Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram kann die Verschiebung der Präsidentenwahl in Nigeria in letzter Minute als Erfolg für sich verbuchen. Denn offiziell wurde die brutale Terrorkampagne der selbst ernannten Gotteskrieger im Nordosten des Landes als Grund der Entscheidung der Wahlkommission genannt, nun sechs Wochen später als geplant wählen zu lassen. Doch viele Experten sehen darin auch eine verzweifelte Strategie von Präsident Goodluck Jonathan, um eine Wahlniederlage zu vermeiden.
Sein Herausforderer Muhammadu Buhari lag in Umfragen vor dem ursprünglich für nächsten Samstag vorgesehenen Urnengang zuletzt etwa gleichauf. Die Verzögerung könnte nun zu gewaltsamen Ausschreitungen der Anhänger der jeweiligen Kandidaten führen.
Militäroffensive
„Die Verschiebung ist eine Strategie der Regierung, um mehr Stimmen zu bekommen“, sagte Bürgerrechtler Shehu Sani am Sonntag. Die vorgeschobene Militäroffensive gegen Boko Haram sei nur eine Ausrede. Auch der Politikwissenschaftler Nkwachukwu Orji vom Hamburger Giga-Institut für Afrika-Studien, der zur Wahl in sein Heimatland zurückgereist ist, sprach von einer durchsichtigen Strategie. „Nigerianer sind nicht dumm. Alle, mit denen ich hier auf der Straße gesprochen habe, wissen, was hinter der Wahlverschiebung steckt.“
Die Wahlkommission betonte am Samstag, die Vorbereitungen für die Wahl seien trotz kleiner Mängel ausreichend gewesen. Die Verschiebung um sechs Wochen wurde auf Druck der von der Regierung kontrollierten Sicherheitskräfte beschlossen. Sie argumentierten, dass sie wegen einer bevorstehenden Offensive gegen Boko Haram die Sicherheit der Abstimmung nicht garantieren könnten, wie der Vorsitzende der Wahlkommission, Attahiru M. Jega, mitteilte.
Doch selbst die offizielle Reaktion der US-Regierung ließ Zweifel am wahren Motiv der Entscheidung erkennen. „Es ist entscheidend, dass die Regierung nicht Sicherheitsbedenken als Ausrede nutzt, um den demokratischen Prozess zu hindern“, sagte Außenminister John Kerry. Buharis Partei der Fortschrittlichen (APC) sprach von einem großen Rückschlag für die Demokratie in Nigeria, appellierte aber an ihre Anhänger, auf jegliche Gewalt zu verzichten.
Viele Menschen auf der Flucht
Experten warnen jedoch, dass es ein hohes Risiko gewaltsamer Auseinandersetzungen gibt, auch weil sich Buharis überwiegend muslimische Anhänger um einen sicheren Sieg betrogen fühlen könnten. 2011 waren rund um die vorangegangene Wahl bei Zusammenstößen in dem ölreichen westafrikanischen Land etwa 1000 Menschen umgekommen.
Zudem dürften auch die sunnitischen Fanatiker der Boko Haram die Zeit für neue Angriffe nutzen. Dass es der Armee in den nächsten sechs Wochen plötzlich gelingen wird, die Terroristen entscheidend zu schwächen, kann bezweifelt werden. Seit 2009 wurde Boko Haram jedes Jahr stärker. Mindestens 13 000 Menschen wurden bei ihren Angriffen seither getötet, mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Die Islamisten kontrollieren im Nordosten rund 130 Orte verteilt auf ein Gebiet, das etwa der Fläche Belgiens entspricht.