Alle Jahr wieder: Pünktlich zum Jahreswechsel lässt in Leipzig die linke Szene Gewalt sprechen. In mancher Silvesternacht bleibt es bei kleinen Scharmützeln mit der Polizei, in manchen Jahren schlägt sich die Aggression wütend Bahn. Der Ort allerdings ist immer derselbe. Das Connewitzer Kreuz im Süden Leipzigs wird dann zum Aufmarschgebiet gewaltbereiter Radikaler.
In der Messestadt weiß jeder, dass es in der Nacht zu Neujahr Ärger gibt. Wer keinen Ärger will, meidet die große Straßenkreuzung zwischen der Südvorstadt und dem Stadtteil Connewitz. Dort hat sich Anfang der 90er Jahre eine linke, alternative Szene gebildet und bis heute gehalten. Stark ist sie in einigen Straßenzügen, keinesfalls im gesamten Viertel. Hausbesetzer nahmen sich die völlig heruntergewirtschafteten Altbauten.
Eigentlich geht es meistens friedlich zu
Bis auf die Silvesternacht und den 1. Mai geht es dort friedlich zu, auch wenn der Staat abgelehnt wird. Die Kneipen, Clubs und Konzertsäle gehören fest zum kulturellen Kern Leipzigs. Die Spaltung der Gesellschaft, der Aufstieg der AfD hat dazu geführt, dass es wieder mehr Stress gibt. Das Verhältnis zur Leipziger Polizei war schon immer angespannt; doch spätestens seit sich ein rechter Mob Anfang 2016 durch das linke Quartier prügelte, stehen die Zeichen auf Konfrontation.
In der vergangenen Neujahrsnacht dann eine weitere Zuspitzung: Wie alle Jahre zeigte die Polizei in Connewitz Präsenz, wenn auch nach Einschätzung von Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar zunächst eher zurückhaltend und auf Deeskalation bedacht. Nach Mitternacht aber seien Polizisten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen worden, berichtete das Landeskriminalamt. Die Lage eskalierte. Beim Versuch, einen mutmaßlichen Täter festzunehmen, seien drei Beamte angegriffen worden. Ein 38-jähriger Beamter wurde schwer verletzt und verlor das Bewusstsein. Anfängliche Angaben der Polizei aus der Nacht, der Kollege sei notoperiert worden, wurden am Freitag zurückgenommen. Inzwischen hat der 38-Jährige das Krankenhaus verlassen.
Sachsen: 115 Fälle von Linksextremismus im Jahr
In den vergangenen Monaten waren in Leipzig immer wieder Autos und Baumaschinen in Brand gesetzt worden. Im Herbst hatten Unbekannte – die Ermittler vermuten Linksextremisten – eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma überfallen und mit Fäusten traktiert.
Ein Blick in den Verfassungsschutzbericht für 2018 – für einen Rückblick auf 2019 ist es noch zu früh – zeigt, dass Sachsen im Ländervergleich der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund mit insgesamt 115 Fällen hinter Nordrhein-Westfalen (446) an zweiter Stelle liegt. Und Leipzig gilt dabei deutschlandweit als eine Hochburg linksextremistischer Straftäter. Bayern (46 Fälle) folgt in der Übersicht des Bundesverfassungsschutzes übrigens an fünfter Stelle.
Wer einschlägige Internetseiten aufsucht, findet unter dem Datum 30. Dezember und der Überschrift „Autos und Funkmast der Bullen brennen in Leipzig“ folgendes Posting: „Die Schweine haben dieses Jahr zu Silvester nach eigenen Angaben eine Falle für die Autonomen vorbereitet, um sie zu fangen, wenn sie wieder mal staatliches Eigentum in Brand setzen.“ Dem sei man zuvorgekommen und habe bereits zwei Tage vor Silvester „Brennbares“ an einem Funkmasten und Fahrzeugen der Polizei platziert. Es ist der offene Aufruf zu Gewalt.
Esken-Äußerung sorgt für eine Diskussion
Die politische Debatte wird äußerst kontrovers geführt. Vor allem Äußerungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die die Taktik der sächsischen Polizei im Umgang mit den mutmaßlichen Linksextremisten infrage gestellt hatte. Sollte eine falsche Einsatztaktik Polizistinnen und Polizisten unnötig in Gefahr gebracht haben, läge die Verantwortung dafür beim sächsischen Innenminister Roland Wöller (CDU), sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Dass es auch anders geht, hat sich vielfach gezeigt. Die Berliner Polizei hat zum Beispiel aus den Erfahrungen vergleichbarer Ausschreitungen am 1. Mai oder zu Silvester im Lauf der Jahre eine Deeskalationsstrategie entwickelt, die sich bewährt hat“, betonte die SPD-Politikerin.
„Wer auf Polizisten losgeht, hat nicht alle Latten am Zaun“
„Sind immer die anderen schuld? Oder kann man Extremisten einfach mal so nennen und ihren Angriff verurteilen?“, monierte demgegenüber die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Ähnlich klang es beim früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel: „In einer Demokratie gibt?s keine Rechtfertigung für Gewalt! Und warum muss die Polizei sich rechtfertigen statt die Schläger?“ Wer auf Polizisten und Feuerwehrleute losgeht, sei nicht links oder rechts, „sondern hat nicht alle Latten am Zaun!“ Nun, Esken sagte im gleichen Interview mit Blick auf den verletzten Polizisten auch: „Diesen Gewaltausbruch verurteilen wir.“ Diese Anmerkung allerdings ging in der Debatte unter.
Auch aus der FDP kam Kritik. Parteichef Christian Lindner twitterte, die SPD falle den Beamten in den Rücken: „Wer für uns die Knochen hinhält, sollte den Rücken gestärkt bekommen. Hier werden Täter und Opfer vertauscht.“ Und FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae erklärte: „Weder Gewalt von links noch Gewalt von rechts ist in irgendeiner Weise akzeptabel.“ (mit dpa und bju)