Die Festtage nahen, gesellige Runden bilden sich, man trinkt etwas vom guten Roten und lässt vielleicht das alte Jahr Revue passieren. „Prosit Neujahr“, heißt es kurz darauf, wenn im Glas der Schaumwein schwappt. Woher kommen derlei Rituale, was hat der Alkohol dabei zu suchen und geht es womöglich gar um Höheres? Der Religionswissenschaftler Peter Johannes Bräunlein von der Universität Leipzig hat sich mit dem Thema „Religion und Rausch“ beschäftigt.
Bräunlein: Es hat mit Religion aber nichts zu tun. Im Gegenteil: Der Brauch ist höchst profan und entstammt vermutlich der studentischen Trinkkultur des frühen 18. Jahrhunderts.
Bräunlein: Rauscherfahrungen gehören zu unserer Geschichte, sowohl zu unserer individuellen Geschichte, aber auch zur Menschheitsgeschichte. Allerdings fühlen sich die meisten Menschen recht wohl in ihrer Haut, wenn sie wissen, wo oben und unten ist, und dass der Schrank kein Monster ist, der ihnen irgendwas Rätselhaftes verkünden möchte.
Bräunlein: . . . aber es gibt auch Menschen, die Zweifel haben, ob ihre Alltagswirklichkeit die letztgültige ist, und die dann auf Entdeckungsreise gehen, um unbekannte Bereiche ihres Bewusstseins zu erkunden. Das hat durchaus etwas mit einem Bedürfnis nach mystischer Erfahrung, nach Spiritualität zu tun – wobei ich direkt zwei Einwände machen möchte.
Bräunlein: Zum einen fehlen uns für lange Phasen der Kulturgeschichte die Quellen, um konkrete Bezüge zwischen Religion und Drogen präzise zu erörtern.
Bräunlein: Juden und Christen schätzten den Wein. Und es ist in der Tat bemerkenswert, dass das erste Wunder Jesu mit Alkohol zu tun hat. Aber der diente nicht dazu, irgendeine Heilserfahrung zu machen oder das Bewusstsein zu erweitern. Alkohol – in Maßen genossen – war eine Sache der Geselligkeit, des gemeinsamen Feierns, der Lebensfreude. Der zweite Einwand betrifft den Rauschbegriff als solchen. Das Wort nimmt ja erst im 16. Jahrhundert die Bedeutung an, die wir heute damit verbinden. Also einen Kontrollverlust, namentlich Trunkenheit infolge von übermäßigem Alkoholgenuss. Im Mittelhochdeutschen rauschten dagegen nur die Blätter oder das Wasser.
Bräunlein: Unter anderem durch Schriftsteller wie Sebastian Brant. In seinem „Narrenschiff“ schildert er Ende des 15. Jahrhunderts ausführlich die Torheiten des menschlichen Gemüts und der Seele. Trunkenheit wird verurteilt, weil sie Vernunft und Sinn zerstört.
Bräunlein: Dem Protestantismus wird ja immer zugeschrieben, dass er zu einer Disziplinierung des Menschen beigetragen hat. Insofern ist da durchaus eine Spur gelegt. Wobei Luther keineswegs gegen Bier- und Weinkonsum war.
Bräunlein: Angesichts der mangelhaften Wasserqualität nimmt das nicht weiter Wunder. Was die Reformatoren anprangerten, war übermäßiger Genuss, Sauferei. Bei diesem Kampf taten sich vor allem Johannes Calvin und Huldrych Zwingli hervor.
Bräunlein: Calvin hat in Genf alle Wirtshäuser schließen lassen und „Abteien“ eingerichtet. Das waren so etwas wie Clubs oder Casinos, die die lärmigen Gaststuben um die Ecke ersetzen sollten. Dort wurde hauptsächlich gebetet. Trinken durfte man wohl auch, aber nur bis neun Uhr abends. Ähnlich hielt das Zwingli in Zürich.
Bräunlein: Luther widersetzte sich solcher Reglementierung aus der Erkenntnis heraus, dass freudiges Leben und Geselligkeit mit zum Menschsein gehören. In Eigenbrötlerei sah er eine Versuchung. Luthers Gegner war nicht der Alkohol, sondern der Teufel.
Bräunlein: Im 19. Jahrhundert kam es in Europa und Amerika zu den großen Anti-Alkohol-Kampagnen. Die Industrialisierung und eine Auflösung der herkömmlichen gesellschaftlichen Strukturen hatten den Alkohol zur Zivilisationsdroge Nummer eins gemacht. Und mit Sorge beobachteten Kritiker, wie immer mehr Zeitgenossen ihre Nöte in Branntwein und Co ertränkten. Alkohol galt als Teufelszeug – ähnlich wie unter manchem Reformator.
Bräunlein: Das Alkoholverbot wird dort mit Koran-Versen begründet. Allerdings gibt es eine beachtliche mystische Lyrik, in der Wein und Rausch einen Weg zur Annäherung an Gott beschreiben. Das sind poetische Metaphern und ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit dem tatsächlichen Konsum von Wein. Interessanterweise sind im Paradies Flüsse von Milch, Honig und Wein zu finden. Der Paradieswein wirkt jedoch nicht berauschend.