verbieten. „Warum flog MH 17 über ein Gebiet, von dem bekannt war, dass dort ein militärischer Konflikt stattfand?“, fragt er. Minutiös zeichnet der Niederländer die Flugroute nach. 61 Airlines aus 31 Ländern insgesamt 160 Jets direkt über das Krisengebiet.
„Staaten und Fluggesellschaften müssen ihre Risiko-Analysen verbessern“, lautet die erste Schlussfolgerung Joustras. Denn die Airlines sind selbst für den Weg verantwortlich, den ihre Maschinen nehmen, solange er von der Regierung eines Krisenstaates, der Luftraumkontrolle Eurocontrol oder der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt freigegeben wurde. Als MH 17 explodierte, hatte niemand eine Sperrung erlassen. Die zweite Lehre fällt noch deutlicher aus: „Die Ukraine hätte ihren Luftraum viel früher für zivile Maschinen sperren müssen.“ Zwar erließ Kiew tatsächlich noch am Abend des 17. Juli ein Überflugverbot, doch die Maßnahme kam für MH 17 zu spät.