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PARIS
Warum Präsident Hollande sich opferte
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 10.12.2016 03:55 Uhr

Pragmatiker könnten François Hollande schlicht konsequent nennen. Hatte der Präsident nicht von Anfang an gesagt, er wolle sich am Ende seiner Amtszeit vor allem am Versprechen messen lassen, die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken? Zwar ging diese in den vergangenen Monaten zurück – aber nachdem sie lange stetig angestiegen war.

Vielleicht gibt ihm die Geschichte noch recht, vielleicht werden seine Reformbemühungen erst später Früchte tragen. Doch mit der Absicht, in fünf Jahren Frankreichs Wirtschaft wieder aufzurichten und den Franzosen das verlorene Vertrauen in ihr Land zurückzugeben, scheint der Präsident gescheitert zu sein. Wie mit vielen anderen seiner selbst gesteckten Ziele auch.

„Ich habe entschieden, nicht als Kandidat für die Präsidentschaftswahl anzutreten, also für die Erneuerung meines Mandates . . .“ Die Worte, die der 62-Jährige am Donnerstagabend in einer kurzfristig anberaumten TV-Rede aussprach, nachdem er minutenlang seine Bilanz gepriesen hatte, ließen alle perplex zurück – Freunde, Kritiker, Experten.

Zwar galt als ausgemacht, dass ihm kaum Gewinnchancen bei den Wahlen im Frühjahr 2017 blieben und er nicht einmal sicher sein konnte, die Kandidatenkür seiner sozialistischen Partei im Januar für sich zu entscheiden. Dass er aber seiner drohenden Niederlage zuvorkommen und sein eigenes Scheitern so klar eingestehen würde – das erwartete niemand von dem Mann, der sein ganzes Leben der Politik gewidmet hat. Wie seine langjährige Partnerin Ségolene Royal trat er früh in den Beraterstab von Präsident François Mitterrand ein. Später agierte Hollande elf Jahre lang als Parteichef der Sozialisten als perfekter Mann für Konsensbildung, der verschiedene Interessen vereinen konnte. Umso bitterer erscheint es, dass ihm genau das in der Rolle des Präsidenten nicht mehr gelang.

Ewige Suche nach Kompromissen

Gegen eine Liberalisierungs- und eine Arbeitsmarktreform bäumte sich ein Teil der linken Abgeordneten derart heftig auf, dass die Regierung beide Gesetze nur mithilfe eines Sonderparagrafen am Parlament vorbei durchsetzen konnte. Zuvor hatte sie die Maßnahmen derart verwässert, dass auch die Wirtschaft enttäuscht war. Hollandes ewige Suche nach einem Kompromiss, sie funktionierte nicht mehr.

Er selbst gestand in seiner emotional vorgetragenen Ansprache nur einen Fehler ein: Nach den Attentaten von Paris im November 2015 auf den Druck von rechts hin eine Verfassungsänderung vorgeschlagen zu haben, die den Entzug der französischen Nationalität für Terroristen vorsah. Mit diesem Tabubruch verlor er den Linksflügel seiner Partei endgültig – und musste letztlich trotzdem von dem Projekt absehen.

Vielen erscheint seine Amtszeit als Abfolge von Missverständnissen, Fehltritten und Skandalen – von der Aufdeckung der geheimen Schweizer Konten des Ex-Budgetministers Jérôme Cahuzac über das als schamlos empfundene Plaudern im Buch „Ein Präsident sollte so nicht reden…“ bis zur aufsehenerregenden Trennung von der Journalistin Valérie Trierweiler, die sich mit einem bissigen Enthüllungs-Buch rächte. So schlug der Mann, der die Franzosen von ihrer Verdrossenheit erlösen und ein „normaler Präsident“ ohne übertriebenes Machtgehabe sein wollte, alle Rekorde der Unbeliebtheit.

Dass er nach den Terror-Anschlägen als mitfühlender und starker Landesvater auftrat, mit einer Militärintervention in Mali nervenstarkes Verantwortungsbewusstsein zeigte und das hohe Defizit des Landes langsam, aber effizient abbaute – geschenkt. In den Augen der Öffentlichkeit hat Hollande durch die Bank versagt.

Es fehlt die Geschlossenheit

Selbst Kritiker äußern nun aber Respekt, da er sich opfert, um eine Zersplitterung seiner Partei zu verhindern. Die Präsidentschaftswahl droht auf ein Duell zwischen der Rechtspopulistin Marine Le Pen und dem Rechtskonservativen François Fillon hinauszulaufen, sollten sich die Sozialisten nicht geschlossen hinter einen gemeinsamen Kandidaten stellen. Längst scharrt ein knappes Dutzend linker und grüner Anwärter mit den Hufen, nicht zu vergessen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Bei der Kandidatur mit seiner eigenen Partei „En marche!“ („In Bewegung!“) will er keine Rücksicht auf die Vorwahl der Sozialisten nehmen, denen er einst angehörte. Er positioniert sich „weder links noch rechts“ und will einen Systemwechsel der französischen Politiker verkörpern, der über die traditionellen ideologischen Spaltungen hinausgeht.

Der 38-Jährige reagierte am Donnerstag als Erster auf die Verzichtserklärung seines einstigen Mentors, zollte dem Beschluss Respekt als mutig, schwierig und reif – es handle sich um „die Entscheidung eines Staatsmannes“. Macron, der bei seiner Kandidatur auch auf die Stimmen der Hollande-Enttäuschten setzt, wird durch seinen Alleingang ein Vertrauensbruch vorgeworfen – während Premierminister Manuel Valls im Boot mit dem unbeliebten Präsidenten blieb.

So erscheint der Regierungschef als natürlicher Nachfolger Hollandes; erklärt hat er sich noch nicht. Doch der energische 54-Jährige vertritt nicht nur die gemeinsame Bilanz mit, er ist für sein autoritäres Auftreten bei der Parteilinken fast genauso unbeliebt. Für ihn spricht, dass er einer nachrückenden Generation angehört, die für Erneuerung steht – und diese scheint dringend an der Zeit, da innerhalb weniger Tage bisherige Urgesteine der französischen Politik hinweggefegt wurden – von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy über Ex-Premier Alain Juppé bis zu Hollande.

 
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