zurück
Von Helden und Heiligen
18. Bundestag: Launige Worte von Alterspräsident Riesenhuber – Lammert als Bundestagspräsident wiedergewählt
Alterspräsident: Mit launigen aber auch ernsten Worten eröffnete Heinz Riesenhuber den 18. Deutschen Bundestag.
Foto: dpa | Alterspräsident: Mit launigen aber auch ernsten Worten eröffnete Heinz Riesenhuber den 18. Deutschen Bundestag.
Von unserem Korrespondenten Martin Ferber
 |  aktualisiert: 22.10.2013 19:23 Uhr

Die Große Koalition gibt es noch nicht. Aber sie funktioniert bereits. Es ist Dienstagmittag, der neue Deutsche Bundestag, der 18., tagt genau 30 Tage nach der Bundestagswahl zum ersten Mal, da machen nach genau zwei Stunden und 13 Minuten CDU/CSU und SPD zum ersten Mal demonstrativ gemeinsame Sache und ziehen geschlossen an einem Strang. Und Grüne und Linke erleben gleich zum Auftakt der Legislaturperiode, wie es sich anfühlt, ohnmächtig einer beinahe erdrückenden Mehrheit gegenüberzustehen. Ihr Antrag, die Zahl der Vizepräsidenten nicht zu erhöhen und es bei der bisherigen Regelung zu belassen, wonach jede Fraktion einen Stellvertreter ins Präsidium entsendet, schmettern Union und SPD ab. Sie wollen künftig je zwei Vizepräsidenten stellen.

Immerhin, Michael Grosse-Brömer (CDU) und Thomas Oppermann (SPD), die alten und neuen Fraktionsgeschäftsführer der Regierungskoalitionen in spe, sowie ihre neuen Gegenspielerinnen Petra Sitte und Britta Haßelmann von der Linksfraktion und von den Grünen liefern sich bereits in der konstituierenden Sitzung einen munteren Schlagabtausch und sorgen für eine lebhafte Debatte in einer ansonsten von Ritualen und Traditionen geprägten Veranstaltung. Es sei schon auffällig, dass Union und SPD sich genau einen Tag nach dem Beschluss, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, auf die Erhöhung der Vize-Posten verständigt hätten, kritisiert Haßelmann. Der SPD gehe es nur darum, in den Koalitionsverhandlungen „auf Augenhöhe“ mit der Union zu sein. Dies allerdings sei keine Begründung, „sondern nur eine Bestätigung: Große Koalitionen kosten was.“ Union und SPD verweisen dagegen darauf, dass einer starken Regierung auch ein starkes Parlament mit einem starken Präsidium gegenüberstehen müsse. Die Kritik der Opposition sei „falsch und kleinlich“, sagt CDU-Mann Grosse-Brömer, das Präsidium habe genügend Arbeit.

Trotz dieser kontroversen Debatte, die einen Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen zwischen großer Regierung und kleiner Opposition liefert, geht es am Dienstag im weiten Rund des Plenarsaals harmonisch und heiter zu, die Stimmung ist gelöst, die alten, erfahrenen Abgeordneten nehmen die 230 neu gewählten Parlamentarier herzlich in ihrer Mitte auf, vor, während und nach der Sitzung kommt es zu zahllosen Gesprächen im Saal und auf den Fluren des Reichstagsgebäudes, auch zwischen Vertretern von Union und SPD. Auf der Ehrentribüne verfolgen Bundespräsident Joachim Gauck, Alt-Präsident Horst Köhler, Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle und die früheren Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse die Sitzung, auch die beiden scheidenden Vizepräsidenten Eduard Oswald (CSU) und Hermann Otto Solms (FDP) nehmen teil. Die noch amtierenden FDP-Minister verzichten dagegen darauf, als Zaungäste die Konstituierung eines Parlaments ohne Liberale zu verfolgen.

„Wir sind alle gewählt, nicht gesalbt.“
Bundestagspräsiden Norbert Lammert zu den Abgeordneten im neuen Deutschen Bundestag

Der 77-jährige Christdemokrat Heinz Riesenhuber eröffnet als Alterspräsident des Bundestages die konstituierende Sitzung, immer wieder bringt der frühere Forschungsminister mit seinen launigen Worten die Parlamentarier zum Lachen. Gleichzeitig macht er das neue Parlament auch auf die komplexen Probleme aufmerksam, die es anzupacken gelte – die Gestaltung des demografischen Wandels, die Umsetzung der Energiewende, der Zusammenhalt Europas und der Aufbau der Wissensgesellschaft. „Lassen Sie uns die Legislaturperiode mit Tatkraft und Zuversicht beginnen, mit der Bereitschaft zum Streit und der Fähigkeit zum Kompromiss, denn Stillstand darf nicht sein.“

Ohne Überraschungen verlaufen die Wahlen. Norbert Lammert, der seit acht Jahren an der Spitze des Bundestags steht, wird mit dem Rekordergebnis von 94,6 Prozent in seinem Amt bestätigt, Ausdruck der Anerkennung und des Respekts, die er sich über alle Parteigrenzen in seinem Einsatz für die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung erworben hat. Diese Zustimmung sei für ihn „Ermutigung und Verpflichtung“, sagt er sichtlich bewegt. Ohne Probleme werden auch seine Stellvertreter gewählt – Peter Hintze (CDU) und Johannes Singhammer (CSU), die beiden SPD-Frauen Ulla Schmidt und Edelgard Bulmahn sowie Petra Pau von den Linken und Claudia Roth von den Grünen, die die wenigsten Stimmen erhält.

In seiner Ansprache, die fast schon den Charakter einer Grundsatzrede hat, ruft Lammert alle 631 Abgeordneten auf, ihre Rechte und ihre Pflichten als Vertreter des ganzen Volkes und nicht nur ihrer Wähler ernsthaft wahrzunehmen. „Wir sind alle gewählt, nicht gesalbt.“ Ausdrücklich macht er sich auch dafür stark, dass im Falle einer Großen Koalition die Rechte der Opposition gestärkt werden. Es stehe außer Frage, „dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, die weder der Billigung noch der Genehmigung durch die Mehrheit bedürfen“. Gleichzeitig kritisiert er die hohe Zahl an Drucksachen, zudem sollten Regierungsbefragungen lebendiger werden. Und er mahnt eine Überprüfung des Wahlrechts an, da bei dieser Wahl gerade einmal vier Überhangmandate zu 29 weiteren Ausgleichsmandaten führten. Ein Parlament sei „keine Versammlung von Helden und Heiligen, sondern von Volksvertretern“, sagt er. Und diese seien in ihrer Mischung „nicht besser als andere – aber in der Regel auch nicht schlechter“.

Norbert Lammert
Foto: afp | Norbert Lammert
Blättern in der Bundestagsliste: Angela Merkel schaut sich Bilder der Parlamentarier an.
Foto: dpa | Blättern in der Bundestagsliste: Angela Merkel schaut sich Bilder der Parlamentarier an.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Andreas Voßkuhle
Bundestagspräsidenten
CDU
CSU
Deutscher Bundestag
Edelgard Bulmahn
Eduard Oswald
FDP
Große Koalition
Heinz Riesenhuber
Helden
Horst Köhler
Joachim Gauck
Johannes Singhammer
Norbert Lammert
Peter Hintze
Petra Pau
Petra Sitte
Rita Süssmuth
SPD
Thomas Oppermann
Ulla Schmidt
Wolfgang Thierse
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen