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Von der Schönheit des Kleinen
Elektronenmikroskopie Der Würzburger Stefan Diller macht Unsichtbares sichtbar. Und verbindet technisch-wissenschaftliche Perfektion mit dem ästhetischen Anspruch des Fotografen.
Von unserem Redaktionsmitglied Alice Natter
 |  aktualisiert: 26.04.2023 18:17 Uhr

Sie brauchen Zeit. Sie brauchen Ruhe. Möglichst absolut. Wenn Stefan Diller seine Motive belichtet, drückt er nicht einfach den Auslöser. Er präpariert die Objekte seiner fotografischen Begehr, überzieht sie mit nanometerdünnen Schichten aus Platin oder Gold. Er sucht die spannendsten Stellen, die interessantesten Ausschnitte im Motiv. Er dreht kleine Rädchen an großen Geräten, justiert, arretiert. Und wenn er dann im Labor den „Auslöser“ drückt, läuft der Scan schon einige Stunden. Bewegen darf sich das Objekt dann bitte nicht mehr, auch nicht minimal. Ein paar Schritte im technikgespickten Werkstattraum, winzigste Erschütterungen des Elektronenmikroskops – und die Aufnahme wäre für die Tonne.

Stefan Diller, Fotograf aus Würzburg, macht das Unsichtbare sichtbar. Mit seinen Elektronenmikroskopen spürt er der Schönheit des Kleinen und Kleinsten nach. Die Epidermiszellen der Blütenunterlippe der Bachminze? Ist auf Dillers Fotografie ein wundersamer Wald aus zarten Kegeln. Das gestielte Blütenköpfchen mit runden Öldrüsen beim Marienblatt Tanacetum balsamita? Ein skurriles Gebilde mit Kugeln und Spitzen. Das haarige Blatt des Muskatellersalbeis? Eine filigrane bizarre Unterwasserwelt aus grünen Peitschenhaaren. Und die junge Blüte einer Rossminze samt Staubblatt? Wird auf der Fotografie von Stefan Diller zum fantastischen Planeten. Schließlich Vitamin C: dicke Brocken wie aus einem Blockschokolade-Steinbruch. Diller vergrößert Haare und Teflon, Blüten, Blätter, Pollen, auch Metalle hundertfach bis mehr als zehntausendfach – und enthüllt der Mikrowelt damit eine Ästhetik, die für das bloße Auge nie sichtbar würde. Er selbst sagt: „Ich gucke auf das Präparat und schaue, ob ich etwas Schönes finde.“

Aus der Forschung ist die Rasterelektronenmikroskopie schon lange nicht mehr wegzudenken. Mit ihrer Hilfe wird die Ultrastruktur von Materialien und Organismen untersucht. Wie aber kommt man dazu, als Hobby Sauerampfer, Absinth oder Zitronenmelisse unters Elektronenmikroskop zu legen? Überhaupt, wie kommt man als Fotograf zu REM und TEM, zum Raster- und Transmissionselektronenmikroskop?

Ein Zufall, 1984 war's. Stefan Diller, der in München gerade die Ausbildung zum Fotografen absolviert hatte, betrieb in seiner Heimat Kronach ein kleines Fotostudie mit Galerie. Irgendwie hörte er davon, dass an der Freien Universität Berlin ein Elektronenmikroskop ausgemustert worden war und verschrottet werden sollte. Zu schade, dachte der physik- und technikbegeisterte Franke, und fuhr mit einem geliehenen Transporter nach Berlin. Auf dem Rückweg über die Transitstraße quer durch die DDR hatte er ein 500 Kilo schweres Gerät an Bord – und fortan ein neues Hobby.

Ein aufwendiges. „Die Schnitte müssen extrem dünn sein, die Präparate musste ich mir erbetteln von den Unis“, sagt der Fotograf knapp 30 Jahre später. Viel anfangen konnte er mit seiner Errungenschaft zunächst also nicht. Doch er blieb fasziniert von der fremdartigen Welt des Winzigsten, in die er im Labor abtauchte. Blieb begeistert von den wundersamen Strukturen, der faszinierenden Ordnung im Kleinsten der Natur.

Dabei fotografierte er gerne Großes: Er beschäftigte sich mit der Dokumentation von Altarbildern, von Kirchenarchitektur, fotografierte immer wieder in der Basilika San Francesco in Assisi. Und er begann eineiige Zwillingspaare zu porträtieren – in Schwarz-Weiß, mit einer umgebauten, 250 Kilo schweren Horizontalkamera aus dem Jahre 1920. Die Kontaktabzüge, die Diller auf hochwertigem Barytpapier fertigt, kommen eins zu eins vom Negativ in der Größe 50 mal 60 Zentimeter.

Aber wann immer irgendwo an einem Institut, in einem Labor ein altes Elektronenmikroskop ausrangiert wurde, versuchte der Fotograf das Gerät zu bekommen. Nach zehn Jahren, als er schon eine ganze Reihe an Gerätschaften in seiner Werkstatt zusammen hatte, trieb Diller ein erstes Rasterelektronenmikroskop auf. Und als er in einem Magazin zum ersten Mal farbige, künstlerisch gestaltete Mikroskopaufnahmen von Insektenantlitzen sah – da war es um ihn geschehen. Aus dem Hobby des Technikbegeisterten wurde Hauptbeschäftigung des gelernten Fotografen.

In seiner kleinen Hinterhofwerkstatt in der Würzburger Sanderau betreibt der 52-Jährige heute ein eigenes Labor für wissenschaftliche Fotografie. Nicht allein ein künstlerisch-ästhetisches Unterfangen: Umweltlabore suchen Dillers Hilfe und technisches Können bei der Bestimmung von Asbestfasern, Werkstofftechniker schicken Material zur Untersuchung von Eigenschaften, Bruchstrukturen, Schichten. Mit Dillers Mikrofotos können Hersteller Schäden in Kugellagern klären, Prüflabore lassen von ihm die Haftung von Lackschichten oder Verarbeitungsprobleme mikroskopisch untersuchen. Und Forscher der Uni Rostock wollten schon mal wissen, wie Ausfälle im Schiffsdiesel im TEM-Bild aussehen. Gerade beschäftigt sich Diller im Auftrag eines Unternehmens mit den Ultrastrukturen von Nanoschmutzpartikeln auf Luftfiltern für Asthmatiker.

Ein Fächer aus Aluminium-Drehspan, die filigrane Zellenstruktur des Styropors, Nickeldendriten auf Kupferfolie, die Mikrowelt von Eibisch, Estragon und Dill – es geht Stefan Diller darum, „schöne und sinnvolle Ausschnitte gut wiederzugeben“. Wenn er die beste Beleuchtung von Winkel und Kanten sucht, wenn er mit Vorder- und Hintergrund seiner Motive spielt, dann „nach denselben Prinzipien wie in der Makrowelt“. Nur dass es mehr Fachwissen braucht. Der Wissenschaftsfotograf muss wissen, welches Material er wie präparieren kann. Er muss wissen, wie er den Pflanzenteilen Wasser entzieht und ob er beim Bedampfen mit Gold oder Platin zerstört, was er eigentlich sehen und zeigen will. „Feuchtigkeit ist der Feind einer guten Elektronenmikroskop-Aufnahme.“

Dem Würzburger geht es darum, die Ultrastrukturen zu erhalten. „Ganz am Ende kommt auch das Auge des Fotografen dazu.“

Was passiert während der Stunden im Mikroskop, nachdem Diller präpariert, justiert, arretiert hat? Ein fein gebündelter Elektronenstrahl – bei modernen Geräten ist er nicht einmal ein Nanometer, also ein Millionstel Millimeter dünn – tastet die Oberfläche der Pflanzen und Materialien ab und wird von ihnen auf einen Detektor zurückgeworfen.

Deshalb auch die Metallbedampfung der Objekte: Dadurch werden die Elektronen besser reflektiert, die die verschiedenen Detektoren dann wieder eingefangen werden können. Die Detektoren erzeugen aus den eingefangenen Elektronen einen entsprechenden Helligkeitswert. Wie bei einem Scanner entsteht so Bildpunkt für Bildpunkt, Zeile für Zeile ein Bild in Schwarz-weiß.

Und die Farben, die die Bilder aus der Welt des Unsichtbaren so eindrücklich machen? Sie entstehen durch die Zuordnung einer Farbe zum jeweiligen Schwarz-Weiß-Bild eines Detektors meist schon bei der Aufnahme im REM. Mit der wirklichen Farbigkeit des Objektes haben sie meist nichts mehr gemein. Wissenschaftsfotografie, sagt Stefan Diller, ist „eine möglichst fehlerfreie Dokumentation mit hohem technischem Einsatz“. Spätestens bei der Kolorierung dann auch ein bisschen Kunst.

Mehr Infos und Bilder unter www.elektronenmikroskopie.info

 
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