Auf den ersten Blick ist Oberwil-Lieli Harmonie pur. Ein hübsches Dorf auf dem sanft gewellten Holzbirrliberg. Dass die 2200-Seelengemeinde im Vorfeld der Schweizer Parlamentswahlen am Sonntag Furore machte, hat freilich nichts mit der schönen Lage zu tun. Vielmehr war die „konsequente Asylpolitik“ des Bürgermeisters Andreas Glarner von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) in aller Munde. Die lässt sich so zusammenfassen: „Asylbewerber? Nein danke, nicht bei uns!“
Mit dieser Linie hat seine Partei am Sonntag bei den Parlamentswahlen in der Schweiz rund ein Drittel der Parlamentssitze im Nationalrat – 65 von 200 – gewonnen. Die Rechtsnationalen haben damit elf Mandate mehr als bei der Wahl 2011 und sind erneut die stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten. Diese verloren Hochrechnungen vom Sonntagabend zufolge drei Sitze und kommen noch auf 43 Sitze. Die rechtsliberale FDP könnte 35 Sitze Sitze (fünf mehr als 2011) erhalten.
Ehe sie auch nur einen Flüchtling aufnimmt, zahlt die Gemeinde des SVP-Bürgermeisters lieber hohe Strafen. Bis vor einigen Monaten gab es auf einer Wiese in dem Ort noch ein leerstehendes Haus. Man hätte dort alle acht Asylbewerber unterbringen können, die der Ort nach dem amtlichen Verteilschlüssel des Kantons Aarau aufnehmen müsste. Die Gemeinde ließ das Haus abreißen.
Strafzahlung statt Asylbewerber
„Wir wollen keine Asylbewerber“, erklärt der Bürgermeister Reportern ohne Umschweife. Das seien alles nur Sozialhilfe-Empfänger. „Die würden uns immer und ewig auf der Tasche liegen.“ Da erscheint es günstiger, pro Asylbewerber, den man nicht aufnimmt, einen Ausgleich von 3000 Franken pro Monat an die Kantonsverwaltung zu überweisen. Bei acht Plätzen also 290 000 Franken pro Jahr, rund 270 000 Euro. Das Geld hat Oberwil-Lieli längst im Haushalt „eingepreist“. Die Gemeinde ist damit nicht allein. Dutzende andere greifen lieber in die Kasse, als Flüchtlinge zu beherbergen.
Unübersehbar ist, dass ihr auf die Flüchtlingskrise zugeschnittener Wahlkampf eine wichtige Rolle spielte. Das Wahlversprechen las sich in landesweiten Anzeigen so: „Die SVP ist die einzige Partei, die garantiert, dass die Zuwanderung begrenzt wird, die Missbräuche im Asylwesen beseitigt werden, kriminelle Ausländer ausgeschafft werden, ein Anschluss an die EU verhindert wird.“
Viele Eidgenossen hielten dies am Sonntag offenkundig für ein wählbares Programm. Dennoch ist die Schweiz insgesamt kein ausländerfeindliches Land. Immerhin beherbergt die Alpenrepublik gemessen an ihrer Einwohnerzahl von rund acht Millionen Menschen mehr Asylsuchende als die meisten anderen Staaten Europas – samt allen damit verbundenen Problemen, die gerade auch Deutschland kennt. Zudem ist der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung mit insgesamt 25 Prozent vergleichsweise hoch.
Ministerwahl kommt erst
Dass die SVP die stärkste Fraktion im Nationalrat – der großen Kammer des Parlaments – stellt, verhilft ihr allerdings noch lange nicht zur Durchsetzung ihrer Ziele in der Regierung. Der Grund dafür ist das einzigartige politische System der Schweiz. Die Eidgenossenschaft ist eine Konkordanzdemokratie. Das heißt: Möglichst viele politische Kräfte werden an der Regierung beteiligt, die zudem Entscheidungen nur im Konsens treffen kann.
Die vier bis fünf stärksten Parteien erhalten jeweils einen oder zwei der sieben Ministerposten. Gewählt werden die neuen Minister am 9. Dezember vom gesamten Parlament. Also auch von den Sozialdemokraten, der zweitstärksten politischen Kraft, den Grünen und den bürgerlichen Parteien der Mitte. Sie könnten erneut so abstimmen, dass die SVP wie auch bisher nur einen Ministerposten bekommt.