Die Fregatte „Schleswig-Holstein“ kreuzte gerade mal eine Woche vor der libyschen Küste, als sie das erste Flüchtlingsboot ortete. Zwölf Meter lang, drei Decks, mit etwa 550 Menschen hoffnungslos überfüllt. „Die haben übereinander und untereinander gelegen“, erzählt ein Oberstabsgefreiter, der bereits seit sieben Jahren zur Stammbesatzung gehört. Der 28-Jährige war fünfmal im Einsatz, hat Piraten am Horn von Afrika gejagt und Waffenschmuggel vor der libanesischen Küste unterbunden. Aber das hier ist völlig neu für ihn.
Zehn Stunden dauerte es, bis die Flüchtlinge – darunter 120 Kinder – an Bord waren. Einige Soldaten mussten ebenso lange in weißen Schutzanzügen ausharren, die gegen ansteckende Krankheiten getragen werden. Mehr als 50 Mal fuhren Schlauchboote hin und her, auf die gerade einmal zehn Personen passen. In einem dieser Boote wurde Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf das Kriegsschiff gebracht, das derzeit vor der Küste Siziliens liegt. Dass die Ministerin nur acht Wochen nach Beginn der Mission hier auftaucht, verwundert nicht. Die Flüchtlingsrettung ist zurzeit wohl der wichtigste Einsatz der Bundeswehr.
5700 gerettete Flüchtlinge
Jeden Tag geht es aufs Neue um Menschenleben. 5700 haben die deutschen Schiffe schon gerettet – die „Schleswig-Holstein“ 1100 in nur einer Woche. Auf dem Achterdeck sind Wasserspender, Behelfstoiletten und ein provisorisches Lazarett aufgebaut. Einen Tag und eine Nacht verbringen die Flüchtlinge hier. Dann gehen sie in einem italienischen Hafen von Bord.
Von der Leyen ist auf die „Schleswig-Holstein“ gekommen, um den Soldaten Mut zu machen: „Ich weiß, dass Deutschland stolz auf sie ist“, sagt sie. Wohin dieser Einsatz noch führen und wie lange er noch dauern wird, kann sie ihnen aber nicht sagen. Die Bundeswehr weiß inzwischen ziemlich viel über die Wege der Flüchtlinge und die Methoden der Schleuser. In Sammellagern etwa 100 Kilometer von der libyschen Küste entfernt beginnt die Reise nach Europa. Von dort geht es ans Meer und dann in Holzfrachter oder in Schlauchboote.
Auf den Holzfrachtern gibt es drei Klassen – zu unterschiedlichen Preisen. Die Ärmsten aus Ländern wie Eritrea kommen ins Unterdeck, in der Mitte sitzen meist Westafrikaner und oben Syrer und Wirtschaftsflüchtlinge aus Nordafrika. Soldaten berichten, dass einige von ihnen teure Uhren oder Laptops dabeihaben. Es gibt keine Toiletten an Bord und keine ordentliche Navigation – nur einen Kompass. Die Reise kann wenige Stunden dauern, aber auch etliche Tage. Sie kann mit dem Tod enden – oder auf einem der Kriegsschiffe.
Sammeln von Informationen
Ihr Einsatz hat mit dazu geführt, dass die Zahl der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge im Mai und Juni deutlich gesunken ist. Für eine Lösung des Problems können sie aber nicht sorgen. Die EU hat zwar beschlossen, neben der Flüchtlingsrettung auch die Schleuserbanden zu bekämpfen. Bisher beschränken sich die Aktivitäten aber auf das Sammeln von Informationen. Um die Transportmittel an der libyschen Küste zu zerstören, sind die Zustimmung der libyschen Regierung und ein UN-Mandat notwendig. Da in Libyen Chaos herrscht und Russland ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat hat, ist nicht klar, ob es jemals eine Rechtsgrundlage für einen Einsatz gegen Schleuser geben wird.
Von der Leyen trifft bei ihrer Mittelmeer-Reise nicht nur Soldaten. Im Hafen von Catania kommt sie auch mit einigen von denen zusammen, die es aus Afrika nach Europa geschafft haben: sechs Flüchtlinge aus Gambia, Eritrea, Algerien, Ghana und der Elfenbeinküste. Sie haben auf Sizilien Fuß gefasst, sind teilweise schon Jahre dort. Über die Umstände ihrer Flucht wollen sie gar nicht mehr viel erzählen. Einer von ihnen sagt nur: „Ich wurde gerettet.“