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STOCKHOLM
Vor 40 Jahren: Der Alptraum von Stockholm
dpa
 |  aktualisiert: 24.04.2015 19:23 Uhr

Was Historiker später als Auftakt einer blutigen Welle des Terrors beschreiben, beginnt mit einem jungen Mann, der vor der deutschen Botschaft in Stockholm um Einlass bittet. Er sei wegen einer Pass-Angelegenheit hier, sagt er. Der Pförtner nickt und lässt durch die Glastür den Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) ins Haus. Zwölf Stunden später sind zwei Diplomaten tot. Und das Gebäude steht in Flammen. Das ist 40 Jahre her.

Es ist der späte Vormittag des 24. April 1975, als der junge Mann und fünf weitere Angehörige des RAF-Kommandos „Holger Meins“ in das Botschaftsgebäude gelangen und ein Dutzend Geiseln nehmen. „Da hatten sie noch nicht verraten, wer sie waren und was sie wollten“, sagt Dan Hansén von der Schwedischen Verteidigungshochschule in Stockholm, der ein Buch über die Ereignisse geschrieben hat. Ihr Ziel: Einige der prominentesten Köpfe der Terrorgruppe aus deutschen Gefängnissen freizupressen, darunter Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin.

Mit 15 Kilo Sprengstoff verschanzen sich die Eindringlinge in einem oberen Stockwerk. Als ihre erste Forderung an die Polizei, das Gebäude zu räumen, nicht erfüllt wird, schießen sie kaltblütig auf die erste Geisel. Fünf Schüsse treffen Militärattaché Andreas Baron von Mirbach, dann werfen die Terroristen den Sterbenden die Treppe hinunter und lassen ihn liegen. Den Polizisten rufen sie zu: „Wenn ihr ihn holt, werfen wir eine Handgranate!“, sagt Hansén.

Als die Polizei das Gebäude räumt und der Diplomat geborgen wird, ist es zu spät. Der Vater von zwölfjährigen Zwillingen ist tot. Sein Sohn Clais hat viele der Erinnerungen an diesen Tag, der sein Leben unwiderruflich verändert hat, verdrängt.

Während sein Vater stirbt, lässt das Terrorkommando eine Sekretärin eine Botschaft an die Bundesregierung in Bonn schreiben. Es ist vor allem eine Liste mit 26 Namen der Freizulassenden, drei Seiten lang. „Wenn die Forderungen bis neun Uhr am Abend nicht erfüllt würden, sollte jede Stunde eine Geisel sterben“, sagt Hansén.

Doch Bonn will sich den Terroristen nicht beugen. Anders als bei der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz zwei Monate zuvor entscheidet sich Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) für eine harte Linie und gegen Verhandlungen. „Das war eine sehr schwierige Entscheidung“, sagt Hansén. Die schwedische Regierung unter dem 1986 ermordeten Sozialdemokraten Olof Palme nimmt das widerstrebend hin.

Anstatt die RAF-Gruppe hinzuhalten, übermittelt ihnen Schwedens Justizminister die Botschaft aus Bonn prompt. Überrascht und wütend über das Nein führen die Terroristen den Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart zu einem offenen Fenster und erschießen ihn von hinten, so dass seine Leiche heraushängt. Während die Gruppe mit mehr Morden droht, macht sich die dürftig ausgebildete und ausgerüstete schwedische Polizei bereit, das Haus zu stürmen. Doch dazu kommt es nicht. Kurz vor Mitternacht erschüttert eine Explosion die Botschaft.

Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie es dazu kam. „Damals gab es eine Menge Theorien“, sagt Hansén. Ein Versehen sei wohl am wahrscheinlichsten. Zwei Terroristen sterben an ihren Verletzungen durch die Explosion, vier werden 1977 zu langen Freiheitsstrafen verurteilt.

 
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