In einer gemeinsamen Initiative fordern die deutsche Nichtregierungsorganisation Transparency International, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat, und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) deutlich strengere Regeln für Lobbyisten. Im Interview schlagen Transparency-Chefin Edda Müller und VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann unter anderem die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters sowie einen „legislativen Fußabdruck“ vor: Der soll bei jedem Gesetzentwurf dokumentieren, welcher Verband an welcher Stelle welchen Einfluss auf die gesetzgeberische Arbeit genommen hat. Müller und Tillmann wollen so mehr Transparenz in der Politik schaffen.
Edda Müller war unter anderem Referentin im Bundeskanzleramt und Umweltministerin in Schleswig-Holstein und ist seit 2010 Vorsitzende der Organisation Transparency International Deutschland. Utz Tillmann begann als promovierter Biologe bei der Ludwigshafener BASF im Umweltbereich, war beim europäischen Chemieverband in Brüssel tätig und ist seit 2008 als Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) oberster Interessenvertreter dieser Branche.
Edda Müller: Ja, er ist ein Lobbyist, so wie ich als Vorsitzende von Transparency International Deutschland auch eine Lobbyistin bin.
Müller: Weil er bestimmte Interessen gegenüber der Politik vertritt, wie ich auch. Das ist absolut legitim, denn das gehört zum Wesenselement der Demokratie.
Müller: Nein. Nach Artikel 9 des Grundgesetzes haben alle Bürger das Recht, sich zu Vereinen oder Verbänden zusammenzuschließen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten.
Müller: Das hat seine Gründe, weil wir innerhalb der Interessenvertreter eine zunehmende Ungleichheit feststellen. Zwar hat jeder das Recht, seine Interessen zu artikulieren, aber wir brauchen auch Chancengleichheit, damit faire Bedingungen herrschen. Wir haben aber im Bereich des Lobbyismus inzwischen eine völlig neue Situation. Die klassischen Verbände, die die Interessen ihrer Branche, ihrer Mitglieder oder einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe bündeln und somit für den politischen Willensbildungsprozess wichtige Ansprechpartner sind, geraten zunehmend ins Hintertreffen. Denn durch kommerzielle Dienstleistungsunternehmen, vor allem hoch spezialisierte Anwaltskanzleien oder Unternehmensberater, die vor allem im Auftrag von multinationalen Konzernen tätig werden und gezielt Einfluss nehmen, verändern sich die Spielregeln.
Müller: In der Tat, das Prinzip der Bündelung der Interessen durch die Verbände, der Ausgleich der Interessen durch unterschiedliche Verbände, wird dadurch gestört. Deshalb ist Transparenz so wichtig. Wir sitzen hier zusammen, weil es uns um Chancengleichheit und Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen geht.
Utz Tillmann: Überhaupt nicht. Ich sehe das auch nicht negativ. Lobbyismus ist heute etwas anderes als früher. Es geht nicht darum, immer nur Nein zu sagen oder etwas zu verhindern, sondern Vorschläge zu machen, mit denen die Politik auch etwas anfangen kann. Das ist nur im Dialog möglich. Über allem steht die Frage: Wie werden wir unserer Verantwortung gerecht – gegenüber unseren Mitgliedsunternehmen, gegenüber den Beschäftigten, aber auch gegenüber der Gesellschaft.
Tillmann: Beide sind gleich wichtig. Ein Gesetz hat fachliche Elemente, die stimmig sein müssen. Dafür ist die Fachebene der Ministerialbürokratie verantwortlich. Und es gibt politische Aspekte, dafür sind die Politiker zuständig. Und beide sollen wissen, dass ich mit dem jeweils anderen auch geredet habe.
Tillmann: Nein.
Müller: Wir sehen die gegenwärtige Entwicklung mit Sorge und sagen: Um die demokratische Notwendigkeit von Interessenvertretung zu sichern, brauchen wir klare Regeln und mehr Transparenz. Das ist unsere Botschaft – und zwar auf beiden Seiten. Um zu politischen Entscheidungen zu kommen, sind handlungsfähige Strukturen nötig, dazu gehört auch die Bündelung der Interessen und die Chance für jeden, sein Anliegen zu artikulieren.
Müller: Ziel ist, dass alle Akteure, die hauptamtlich mit der Vertretung von Interessen zu tun haben, Verbände wie Thinktanks, die eine immer größere Rolle spielen, Anwaltskanzleien und Dienstleister, registriert werden. Nicht nur die Namen, wie bisher beim Bundestag, das sagt relativ wenig aus, sondern umfassend: Wie hoch ist ihr Etat? Wie finanzieren sie sich? Wir haben auf der Ebene der EU in Brüssel ein derartiges Register, da müssen die personellen wie finanziellen Ressourcen offengelegt werden. Wie viel Geld steckt dahinter? Wo kommt es her? Das ist ganz wichtig bei Thinktanks, die häufig einen hübschen Namen haben. Aber da muss man wissen, wer steckt dahinter und welche Interessen hat er? Das hat sich bewährt, das sollte man verpflichtend auf Deutschland übertragen. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter und wollen nicht nur den Input, sondern auch den Output offenlegen.
Tillmann: Wenn ein Gesetz verabschiedet wird, ist es ganz wichtig zu wissen, wer hat wie zu seiner Entstehung beigetragen und sich im Entscheidungsprozess an welcher Stelle durchgesetzt. Wer hat welche Informationen geliefert und was hat davon Eingang in das Gesetz gefunden? Damit kann man die Entwicklung eines Gesetzes nachvollziehen und erkennen, welche Position sich durchgesetzt hat. Das ist sehr hilfreich und sorgt für Transparenz.
Müller: Jeder Gesetzentwurf enthält eine Begründung. Wir fordern, dass an dieser Stelle dokumentiert wird, was im Vorfeld geschehen ist, und im Einzelnen dargelegt, welche Interessenvertretung stattgefunden hat. Darüber sollte dann auch der Bundestag in der ersten Lesung diskutieren.
Tillmann: Es geht um Nachvollziehbarkeit. Die Menschen sollen verstehen können, wie das Gesetz zustande gekommen ist.
Tillmann: Ich verspreche mir davon Glaubwürdigkeit. Wenn die Politik wie die Bevölkerung offen informiert wird, wie wir agieren, wird für alle nachvollziehbar, was wir tun und warum wir das tun. Das stärkt auch das Vertrauen in die Politik, weil der Vorwurf der Mauschelei im dunklen Hinterzimmer nicht mehr erhoben werden kann.
Müller: Und das wiederum wird die Arbeit der Verbände und Dienstleister in diesem Bereich verändern. Denn auch sie müssen sich intern an Regeln halten und sich öffentlich für ihr Tun rechtfertigen.
Müller: Na und ob! Wir suchen Verbündete, sprechen mit den politischen Akteuren, es gibt bereits verschiedene Gesetzentwürfe, das Thema wäre fast in den Koalitionsvertrag gekommen. Unser Ziel ist, dass es noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz gibt. Dafür arbeiten wir.
Tillmann: Wir verstehen uns als Problemlöser. In diesem Sinne wollen wir einen Beitrag leisten, damit es am Ende eine gute Lösung gibt.