Nach tagelanger internationaler Krisendiplomatie, Telefonaten, Verhandlungen und persönlichen Treffen ist in dem kriegerischen Konflikt zwischen Hamas und Israel offenbar eine Waffenruhe zum Greifen nahe. Allerdings wurde die für Dienstagabend in Kairo angekündigte Bekanntgabe einer Feuerpause in letzter Minute abgesagt, weil offenbar die israelische Seite ihre abschließende Zustimmung hinauszögerte. Nun soll die Waffenruhe möglicherweise am Mittwoch in Kraft treten. Der ägyptische Präsident Mohamed Mursi als Hauptvermittler sowie die Unterhändler von Hamas und Islamischem Jihad hatten zuvor erklärt, das Abkommen sei praktisch fertig ausgehandelt.
Trotzdem beschossen sich beide Seiten den ganzen Tag lang erneut heftig mit Raketen. Auf palästinensischer Seite starben in dem bisher siebentägigen Bombenhagel 131 Menschen, viele von ihnen Frauen und Kinder. Über 1000 wurden verwundet. In Israel verloren durch Hamas-Raketen fünf Menschen ihr Leben und wurden über 60 verletzt.
Auch am Dienstag wurde aus dem Gazastreifen erneut eine Rakete in Richtung Jerusalem abgefeuert, die in einem Olivenhain explodierte. Eine zweite Rakete schlug im Großraum Tel Aviv in ein Hochhaus ein. Im Gegenzug löste die israelische Luftwaffe unter der Bevölkerung des Gazastreifens Panik aus, als sie die Menschen mehrerer Städte per Flugblätter aufforderte, ihre Häuser „im eigenen Interesse“ sofort zu verlassen und sich in den Stadtzentren zu sammeln.
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte am Morgen in Kairo beide Konfliktparteien noch einmal eindringlich aufgefordert, das Feuer sofort einzustellen. Eine neuerliche Eskalation bringe die gesamte Region in Gefahr. Eine israelische Bodenoffensive werde „in einer weiteren Tragödie für Familien und Kinder münden“, fügte Ban Ki-Moon hinzu, der anschließend nach Tel Aviv zu Gesprächen mit Staatspräsident Shimon Peres und Premierminister Benjamin Netanjahu weiterflog. „Wenn eine langfristige Lösung durch diplomatische Mittel erreicht werden kann, dann wird Israel bereitwilliger Partner sein“, erklärte Netanjahu nach seinem Gespräch mit dem UN-Chef. „Falls sich jedoch eine stärkere Militäraktion als notwendig herausstellen sollte, wird Israel nicht zögern, das zu tun, was zum Schutz unserer Bürger notwendig ist.“
Zuvor hatte das israelische Kabinett in der Nacht zu Dienstag bekannt gegeben, die Vorbereitungen für eine mögliche Bodenoffensive würden zunächst einmal gestoppt, um den laufenden Vermittlungsgesprächen in Kairo mehr Zeit einzuräumen. US-Präsident Barack Obama, der sich zu einem Asiengipfel in Kambodscha aufhält, telefonierte drei Mal innerhalb von 24 Stunden mit Ägyptens Präsident Mursi. Er schickte seine Außenministerin Hillary Clinton in die Krisenregion, die am späten Abend in Israel eintraf. Auch ihr deutscher Amtskollege Guido Westerwelle schaltete sich vor Ort in die laufenden Verhandlungen ein und pendelte am Dienstag als Vermittler zwischen Jerusalem und Kairo.
Bei den Gesprächen in der ägyptischen Hauptstadt über eine sofortige Feuerpause und eine langfristige Waffenruhe geht es nach Angaben von Teilnehmern vor allem um vier Punkte: Die Hamas verlangt ein Ende der seit fünf Jahren dauernden Wirtschaftsblockade des Gazastreifens, Reisefreiheit für seine Bürger sowie eine Garantie Israels, keine gezielten Tötungen mit Drohnen mehr vorzunehmen. Israel erwartet im Gegenzug eine langfristige Zusage der Hamas, die Raketenangriffe definitiv zu beenden und künftig nicht mehr vom Sinai aus mit Terrorkommandos zu operieren. Zudem fordert Tel Aviv von Kairo, den Waffenschmuggel nach Gaza in Zukunft wirksam zu unterbinden.
In Ägypten war in den letzten Tagen die Befürchtung gewachsen, Zehntausende Einwohner des Gazastreifens könnten im Falle einer israelischen Bodenoffensive versuchen, sich über die zwölf Kilometer lange gemeinsame Grenze im Süden der Enklave in Sicherheit zu bringen. Wie die ägyptische Presse berichtete, hat die Regierung bereits erste Vorkehrungen getroffen, um einen solchen Massenexodus aufzufangen.
Rotes Kreuz besorgt
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat sich besorgt über die Zunahme an zivilen Opfern im Gaza-Konflikt geäußert. „Die intensiven Kämpfe der letzten Tage haben schwerwiegende Konsequenzen für Zivilisten im Gaza-Streifen wie auch in Israel“, erklärte Juan-Pedro Schaerer, der IKRK-Delegierte für die Region, laut einer am Dienstag in Genf veröffentlichten Mitteilung. Wegen der vielen Verwundeten in den Krankenhäusern von Gaza würden die Bestände an Medikamenten und medizinischem Material zusehends knapp. Nachlieferungen seien schwierig. Wegen der Zerstörung von Häusern durch Bombardierungen gebe es auch immer mehr Obdachlose, erklärte die Hilfsorganisation.