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LEIPZIG
Warum brennt es immer wieder in Sachsen?
Brand in geplanter Asylunterkunft       -  Hier sollten Flüchtlinge einziehen. Doch schon vorher ging dieses Haus im sächsischen Bautzen in Flammen auf. Als die Feuerwehr kam, wurde sie von einer johlenden Menge behindert.
Foto: Cristian Essler, dpa | Hier sollten Flüchtlinge einziehen. Doch schon vorher ging dieses Haus im sächsischen Bautzen in Flammen auf. Als die Feuerwehr kam, wurde sie von einer johlenden Menge behindert.
Von unserem Mitarbeiter Harald Lachmann
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:56 Uhr

Die wütende Menge in Clausnitz brüllt so laut, dass die Flüchtlinge im Bus um ihr Leben fürchten. Als die Situation zu eskalieren droht, greift die Polizei hart durch. Jedoch nicht gegen die Pöbler, sondern gegen jene, die in Deutschland Schutz und Sicherheit suchen. Polizisten schleppen die Verängstigten teils im Schwitzkasten in das Heim, das die rabiaten Ausländerfeinde belagern. Ein Skandal? Nicht für die Behörden. „Was wir sicherlich ausweiten werden, sind Ermittlungen gegen den einen oder anderen Insassen des Busses“, sagt der Chemnitzer Polizeipräsident tags darauf. Ein Flüchtlingsjunge soll den Stinkefinger gezeigt und eine „Kopf-Ab-Geste“ gemacht haben. Nur: Was war Ursache und was Reaktion?“

Man ist halt in Sachsen. Da verteidigt die Polizei ihre Aktion als „absolut notwendig und verhältnismäßig“. Und auch Innenminister Markus Ulbig (CDU) zeigt demonstrativ Verständnis – die Männer hätten „keinerlei Konsequenzen“ zu befürchten. Es klingt fast wie eine Einladung zu weiterer Eskalation, die dann auch prompt erfolgt: In Bautzen brennt der Dachstuhl eines Eckhauses, in das bald Flüchtlinge einziehen sollten.

Offenbar war es Brandstiftung, stellen Fahnder später fest. Eine johlende Menge applaudiert vor den Flammen – und behindert die Feuerwehr.

Biedermann und Brandstifter

In Sachsen, so zeigt sich immer deutlicher, fühlen sich Aufrührer oder Gesetzesbrecher offenkundig als Vollstrecker einer Mehrheitsmeinung, sofern es dabei gegen Asylbewerber geht. Man zündelt nicht heimlich, sondern gibt sich klar zu erkennen, brüstet sich gar mit den Taten. Zuweilen ist der Übergang zwischen Biedermann und Brandstifter fließend. Oder die Behörden ignorieren ihn einfach. Wie kann es sonst sein, dass der Leiter jener Flüchtlingsunterkunft in Clausnitz erst vor wenigen Monaten selbst als Sprecher auf einer AfD-Kundgebung gegen das „Asylchaos“ wetterte? Und dass sein Bruder die Proteste vor dem Heim organisiert haben soll. Zufall?

Pogromartige Attacken

Es ist ihm ja durchaus abzunehmen, wenn Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens flucht: „Wir lassen uns von ein paar Hohlköpfen nicht die Stadt kaputtmachen.“ Doch der Parteilose, der von Linken und SPD unterstützt wurde, weiß, dass es in Sachsen eben um mehr als ein paar „Hohlköpfe“ geht.

So fügt er denn auch selbst hinzu: In diesem Freistaat sei in puncto rechter Gewalt sowie Toleranz gegenüber solchen Ausfällen „bereits in der Vergangenheit einiges schief gelaufen“. Man habe „Dinge zu lange relativiert“. In der Tat wurde die Saat, die jetzt immer unheilvoller ihre Blüten treibt, bereits vor langer Zeit gelegt. Es begann in den 1990er Jahren, als Kurt Biedenkopf nach den pogromartigen Attacken gegen Ausländer in Hoyerswerda den Sachsen attestierte, „resistent gegen Rechtsextremismus zu sein“. Es schien wie ein Blankoscheck – für die Sachsen selbst wie die Politiker der seit 1990 durchgehend regierenden CDU. Und das äußerte sich auch in ganz konkreter Politik. Da wurde eine anfangs sehr effektiv agierende „Sonderkommission Rechtsextremismus“ beim Landeskriminalamt plötzlich aufgelöst.

Tillich schaute weg

Da kungelten CDU-Landtagsabgeordnete öffentlich mit NPD-Leuten. Da gab es im politischen Wortschatz der Partei den Begriff „Rechtsextremismus“ gar nicht mehr, sondern man sprach gebetsmühlenhaft von „Extremismus“ und setzte so latente neonazistische Gewalt verharmlosend auf eine Stufe mit punktueller linker Randale. Da wurden immer wieder Gelder für Aufklärung an Schulen beschnitten und privat finanzierte Bürgerinitiativen, die dieses Vakuum zu füllen suchten, in die Nähe von Terroristen gerückt. Und bis heute finden sich auch kaum CDU-Funktionäre in den Protestzügen, die sich erst NPD und später AfD oder Pegida entgegenstellen. Das war schon vor dem heutigen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich so, aber mit ihm bekam alles noch eine neue, eine andere Qualität. Denn Tillich ließ die Sache einfach laufen, gab sich stets unbeteiligt, schaute weg, unterließ nahezu jegliche Positionierung. Und eben damit gedieh jenes Klima der Intoleranz erst richtig. Und ordnete Tillich doch einmal eine eigene kleine Protestshow an, traf er nie den richtigen Ton: zu dünnlippig, zu blutarm, zu harmlos.

„Wendehals“

Umso weniger glaubhaft wirkt er denn nun auch heute, wenn er plötzlich vom Leder zieht und seine zündelnden Landsleute „Verbrecher“ nennt. Dies seien „keine Menschen“, die das täten. „Wendehals“ – so tönt es ihm nun sogar im eigenen Land entgegen. Man könnte auch sagen, so ein Grünen-Abgeordneter aus Leipzig: „Sachsens Politik und Polizei haben kein Problem – sie sind das Problem.“

Fremdenfeindliche Krawalle und Anschläge in Sachsen

Die Zahl der Anschläge auf bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte ist sprunghaft gestiegen. Es kommt auch immer wieder zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen vor solchen Einrichtungen. Beispiele aus Sachsen. Bautzen: In der Nacht zum 21. Februar 2016 sehen bei einem vorsätzlich gelegten Feuer in einer künftigen Flüchtlingsunterkunft alkoholisierte Schaulustige mit unverhohlener Freude zu, einige behindern die Löscharbeiten. Clausnitz: Am 18. Februar 2016 versucht eine grölende Menge, die Ankunft der ersten Bewohner in einer neuen Einrichtung in dem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle zu verhindern. Die Polizei steht in der Kritik, weil sie mit Flüchtlingen rabiat umgegangen sein soll.

Leipzig: Im Januar 2016 versucht eine Gruppe, einen selbst gebauten Sprengsatz vor einer künftigen Asylunterkunft zu zünden. Ein Unbekannter dringt in ein Flüchtlingsheim ein, verteilt ein Kraftstoffgemisch und versucht dieses anzuzünden. Das Feuer erlischt. Jahnsdorf: Im Dezember 2015 greift eine Gruppe von bis zu 30 Menschen einen Bus mit Flüchtlingen bei der Ankunft an einem dortigen Asylbewerberheim an. Freiberg: Im Oktober 2015 versuchen mehrere Hundert Demonstranten unter anderem auch mit Sitzblockaden zu verhindern, dass durchreisende Flüchtlinge von einem Zug auf Busse umsteigen. Bischofswerda: Im September 2015 belagern rechte Krawallmacher die Zufahrt zu einer Notunterkunft. Flüchtlinge können nur unter Polizeischutz einziehen. Heidenau: Als im August 2015 in einen ausrangierten Baumarkt Flüchtlinge einziehen sollen, gibt es heftige ausländerfeindliche Krawalle. Es fliegen Böller, Flaschen und Steine. dpa

 
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