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WÜRZBURG
Warum Deutschland stolz auf die Energiewende sein darf
Im Interview: Der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker hält den Ausbau der Erneuerbaren sechs Jahre nach Fukushima für ein Erfolgsprojekt. Steigende Strompreise führt er auf einen fatalen politischen Fehler zurück. Und er hat ein Gegenrezept.
Das Gespräch führte Michael Kerler
 |  aktualisiert: 18.03.2017 03:37 Uhr

Vor sechs Jahren erschütterte das Atomunglück im japanischen Kernkraftwerk Fukushima die Welt. Seit die Bundesregierung 2011 den Atomausstieg nach dem heute gültigen Fahrplan beschlossen hat, sind die erneuerbaren Energien in Deutschland stark gewachsen. Der Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker bezeichnet die Energiewende als „Erfolgsprojekt“. Doch Industrie und Verbraucher sehen sie auch mit Sorgen. Denn längst sind nicht alle Probleme gelöst. Ein Grund dafür: die massiv gestiegenen Strompreise. Privatleute zahlen heute rund ein Viertel mehr für ihren Strom als 2011. Das liegt zu einem großen Teil an den Umlagen, die auf die Energiewende zurückgehen. Ein Durchschnittshaushalt mit einem Jahresstromverbrauch von 3500 Kilowattstunden gibt inzwischen rund 270 Euro im Jahr für die Umsetzung der Energiewende aus. Das hatte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft vor gut einem Jahr berechnet. Dafür kann immer mehr Atomstrom durch Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse ersetzt werden, berichtet die Agentur für Erneuerbare Energien. Von 17 deutschen Atommeilern vor Fukushima sind heute nur noch acht am Netz. Die restlichen sollen bis zum Jahr 2022 abgeschaltet werden.

Fast ein Drittel des erzeugten Stroms stammte im vergangenen Jahr in Deutschland schon aus erneuerbaren Quellen. Bayern liegt sogar noch weiter vorn: Hier kommen die Erneuerbaren bereits auf 39,6 Prozent, berichtet das bayerische Wirtschaftsministerium.

Frage: Herr von Weizsäcker, wo steht die deutsche Energiewende sechs Jahre nach dem Atomunglück von Fukushima Ihrer Meinung nach?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Für ungeduldige Menschen geht es immer zu langsam. Aber wenn man anständig urteilt, ist es ein Erfolgsprojekt.

In Bayern ist man aber nach einem rasanten Ausbau bewusst auf die Bremse getreten: Nach erheblicher Kritik an der Windkraft und strengeren Regeln werden kaum neue Anlagen genehmigt. Was halten Sie davon?

Weizsäcker: Ich habe dafür ein gewisses Verständnis. Auch Windkraft hat ökologische Kosten. Deshalb halte ich den Ausbau der Energieeffizienz für wichtiger als den Ausbau der Wasser- und Windkraft.

Wie stellen Sie es sich vor, die Energieeffizienz zu erhöhen?

Weizsäcker: An Universitäten frage ich manchmal, wie viele Kilowattstunden nötig sind, um zehn Kilogramm – zum Beispiel einen Bergsteigerrucksack – vom Meeresspiegel auf den Mount Everest zu heben. Studenten in Kalifornien tippen oft auf 1000 Kilowattstunden, deutsche Studenten auf 200. Die physikalische Antwort lautet eine viertel Kilowattstunde! Eine Kilowattstunde ist ein gigantisches Kraftpaket, aus dem man mehr herausholen kann. Ich habe ein Buch zusammen mit einem australischen Team verfasst – „Faktor 5“ – das zeigt, dass wir fünfmal so effizient werden können. Das gelingt flächendeckend sicher nicht in zehn Jahren, aber in 30 oder 50. Dann bräuchten wir kein einziges Atomkraftwerk mehr, kein Kohlekraftwerk, und bei Wind und Wasser könnte man nach lokalen Gegebenheiten Ja oder Nein sagen.

Genügen dafür sparsamere Geräte oder müssen wir alle Fahrrad fahren?

Weizsäcker: Nein, ich rede nicht von Verzicht, sondern von wirklichem Effizienzgewinn. Meine Familie lebt in einem Passivhaus, das nur noch ein Achtel der Energie eines Altbaus braucht. Das ist Faktor 8! Das deutsche Energiemanagement im Auto ist auch ziemlich kümmerlich. Noch immer fahren Autos, die 15 Liter pro 100 Kilometer brauchen. Volkswagen hat dagegen den XL1 konstruiert, der nur 0,9 Liter braucht.

Warum setzen sich solche sparsamen Autos nur so langsam durch?

Weizsäcker: Jetzt sage ich etwas Skandalöses: weil die Energie zu billig ist. Wer einen Altbau auf Passivhausstandard umrüstet, zahlt rund 60 000 Euro. Bei den heutigen Heizkosten braucht man 30 Jahre, bis sich das rentiert. Wären die Heizkosten doppelt so hoch, wäre es viel schneller abbezahlt.

Ist die Energiewende aber nicht heute schon sehr teuer? Höhere Energiepreise muss man sich auch leisten können.

Weizsäcker: Ja, natürlich. Aber man kann den Rahmen ändern. Der chinesischen Regierung habe ich geraten, den Energiepreis an Effizienzsteigerungen zu koppeln. Angenommen, in einem Jahr steigt die Energieeffizienz um 1,8 Prozent, dann könnte man im nächsten Jahr die Energie um genau diesen Prozentsatz teurer machen. Dann wäre der Betrag, den man monatlich für Energie aufbringt, nicht größer. Wer aber seine Effizienz rascher steigert als andere, lebt gemütlicher.

Was müsste die Bundesregierung für die Energiewende noch anpacken?

Weizsäcker: Sie könnte mehr tun, damit Bürger-Energiegenossenschaften wieder schön profitabel sind. Ihr Boom vor 2013 ist stark abgeflacht. Energiegenossenschaften haben den Vorteil, dass das Volk beteiligt ist. Ganz einfache Leute haben sich engagiert, Geld reingesteckt und gemerkt, dass sie etwas herauskriegen.

Der große Nachteil ist aber, dass Strom von Sonne und Wind stark schwankt und sich bisher kaum speichern lässt.

Weizsäcker: Dank intensiver Entwicklung werden die Batterien rasch billiger. Hinzu kommt elegantes Lastmanagement. Und länderübergreifende Netzstrukturen – zum Beispiel, um Windstrom von der Nordsee nach Bayern zu bekommen. Vielleicht wurde hier überdimensioniert geplant, aber einige Leitungen sind sicher nötig.

Wären dezentrale Kraftwerke – von der Photovoltaikanlage auf dem Dach bis zur Biogasanlage im Ort – nicht ein Rezept gegen zu viele Leitungen?

Weizsäcker: Ja, Dezentralisierung wird zum dauerhaft prägenden Merkmal des Energiesystems. Das ist für Entwicklungsländer noch wichtiger: Wenn ein Dorf die Energie selbst erzeugt, die es verbraucht, ist ein großer Netzausbau unnötig. Die von Deutschland ausgehende Dezentralisierung der Energieversorgung ist eine sehr gute Nachricht für Deutschland, für die deutsche Exportwirtschaft und für die Entwicklungsländer.

Machen es also die Bürger richtig, wenn sie sich eine Solaranlage aufs Dach bauen, um ihren Strom selbst zu erzeugen?

Weizsäcker: Ja, völlig richtig. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ist auch ein gewaltiger Kostenrückgang eingetreten. Anfangs war das ein Zuschussbetrieb, den die Stromverbraucher zahlen mussten. Aber das wird ja immer weniger.

Ein Problem der Energiewende ist trotzdem, dass die Kosten für die Verbraucher stark gestiegen sind.

Weizsäcker: Das Problem geht auf das Jahr 2009 zurück. Damals hat die Regierung die Zuzahlung vom Preis an der Leipziger Strombörse abhängig gemacht. Damit kam die ironische Situation zustande, dass die Zuzahlung größer wird, wenn der Börsenpreis wegen eines großen Angebots an Wind- und Sonnenstrom niedrig ist. Dieser politische Webfehler hat die Energiewende in Verruf gebracht und zur Frage geführt, weshalb Hartz-IV-Empfänger die Solaranlagen der Zahnärzte bezahlen sollen.

In Polen hält man an Kohlekraftwerken fest, auch in den USA setzt Präsident Donald Trump auf Kohle. Steht Deutschland mit der Energiewende nicht recht einsam da?

Weizsäcker: Hier bahnt sich ein Klimaproblem an. Aus den USA höre ich aber auch, dass Trump den Ausbau der erneuerbaren Energien gerade in sonnenreichen Staaten wie Texas oder Kalifornien nicht stoppen kann. Denn erneuerbare Energien sind sehr günstig geworden. Hier darf sich Deutschland einmal stolz auf die eigene Brust klopfen: Hätte man nicht mit großen Subventionen die technische Entwicklung angestoßen, wäre der Kostenrückgang nicht so schnell gegangen.

Der Club of Rome ist bekannt durch das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ aus den 70er Jahren. Für die Welt ist das Wirtschaftswachstum aber so wichtig wie eh und je. Hat sich der Club geirrt?

Weizsäcker: Ja, er hat sich in manchen Dingen geirrt, trotzdem ist die Grundbotschaft richtig geblieben, nur hat man sie nicht gehört.

Wie wollen Sie mit Ihrer Botschaft wieder gehört werden?

Weizsäcker: Ich bin dabei, mit meinem Kollegen Anders Wijkman aus Schweden ein neues Buch des Club of Rome zu produzieren. Wir zeigen, dass die Grundaussage von 1972 richtig geblieben ist. Heute gibt es aber die Tendenz, auf richtige Fragen falsche Antworten zu geben. In Paris wurden zum Beispiel strengere Klimaschutzziele beschlossen. In Berlin, Thailand oder China kam dann die Botschaft an, dass der Klimaschutz richtig ist, aber schrecklich teuer wird. Deshalb bräuchte man mehr Wachstum! Damit wird das Problem nicht gelöst, sondern verschlimmert. Wir haben eine philosophische Krise. In unserem Buch fangen wir deshalb mit Papst Franziskus an: Die heutige Form von Wirtschaft ist eine Art Selbstmord. Wir leben heute in einer „vollen Welt“ mit über sieben Milliarden Menschen. Unsere Denkweise, die Religionen und auch die Wirtschaftsdoktrinen stammen aber noch aus einer Zeit der „leeren Welt“ mit geringer Bevölkerung.

Gibt es einen Ausweg?

Weizsäcker: Ja, wir zeigen – ganz optimistisch –, was heute schon möglich ist: Ein indischer Freund von mir hat im Laufe von 30 Jahren drei Millionen ökologisch nachhaltige Arbeitsplätze im ländlichen Indien geschaffen. Und der vor zwei Jahren beschlossene Fünfjahresplan in China ist beinahe ein reines Umweltprogramm. China ist es 2016 gelungen, bei einem Wachstum von sieben Prozent den Nettoausstoß von CO2 zu reduzieren.

Verraten Sie uns noch, wie Ihr neues Buch heißt?

Weizsäcker: Der englische Titel heißt „Come on!“. Der Club of Rome ist kein Schwarzmaler mehr. Wir sind die großen Optimisten, die zeigen, dass man auf die richtigen Fragen die richtigen Antworten geben kann.

Zur Person

Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker lehrte in Essen, Kassel und im US-Staat Kalifornien. Von 1998 bis 2005 war er SPD-Bundestagsabgeordneter. Heute ist der 77-jährige Physiker Co-Präsident der Umweltorganisation Club of Rome, der sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt. Von Weizsäcker ist verheiratet, hat fünf Kinder und ist Neffe des verstorbenen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. AZ
Ernst Ulrich von Weizsäcker       -  _
Foto: Britta Pedersen (dpa-Zentralbild)
 
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