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WÜRZBURG
Warum viele Mütter später arm dran sein werden
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 15.07.2017 03:48 Uhr

Sieben Millionen Frauen aus den geburtenstarken Jahrgängen gehen in den nächsten Jahren in Rente. Sie sind gut ausgebildet und berufstätig – trotzdem wird etwa ein Drittel von ihnen nicht mehr als 600 Euro Rente bekommen. Die Journalistin und Autorin Kristina Vaillant beschreibt in ihrem Buch „Die verratenen Mütter“ das Ausmaß dieses Skandals und nennt die Ursachen: eine Rentenpolitik, die die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ausblendet und eine Rentenberechnung, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht verringert, sondern systematisch vergrößert. Im Interview spricht die 52-Jährige über gerechtere Rentensysteme und ihre eigene Rente.

Frage: Rente ist ja ein Mega-Thema, gerade im Wahlkampfjahr. Was haben die Parteien zu bieten?

Kristina Vaillant: Die CDU/CSU als führende Regierungspartei der letzten Jahrzehnte ist nach wie vor der Meinung, dass mit unserem Rentensystem alles in Ordnung ist. Sie liefert keinerlei neue Konzepte. Die SPD hat mit Kanzlerkandidat Martin Schulz das Thema Rente hoch gehängt im Wahlkampf, höher als alle anderen Parteien. Die Kernforderung der SPD ist, das Rentenniveau, also der Anteil des Einkommens, der einem Durchschnittsverdiener in der Rente ersetzt wird, auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent zu stabilisieren.

Aber ist das eine ausreichende Antwort?

Vaillant: Nein, denn was ist mit all jenen, die wegen Teilzeitarbeit, Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Arbeitslosigkeit oder geringem Einkommen gar nicht erst die Chance haben, im System der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente zu erwirtschaften, die zum Leben reicht? Für sie hat die SPD die Solidarrente im Angebot. Aber auch die Solidarrente ist kein neues Rezept. Schon Ursula von der Leyen, die Vorgängerin von Andrea Nahles als Arbeits- und Sozialministerin, hatte eine solche Rente 2012 vorgeschlagen – unter dem Namen Lebensleistungsrente. Aber bereits damals war klar: Bei den hohen Hürden, nämlich 35 Beitragsjahre in der Rentenversicherung, werden nicht viele in den Genuss kommen.

Woran lieg es genau, dass viele Frauen nur eine sehr niedrige Rente erwarten?

Vaillant: Die meisten Frauen der Babyboomergeneration sind wegen der Kindererziehung einige Jahre aus ihrem Job ausgestiegen oder haben Teilzeit gearbeitet. Damals gab es im Westen Deutschlands auch noch keine flächendeckende Kinderbetreuung und keine Ganztagsschulen. Die Arbeitsteilung war, und oft ist sie heute noch so, dass die Männer Vollzeit arbeiten und die Frauen die Arbeit zu Hause übernehmen.

Unser Rentensystem ist aber auf das Erwerbsleben ausgerichtet. Das heißt, je weniger man im Laufe seines Lebens verdient, desto weniger Rentenpunkte bekommt man.

Die Entgeltpunkte, die man für ein Kind von der Rentenversicherung bekommt, genügen also nicht?

Vaillant: Nein, nicht für eine Rente, von der man leben kann. Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, bekommen Versicherte seit der letzten Rentenreform statt einem nun zwei Entgeltpunkte erhöht. Ein Entgeltpunkt entspricht einem Jahr Durchschnittverdienst. Für Kinder, die nach 1992 geboren sind, bekommen Frauen oder auch Männer, wenn sie sich um die Kinder kümmern, drei Rentenpunkte. Umgerechnet sind das rund 90 Euro Rente je Kind. Doch dafür müssen sie beruflich noch immer erhebliche Nachteile in Kauf nehmen.

Sie haben zwei Kinder groß gezogen und waren immer berufstätig, wie wird denn Ihre eigene Rente ausfallen?

Vaillant: Ich rechne mit etwa 900 Euro – vorausgesetzt, ich verdiene die nächsten 15 Jahre so wie jetzt. Davon gehen noch Steuern und Krankenversicherungsbeiträge ab. Nach dem Abitur habe ich vier Jahre in den USA gelebt und gejobbt, dafür gab es natürlich keine Rentenpunkte.

Danach habe ich studiert, auch das zählt nicht mehr. Und mir wurde noch nie eine unbefristete Vollzeitstelle angeboten. Vom deutschen Eckrentner bin ich wie viele Frauen meiner Generation meilenweit entfernt.

Wie müsste das Rentensystem verändert werden, damit es für Frauen gerechter wird?

Vaillant: Wir brauchen eine Haltelinie nach unten, eine Mindestrente. Damit diejenigen, die in das Rentensystem einbezahlt haben, nicht in die Grundsicherung rutschen. Als Rentenempfänger habe ich einen ganz anderen Status als ein Sozialhilfeempfänger, ich bin an Rentenerhöhungen beteiligt. Zudem muss ich mein Vermögen nicht offenlegen.

An welchen Betrag denken Sie denn bei einer Mindestrente?

Vaillant: Mindestens das Niveau der Grundsicherung, je nach Wohnort sind das um die 850 Euro. Eine andere Möglichkeit wäre, die Rentenansprüche vom Einkommen abzukoppeln. Wenn eine Frau beispielsweise Teilzeit arbeitet, weil sie noch drei Kinder hat oder pflegebedürftige Angehörige versorgt, dann könnte ihr Einkommen höher bewertet werden. Das heißt, für diejenigen, die unterdurchschnittlich verdienen, läge das Rentenniveau dann weit über 48.

Man hört immer wieder den Vorschlag, dass auch Beamte und Selbstständige in das Rentensystem einzahlen sollten. Würde das die Probleme lösen?

Vaillant: Nicht automatisch. Der Anteil der Beamten unter den Berufstätigen ist ja relativ kleiner Anteil. Doch so wie heute können diese zwei unterschiedlichen Systeme meiner Meinung nach nicht weiter bestehen. Die Mindestpension liegt bei 1400 Euro. Das ist absolut ungerecht und politisch nicht mehr vertretbar.

In welchen Ländern funktioniert die Rentenversicherung besser als bei uns?

Vaillant: In den Niederlanden gibt es eine über Steuern finanzierte relativ großzügige Bürgerrente. Für Alleinstehende sind das 1000 Euro, für Zusammenlebende 700 Euro. Dann gibt es eine zweite Säule, die unserem beitragsabhängigen Rentensystem ähnlich ist. Und die dritte Säule ist eine Betriebsrente, die es dort – im Gegensatz zu Deutschland – in fast jeder Firma gibt. Das System bietet den Bürgern Sicherheit, und es kostet die Gesellschaft nicht mehr als die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland.

Kristina Vaillant, Jahrgang 1964, studierte Publizistik und Kunstgeschichte. Von 1999 bis 2005 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Bundestag. Heute arbeitet sie als freie Journalistin in Berlin, schreibt über Themen aus Wissenschaft und Forschung und ist Expertin für sozialpolitische Fragen. 2010 erschien ihr Reportageband „Ideen täglich. Wissenschaft in Berlin“. 2014 veröffentlichte sie gemeinsam mit Christina Bylow das Generationenporträt „Die verratene Generation. Was wir den Frauen in der Lebensmitte zumuten“. 2016 erschien ihr Buch „Die verratenen Mütter – Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt.“

 
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