Der Diesel-Skandal bei Volkswagen hält die gesamte Automobilbranche in Atem. Wer genau wann und wie viel von den massiven Abgastest-Manipulationen bei VW wusste, von denen weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind, ist zwar noch weitgehend unklar. Doch dass es sich dabei um das Werk Einzelner handelte, bezweifeln viele. Warum blieben die Machenschaften so lange verborgen? Gab es keine Hinweise auf die Tricksereien? Und wo waren die Kontrolleure?
Der neue VW-Chef Matthias Müller muss nun auch das Compliance-System des Konzerns generalüberholen, das eigentlich die Einhaltung von Gesetzen im Unternehmen gewähren soll. Für dessen Ausbau hat Europas größter Autobauer in den vergangenen Jahren eigentlich viel getan – schließlich wird der Konzern ja nicht zum ersten Mal von einem Skandal erschüttert. Vor allem seit der Aufdeckung der Affäre um Schmiergeldzahlungen und Lust-Reisen im Jahr 2005 trieb die Unternehmensführung das Compliance-Thema voran. Unter anderem fungieren externe Ombudsleute als Ansprechpartner für Mitarbeiter, die anonym Hinweise auf Verstöße geben. Ähnliche Ombuds-stellen gibt es nicht zuletzt seit dem Auffliegen des milliardenschweren Schmiergeld-Skandals bei Siemens in vielen großen deutschen Unternehmen.
Die VW-Mitarbeiter machen davon offenbar auch durchaus rege Gebrauch: Alleine im vergangenen Jahr verloren nach VW-Angaben 72 Mitarbeiter nach Unregelmäßigkeiten ihre Jobs.
Jährlich geht die Konzernrevision Hunderten Hinweisen auf mögliches Fehlverhalten nach, zusätzlich wurden 2014 rund 185 000 Beschäftigte weltweit geschult. Noch vor wenigen Monaten stellte der FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki, der den Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer in der damaligen Affäre vertreten hatte, dem Konzern für all diese Anstrengungen ein gutes Zeugnis aus. „Compliance, also das vorschriftsmäßige und auch ethisch korrekte Verhalten, ist bei VW eingezogen“, sagte Kubicki damals.
Doch der aktuelle Skandal spricht eine andere Sprache, wie auch der neue Konzernchef Müller weiß. Unmittelbar nach seiner Berufung kündigt er die Einführung noch strengerer Regeln an. Auch erste konkrete Konsequenzen hat der Autobauer bereits gezogen und einige Mitarbeiter beurlaubt.
Für die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) zeigen die Ereignisse aber auch generelle Schwächen in den bestehenden Compliance-Systemen vieler Unternehmen auf: Oft gingen die Regelwerke nicht weit genug, sagt TI-Deutschland-Chefin Edda Müller.
Im bürokratischen Klein-Klein wird dort beispielsweise festgelegt, welchen Wert Geschenke an Geschäftspartner haben dürfen oder wie Reise- und Spesenabrechnungen zu handhaben sind – aber das große Ganze komme häufig zu kurz. Für Themen rund um gesellschaftliche Verantwortung – vom Umweltschutz bis zu den Produktionsbedingungen – fehlten Regeln vielfach, und die eigens beauftragten Compliance-Wächter seien meist sehr weit weg vom Tagesgeschäft.