Der wichtigste Partner für die Türkei bleibt trotz aller Spannungen Europa. Davon ist Günter Seufert überzeugt. Der Sozialwissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt Türkei ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin beschäftigt, die unter anderem den Bundestag und die Bundesregierung berät.
Günter Seufert: Die Türkei versucht, in Europa wieder gute Wetter zu machen. Es hat ja in den vergangenen Tagen bereits mehrere Freilassungen gegeben. So wurde der Ehrenvorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, aus der Untersuchungshaft entlassen. Ebenso durften zwei griechische Soldaten, die versehentlich die Grenze überschritten hatten, das Land verlassen.
Seufert: Es geht Präsident Erdogan darum, mit Europa wieder eine gemeinsame Grundlage zu finden. Das geschieht natürlich nicht aus Einsicht, sondern aus dem Zwang der aktuellen Wirtschaftskrise heraus. Denn im Konflikt zwischen der Türkei und den USA sind derzeit weder der türkische Präsident Erdogan noch US-Präsident Trump bereit nachzugeben. Dabei stand der Streit um den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor schon kurz vor einer Lösung. Pastor Brunson sollte gegen einen wegen Wirtschaftskriminalität in den USA inhaftierten Manager einer staatlichen türkischen Bank ausgetauscht werden. Doch dann hat die Türkei mit ihren Forderungen überzogen, als sie auch noch forderte, die Bank von Strafzahlungen zu befreien. Erdogan und Trump haben sich nun soweit aus dem Fenster gelehnt, dass sie nicht mehr zurück können.
Seufert: Die Türkei sucht nun verstärkt die Nähe zu Katar, China und Russland, es geht Ankara darum, Handelsgeschäfte nicht über den US-Dollar, sondern in einheimischen Währungen abzuwickeln. Der wichtigste Partner für die Türkei aber bleibt Europa. Viele Kredite der türkischen Wirtschaft und rund die Hälfte der türkischen Staatsanleihen werden aus Europa finanziert. Ein Crash der Türkei wäre also nicht im europäischen Interesse.
Seufert: Nein, darum geht es jetzt nicht. Aber Signale aus Deutschland, die die Türkei ermuntern, Schritte in die richtige Richtung zu tun, sind sehr zu begrüßen. Und die Bundesregierung sollte jetzt an deutsche Unternehmen die Botschaft senden, weiter mit der Türkei Geschäfte zu machen und die Wirtschaftsbeziehungen sogar noch auszubauen.
Seufert: Die schärferen Töne der Bundesregierung haben sich auch ausgezahlt und letztlich zur Freilassung von Peter Steudtner und Deniz Yücel geführt. Aber seit dem Augenblick, in dem die Türkei faktisch keine Perspektive mehr zum Beitritt in die Europäische Union hatte, gibt es für Deutschland oder Europa keinen Hebel mehr, die Türkei zu demokratischen Reformen zu zwingen. Es ist zwar erfreulich, dass Mesale Tolu jetzt ausreisen darf. Aber in der Türkei werden immer noch ausländische Staatsbürger ohne richtige Beweise in Fantasieprozessen angeklagt. Die Entdemokratisierung und der Abbau von Freiheitsrechten gehen ja weiter.
Seufert: Das würde nichts bringen und Bundeskanzlerin Merkel weiß das auch. Sie nennt als Bedingung für Hilfen ja nur die Unabhängigkeit der Zentralbank, von Menschenrechten ist keine Rede. Aber das ist nur ein Ausdruck von Realismus. Es ist zwar traurig, aber Deutschland unterhält viele Wirtschaftsbeziehungen mit autoritären Staaten, denken Sie an Saudi-Arabien, Russland oder China.
Seufert: Für die Türkei gelten insofern andere Maßstäbe, als dass sie zumindest auf dem Papier noch ein EU-Beitrittskandidat ist. Und durch die türkische Migration nach Deutschland ergibt sich natürlich eine ganz besondere Betroffenheit. In der jetzigen Situation geht es vor allem darum, zu vermeiden, dass die Türkei vollkommen abdriftet, sich weiter dem Nahen Osten oder Russland zuwendet. Würde die Türkei aus der Nato austreten, wäre gerade die europäische Sicherheit in Gefahr. Wenn die Wirtschaftskrise weiter anhält, ist zudem eine weitere Radikalisierung der türkischen Politik zu befürchten, die Stimmung in der Bevölkerung könnte sich noch stärker gegen den Westen richten.
Seufert: Auf Entspannung deutet im Momenten wenig hin. Aber ausschließen können wir das auch nicht. Bei US-Präsident Trump geht es ja oft schnell mit überraschenden Wendungen und Kurswechseln. Wir sollten die Hoffnung also nicht aufgeben.