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London
Warum EU-Freunde wieder Hoffnung schöpfen
Die Stimmen, die ein erneutes Referendum fordern, werden immer lauter – gerade wegen der Regierungskrise, in der Premierministerin Theresa May steckt.
Bearbeitet von Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 29.11.2018 02:39 Uhr

Der Moment sollte eigentlich zum Triumph werden. Die britische Premierministerin Theresa May präsentierte nach zähen Verhandlungen in der vergangenen Woche endlich ein EU-Austrittsabkommen. Doch statt großer Erleichterung stürzte die Regierung in die Krise: Sowohl Brexit-Anhänger als auch EU-Freunde lehnen den Kompromissvorschlag mehrheitlich und mit großem Lärm ab. Während die Europaskeptiker Nachbesserungen fordern und die Hardliner in den konservativen Reihen gar an einem Misstrauensantrag gegen May arbeiten, schöpfen die Gegner des EU-Austritts Hoffnung und basteln an einem ganz anderen Plot: ein erneutes Referendum soll als Rettungsversuch für die Beziehung zur EU dienen.

Die beiden Sprachrohre der Bewegung erkennen im derzeitigen Chaos ein Momentum. Anna Soubry, die konservative Abgeordnete, sitzt an diesem Nachmittag neben dem konservativen Parlamentarier Chuka Umunna, neben ihnen das Plakat, das für ein „People’s Vote“, ein Volksvotum, wirbt. Sie haben die Auslandspresse geladen, um ihre Vision von Großbritanniens Zukunft auszubreiten. Diese findet für sie innerhalb der EU statt. Wegen ihrer Forderungen gelten die beiden Politiker beinahe als Geächtete ihrer Parteien. Denn sowohl die konservative Premierministerin May lehnt ein erneutes Referendum ab als auch Labours Vorsitzende, der lebenslange EU-Skeptiker Jeremy Corbyn. Außerhalb der offiziellen Linie wollen Soubry und Umunna denn auch lieber nicht als Repräsentanten ihrer Parteien sprechen. „Das Land schreit gerade nach Führung“, sagt Umunna vielmehr. Man befände sich auf einem „nationalen Krisenlevel“, stimmt Soubry zu.

Die Entscheidung zurück zum Volk tragen

Für beide gibt es lediglich eine Lösung, sowohl den Deal von May als auch einen ungeordneten EU-Austritt ohne Abkommen zu vermeiden: Die Entscheidung zurück zum Volk zu tragen. Nur, das hat seine Meinung in der Europa-Frage kaum geändert. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass heute 54 Prozent der Befragten für den Verbleib und 46 Prozent für den Austritt votieren würden. Ein kleiner Umschwung zugunsten der anderen Seite, nicht mehr. Die Aktivisten der „People’s Vote“-Kampagne, die im April dieses Jahres gestartet wurde, sehen trotzdem großes Potential, weitaus mehr Menschen für ihre Sache zu gewinnen.

Sie verweisen auf die Demonstration in London, die im Oktober rund 700 000 Briten und EU-Bürger aus allen Ecken des Königreichs sowie vom Kontinent auf die Straßen gebracht hat. Teils mit Sonderbussen waren sie angereist, um bei diesem „historischen Moment“ dabei zu sein, wie Londons Bürgermeister Sadiq Khan es nannte. Die Brexit-Anhänger kontern regelmäßig, man hätte die Bevölkerung im Juni 2016 gefragt und 52 Prozent der Wähler hätten sich für den Austritt entschieden. Nun gelte es, den Willen zu respektieren und die Scheidung umzusetzen, betont auch May immer wieder. Ohnehin wäre der Weg zu einem Referendum schwierig.

Eine Entscheidung bis zum Austritt am 29. März 2019 ist derzeit weder rechnerisch möglich noch praktisch umsetzbar. Zunächst müsste das Parlament für ein Votum stimmen, dann geht es darum, die Frist für den EU-Ausstieg zu verlängern, wofür ein Okay aus Brüssel notwendig wäre. Chuka Umunna geht von sechs Monaten aus, die ein Referendum an Vorlaufzeit bräuchte. „Wir müssen den Menschen die Vorteile der EU zu verstehen geben und positive Gründe für den Verbleib liefern“, sagt Soubry.

Auf die Stimmen der Opposition angewiesen

Das klingt wagemutig in einem Land, in dem jahrzehntelang eine antieuropäische Rhetorik die Debatten bestimmt hat. Dass eine erneute Befragung das zerstrittene Land noch weiter spalten würde, wollen die Pro-Europäer nicht gelten lassen. Und ähneln darin beinahe den Brexit-Hardlinern, die fürchten, auf ewig an die „erpresserische und undemokratische“ Gemeinschaft gekettet zu sein. Die Europahasser wollen bei der Abstimmung im Unterhaus, die voraussichtlich Mitte Dezember ansteht, gegen Mays Vertragsentwurf votieren – wie auch Anna Soubry und Labour-Mann Chuka Umunna.

Dabei ist die Premierministerin auf Stimmen der Opposition angewiesen, nachdem die nordirische Unionistenpartei DUP sowie die konservativen Hardliner den Deal ablehnen wollen. „Nur sehr wenige Labour-Abgeordnete werden das Abkommen billigen“, prophezeit Umunna. Das könnte sich lediglich ändern, sollte die Premierministerin beim Brexit-Sondergipfel am Sonntag noch Nachbesserungen bei der EU durchsetzen – was die Verhandlungspartner aus den London und Brüssel bislang strikt ablehnen. Bei ihrem Treffen wollen die beiden Seiten vielmehr den Deal beschließen und eine politische Erklärung zum künftigen Verhältnis zwischen dem Königreich und der EU präsentieren.

 
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