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ROM
Warum das Bild vom Reformpapst bröckelt
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October 10 2018 Vatican City Holy See POPE FRANCIS during his weekly General Audience in St P       -  Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz vergangenen Mittwoch in Rom: Das Oberhaupt der katholischen Kirche sorgt mit seinen Äußerungen immer häufiger für Irritationen.
Foto: Evandro Inetti, imago | Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz vergangenen Mittwoch in Rom: Das Oberhaupt der katholischen Kirche sorgt mit seinen Äußerungen immer häufiger für Irritationen.
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:39 Uhr

Wann ist ein Past als gescheitert anzusehen? Wenn die Erwartungen der überwiegenden öffentlichen Meinung mehrheitlich enttäuscht werden. Das ist die eine Antwort auf die Frage danach, ob Papst Franziskus nach fünfeinhalb Jahren im Amt sein Pulver verschossen hat. Die andere Antwort lautet: Ein Papst kann nur scheitern in einer Epoche, in der Moralvorstellungen nicht mehr von den Vorgaben von Institutionen abhängig gemacht werden.

Es gehört im 21. Jahrhundert zum Selbstverständnis der katholischen Kirche, als Apparat Hüterin einer allein gültigen Wahrheit zu sein. Sämtliche Ausformungen dieser Haltung müssen mit den Vorstellungen einer individualistischen Gesellschaft kollidieren, die sich von Obrigkeiten immer weniger sagen lassen will.

„Sohn der Kirche“ enttäuscht

Das gilt auch für Papst Franziskus, der sich selbst als „Sohn der Kirche“ bezeichnet. Der Wunsch, dieser Sohn der Kirche möge das Antlitz derselben verschönern, wird zunehmend enttäuscht. Vergangene Woche verglich der Papst Abtreibung mit Auftragsmord. Im August sinnierte der 81-Jährige darüber, dass bei Homosexualität im Kindesalter „mit Psychiatrie“ einiges zu machen sei. Franziskus entsprach in diesen Momenten keineswegs dem Bild, das sich viele Gläubige und Beobachter von ihm als fortschrittlichem Reformer gemacht haben. Deshalb ist das Kopfschütteln über den Papst, der bekanntlich so gerne vom Teufel spricht, um so größer.

In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, dass Franziskus an diesem Sonntag seinen Vorgänger Paul VI. heiligsprechen wird. Heiligsprechungen an sich kollidieren mit dem Zeitgeist. Ihr tieferer Sinn ist, die Vorbildlichkeit eines Menschen für die Nachkommen zu bewahren. Dass nun ausgerechnet Giovanni Battista Montini in den Genuss dieser Ehre kommen soll, sorgt für Verstimmung bei den Anhängern des Reformkatholizismus.

Paul VI. (1963-1978) ist vor allem für seine Moralenzyklika „Humanae Vitae“ bekannt, in der er im Jahr 1968 jede Art künstlicher Verhütung verbot und damit die gesellschaftlichen Vorstellungen von mehr Selbstbestimmtheit kontrastierte. Franziskus erkennt in Paul VI. aber auch einen Kirchenführer, der mit dem Zeitgeist hadernd die Kirche des 19. Jahrhunderts in die Moderne führte.

Montini verzichtete auf anachronistisch anmutende Machtinsignien wie die Tiara, sorgte für den Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) und seiner Beschlüsse, verankerte die Synoden genannten Bischofsversammlungen als päpstliches Beratungsgremium, söhnte sich mit der orthodoxen Kirche aus und sah sich der harten Opposition der Lefebvre-Anhänger gegenüber, die ihn der Häresien bezichtigten und ins Schisma gingen.

Harte konservative Opposition

Unübersehbar bestehen Parallelen zum gegenwärtigen Pontifikat. Auch Franziskus versucht das aufgeblähte Papsttum zu entzaubern, fördert kollegiale Beschlüsse, schreitet in der Ökumene voran und sieht sich einer harten konservativen Opposition ausgesetzt. Man kann Paul VI. durchaus als Vorbild für Franziskus bezeichnen. Auch die Reibungen zwischen der modernen Gesellschaft und diesen beiden Hütern des katholischen Glaubens stechen heraus.

Dabei besteht das unauflösbar scheinende Dilemma zwischen Gesellschaft und Kirche nicht zuletzt in der extremen Institutionalisierung letzterer. Denn die Sehnsucht nach Sinn und Antworten auf große Fragen sind heute durchaus vernehmbar. In der katholischen Kirche pervertieren Machtstreben und die extreme Pflege von Strukturen den Kern der urchristlichen Lehren von Frieden und Liebe seit langem.

Das war schon zu Zeiten der Inquisition sichtbar und wird besonders in den derzeit so vehement zum Vorschein kommenden Missbrauchsskandalen in aller Welt evident. Kirchenmänner haben hier den ihnen aufgetragenen Dienst der Heilung in sein Gegenteil verkehrt, in Zerstörung.

Auch Franziskus ist als „Sohn der Kirche“ in diesem Dilemma gefangen. Als Erzbischof von Buenos Aires setzte er sich für Täter, aber nicht für Opfer ein. Seine Null-Toleranz-Politik als Papst kontrastiert mit der Ernennung einer Reihe von Prälaten, die in Sachen Missbrauch schwere Fehler begangen haben. Wer heute von Franziskus enttäuscht ist, hat eines vergessen: Die „Söhne der Kirche“ müssen sich zu großen Teilen mit der Institution identifizieren, der sie sich angeschlossen haben. Von Einzelnen von ihnen grundlegende Veränderungen zu erwarten, grenzt an Illusion.

 
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