Alice Weidel beschränkt sich auf das Wesentliche: Süffisantes Lachen und ein paar gespielt empörte „Unglaublich!“-Ausrufe. Ansonsten lehnt sich die AfD-Politikerin zurück und beobachtet genüsslich, wie die Kollegen der anderen Parteien übereinander herfallen. Die Szenen in der ARD-Talkshow „Anne Will“ sind symptomatisch. Immer wieder werfen die Rechtspopulisten rhetorische Brandsätze in politische Debatten und schauen dann zu, wie die Konkurrenz hektisch versucht, das Feuer wieder auszutreten und sich dabei die Finger verbrennt.
In diesen Tagen wird das besonders deutlich: Es beginnt mit einer Zündelei im Thüringer Landtag und mündet in einen CDU-Flächenbrand samt Rückzug der Parteichefin. Nur warum lassen sich die anderen Parteien auf diese Form der Auseinandersetzung ein, die sie nicht gewinnen können? Für den Meinungsforscher Manfred Güllner steht fest: „Das Ende von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende hat auch mit der Blödheit der etablierten Parteien zu tun, die immer wieder auf die perfiden Spielchen der AfD hereinfallen.“
So wie vor einer Woche: Zur Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten hatten die Rechtspopulisten einen eigenen Bewerber aufgestellt, dann aber geschlossen für den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich gestimmt und ihm damit – gemeinsam mit der CDU – ins Amt verholfen.
Zum ersten Mal machten etablierte Parteien, wenn auch möglicherweise unfreiwillig, gemeinsame Sache mit der AfD, die ihren Triumph voll auskostete. Sind CDU und FDP in eine Falle getappt? Oder haben sie das Ausmaß der Empörung nicht kommen sehen? Jedenfalls hat es der thüringische AfD-Rechtsausleger Björn Höcke mit dem Manöver geschafft, dass nun gleich zwei Parteien ein Führungsproblem haben.
Dass der Kurzzeit-Ministerpräsident von AfD-Gnaden am nächsten Tag einen Rückzieher machte, ändert für Forsa-Chef Güllner nichts am strategischen Fehler der Union: „Die Reaktionen auf Thüringen haben doch gezeigt, dass die meisten Deutschen keine Politiker wollen, die mithilfe von Rechtsradikalen an die Macht kommen. Doch anstatt dieses klare Signal anzunehmen, diskutiert die CDU darüber, ob man nicht doch mit der AfD zusammenarbeiten soll“, sagt er. Tatsächlich begründete Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug auch damit, dass ihre Partei darüber zerstritten ist, wie man mit Kräften am linken und rechten Rand umgehen soll.
Es mag eine kleine Minderheit in der CDU sein, die sich eine Kooperation mit der AfD vorstellen kann – doch sie zwingt die Partei, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen. Auch bei der Kür des Kanzlerkandidaten wird das eine Rolle spielen. Kann der Merkel-Kritiker Friedrich Merz die viel zitierten enttäuschten Konservativen wieder für die Union gewinnen? Güllner hält das für illusorisch: „Die größte Fehleinschätzung der demokratischen Parteien ist, dass sie glauben, man könnte AfD-Anhänger mit Argumenten zurückholen. Aber die wollen doch gar keine Argumente hören. Das ist eine verschworene Gemeinschaft, der es schon reicht, wenn Alexander Gauland oder Alice Weidel jede Kritik pauschal als Lüge abtun.“ Auch ein noch so konservativer Friedrich Merz werde diese Leute nicht erreichen.
„Die einzige Partei, die eine souveräne Linie gefunden hat, ist die CSU“, sagt der Meinungsforscher und fügt hinzu: „Markus Söder hat erkannt, dass die AfD der Feind ist.“ Mit der Folge, dass die CSU seit 2017 viel weniger Wähler verloren habe als die CDU. Auch der Politologe Werner Weidenfeld hält es für fatal, dass sich die Volksparteien so intensiv mit den Rechtspopulisten beschäftigen. „Wenn Sie pausenlos den Blick auf die anderen richten, machen Sie auch das Geschäft der anderen. Die AfD kann eigentlich täglich eine Dankeskarte schicken“, sagt er. Für Weidenfeld steht fest: „Die AfD ist nicht besonders clever, sondern die anderen Parteien gehen besonders amateurhaft mit ihr um.“
Nur, wie soll man auf eine Gruppe reagieren, die systematisch die Demokratie lächerlich macht und den politischen Ton vergiftet? Für Weidenfeld gibt es nur ein Rezept: „Die Volksparteien müssen den Menschen über den Tag hinaus Orientierung bieten, andernfalls machen sie einen Markt für Leute auf, die frustriert oder verängstigt sind. Und dann wählen sie die AfD, obwohl sie nicht einmal selbst daran glauben, dass diese Partei ihre Probleme besser lösen kann als andere.“
Auch die Medien stecken in einem Dilemma. Wie viel Raum soll man der AfD geben? Immerhin ist sie die größte Oppositionspartei im Bundestag. „Niemand ist verpflichtet, einer Gruppe, die unsere Demokratie verächtlich macht und de facto abschaffen will, ständig eine Plattform zu geben“, sagt Güllner. Nur weil die AfD demokratisch gewählt wurde, sei sie noch lange keine demokratische Partei.