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Vom „Tatort“ in den Krieg
Porträt: Er war der TV-Sohn der „Familie Heinz Becker“ und saarländischer Fernsehkommissar. Dann zog Gregor Weber als Reserve-Feldwebel nach Afghanistan, um das Seelenleben der Soldaten zu ergründen und den Sinn von Auslandseinsätzen zu erfahren.
reda
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:52 Uhr

An jenem Frühlingstag klettert die Temperatur in Nordafghanistan auf deutlich über 30 Grad. Knapp zwei Jahre ist es her, dass Gregor Weber seinen letzten ARD-Tatort als mieslauniger saarländischer Kommissar Stefan Deininger abgedreht hat. Jetzt - im Bundeswehr-Feldlager Kundus - erlebt er einen der schwersten Tage seines neuen Lebens. Weber ist Feldwebel der Reserve. Am linken Arm seiner Wüstenuniform trägt er Trauerflor. Angespannt regungslos steht er in Hab-Acht-Stellung, einen Fuß nach links, mit ausdruckslosem Gesicht, den Blick nach vorn. Im Kühlcontainer hinter ihm liegt die Leiche eines 32-jährigen Bundeswehr-Hauptfeldwebels. Er ist im Kampf gefallen, wie man hier sagt.

Der studierte Schauspieler Weber ist als Presseoffizier in Kundus. Zur Ehrenwache hat er sich freiwillig gemeldet. Wegen der Hitze lösen sich die Soldaten in dem Hinterhof des Lager-Lazarettes alle halbe Stunde bei dem militärischen Abschieds-Ritual ab. Doch die 30 Minuten dauern lang. In Webers Kopf spult sich immer wieder eine Szene ab. Er stellt sich vor, wie ein Offizier und ein Pfarrer kurz zuvor am Standort in Calw der Witwe mit ihren beiden Kindern die Todesnachricht überbracht haben.

„Emotional war das für mich das stärkste Erlebnis“, sagt Gregor Weber heute, fast ein Jahr nach seinem Auslandseinsatz in Kundus über die Ehrenwache. Der Tod des 32-Jährigen aus der Spezialeinheit KSK am 4. Mai vergangenen Jahres war bislang der letzte, den die Bundeswehr im Gefecht oder bei Anschlägen in Afghanistan zu beklagen hatte.

Ein 17 Mann starker Trupp der deutschen Elitesoldaten wollte damals einer afghanischen Polizei-Sondereinheit bei einem Einsatz gegen die Taliban zu Hilfe kommen, als auch er in einem Wald 60 Kilometer von Kundus entfernt unter heftiges Feuer geriet. Die Angreifer hatten sich offenbar unter Plastikplanen versteckt, um nicht von den Wärmebildkameras der Militärhubschrauber entdeckt zu werden, die kurz zuvor das Waldstück zur Kontrolle überflogen hatten.

In den echten Krieg nach Afghanistan hat sich Gregor Weber nicht für eine Filmrolle gemeldet, sondern weil er ein Buch über die neue Rolle der Bundeswehr und das Seelenleben der deutschen Soldaten im Ausland schreiben wollte.

Diese Woche kommt sein autobiografischer Selbstversuch „Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten gehts“ in die Buchläden. Der 45-Jährige hat sich, nachdem er im Streit zusammen mit seinem Kollegen Maximilian Brückner aus der Riege der Tatort-Ermittler ausschied, ganz aufs Schreiben verlegt.

„Meinen Beruf als Schauspieler habe ich für mich abgeschlossen“, sagt Weber, der mit dem Saarländischen Rundfunk bis zum Schluss über die Qualität der Tatort-Drehbücher stritt. „Mein Beruf ist jetzt Autor.“ Schon sein erstes, vor drei Jahren erschienenes Buch „Kochen ist Krieg“ war ein Erfolg. Weber ließ sich selbst fünf Jahre lang beim Berliner Sterne- und Fernsehkoch Kolja Kleeberg zum Koch ausbilden und tingelte durch zehn Profiküchen in Deutschland, um für das Buch das raue Leben am Herd zu beschreiben.

Auch zwei Kriminalromane legte Weber inzwischen vor: Sein Krimi-Erstling „Feindberührung“ drehte sich um Afghanistan-Veteranen.

Auch damals recherchierte er ungewöhnlich. Neben seinen Dreharbeiten meldete er sich als Reservist bei der Fallschirmjäger-Brigade im Saarland, die damals, 2009, die meisten Opfer im Afghanistan-Einsatz zu beklagen hatte. Dank der Kochlehre und der einstigen Funkerausbildung im Wehrdienst sah die Bundeswehr einen praktischen Nutzen in dem Schauspieler. Weber durfte zu Wehrübungen, sprach mit vielen Afghanistan-Heimkehrern und qualifizierte sich später bis zum Feldwebel hoch. Für den Tatort „Heimatfront“ über traumatisierte Ex-Afghanistan-Soldaten lieferte er Ideen für das Drehbuch. Die Folge gilt heute in Ranglisten als die beste des Saarbrücker Ermittler-Duos.

Genau ein Jahr ist es her, dass Weber nach diversen Spezialausbildungen die Reise nach Kundus antrat. Nur widerstrebend hatte seine Frau zugestimmt, lange hatte er mit seinem 14-jährigen Sohn und seiner 16-jährigen Tochter gesprochen. Es ist vor allem die Besonderheit des Afghanistan-Einsatzes, die ihn antreibt: „Ich habe immer wieder gesehen, dass die Soldaten eine große Hilflosigkeit erleben, sich in die Gesellschaft hinein zu äußern“, sagt Weber. „Die Soldaten sind immer wieder mit dem Gefühl konfrontiert, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihren Einsatz nicht gut findet und ablehnt.“

Dieses Dilemma prägt den Einsatz nicht nur bis heute, es hat ihn für die deutschen Soldaten nach Webers Überzeugung noch gefährlicher gemacht. Als in deutschen Fernseh-Talkshows jahrelang über die Frage philosophiert wurde, ob es sich am Hindukusch um einen bewaffneten Konflikteinsatz oder um einen echten Krieg handelt, ging es vor Ort um eine Existenzfrage. Denn für die Soldaten in Afghanistan war es zugleich eine Frage der Ausrüstung, der Waffen und der Strategie.

Weber nennt als Beispiel den tragischen, von Oberst Georg Klein befohlenen Luftangriff bei Kundus auf zwei Tanklastwagen. Im September 2009 starben dabei nach offiziellen Angaben 91 Menschen, weil Klein fürchtete, Taliban würden die Tanklaster zu fahrenden Bomben gegen sein Lager einsetzen.

„Oberst Klein war in einer verzweifelt schwierigen Situation“, sagt Weber, ohne mögliche Fehler entschuldigen zu wollen. „Bedingt durch die politische Angst, das könnte zu sehr nach Krieg aussehen, wurden ihm und seinem Vorgänger konsequent die militärischen Mittel verweigert, die er hätte einsetzen können.“

Dies habe damit angefangen, dass Klein keine Aufklärungsdrohne zur Verfügung hatte, obwohl diese damals längst zum Bundeswehr-Bestand gehörten. Er aber hatte nur unscharf-krisselige Bilder aus US-Jets vorliegen. Ebenso fehlten damals Panzergeschütze, mit denen man die Menschenmasse mit Warnschüssen hätte auseinandertreiben können.

Weber erlebte nun in den dreieinhalb Monaten in Kundus, wie sich der Bundeswehr-Auslandseinsatz verändert hat, seitdem Politik und Öffentlichkeit das Wort Krieg nicht mehr verdrängt, sondern akzeptiert hätten: „Seit die Bundeswehr 2010 den Kampf in der Region Kundus sehr intensiv aufgenommen hat, konnte sie in kürzester Zeit unglaubliche Fortschritte erzielen.“ Inzwischen sei den Taliban klar, dass sie bei Angriffen auf Konvois mit massiver Gegenwehr zu rechnen hätten: „Die sind ja nicht doof“, sagt Weber. Dass die Bundeswehr in Afghanistan nun über Schützenpanzer und Haubitzen verfüge, sei mit ein Grund, dass Angriffe und eigene Verluste zurückgegangen sind. „Darum geht es bei solchen Konflikten, dass man dem Gegner mit Gegenangriffen klar macht, es wird für dich zu teuer“, sagt Weber nüchtern. „Das ist unschön, das ist brutal, aber das ist die Logik des Krieges.“

Auch die Taliban seien am Ende kühle Taktiker. „Das auf der anderen Seite sind keine kopflosen Fanatiker, das sind Leute, die mit Guerillakampf und Krieg seit drei Jahrzehnten absolut vertraut sind.“ Deshalb spreche - anders als deutsche Medien oder Politiker - kaum ein Bundeswehrsoldat bei Taliban-Angriffen von einem feigen Hinterhalt. „Was ist daran feige?“, sagt Weber.

„Das lernt man auf jeder Infanterieschule der Welt: Ich sprenge Fahrzeuge an, zwinge den Gegner auszusteigen und versuche ihn niederzukämpfen.“

Hat dieser Krieg einen Sinn? Weber sieht es zwiespältig, wie viele in der Bundeswehr. „Alle Soldaten sind sich einig, dass dieser Einsatz einen positiven Zweck verfolgt“, sagt er. „Natürlich möchte jeder Mensch einen Sinn sehen in seiner Arbeit und in dem, was er tut.“ Immer wieder hätten ihm Soldaten, die schon mehrere Male in Afghanistan waren, bestätigt, dass es echte Fortschritte gebe. „Sie reichen nicht aus und sind an vielen Stellen nicht befriedigend, und es gibt auch Rückschritte.“ Doch viele Soldaten sagen zu ihm, dass sie schwarzsehen, wenn sich der Westen ganz aus Afghanistan zurückziehen sollte. Auch Weber ist vom Sinn des Einsatzes überzeugt: „Meine wichtigste Erfahrung war zu sehen, wie gut es uns in Deutschland geht“, sagt er. „Wir leben in einem Land, das eigentlich unfassbar sicher und reich ist.“ Die Afghanen hätten dagegen 30 Jahre Krieg hinter sich, in einem zerstörten Land.

„Daraus leite ich die Erfahrung ab, dass wir grundsätzlich die Verpflichtung haben, solchen Ländern zu helfen, wenn wir das können“, fügt er hinzu. „Da finde ich die Haltung sträflich naiv, zu sagen, das geht uns nichts an, denn wir sind alle Teil dieser Welt.“ Die Frage sei, ob militärische Mittel dafür geeignet sind. „Meine Frau tut sich prinzipiell mit der Institution Bundeswehr schwer, aber sie hat eine große Empathie für die Soldaten entwickelt“, sagt Weber. „Das finde ich eine gute Haltung.“ Man könne gegen Auslandseinsätze sein, solle dies aber nicht an den Soldaten auslassen.

Schauspieler, Schriftsteller, Koch – die vielen Facetten des Gregor Weber

Comedy: Bekannt wurde Gregor Weber durch seine Rolle in Gerd Dudenhöfers Serie „Familie Heinz Becker“ als Sohn Stefan. In der vom Saarländischen Rundfunk produzierten Serie spielte der gebürtige Saarbrücker die Rolle nach seiner Ausbildung an der Frankfurter Schauspielschule bis 1998 über sechs Jahre lang.

Tatort: Weber übernahm zunächst ab 2001 im saarländischen Tatort die Rolle des Assistenten Stefan Deininger des von Jochen Senf gespielten Kommissars Max Palu. Von 2006 bis 2011 bildete er in der Rolle Deininger zusammen mit dem Münchner Schauspieler Maximilian Brückner als Kommissar Franz Kappl das Ermittler-Duo des Saarländischen Rundfunks. Beide Schauspieler schieden im November 2011 im Streit mit dem Sender über die Weiterentwicklung ihrer Rollen nach sieben gemeinsamen Folgen als Tatort-Kommissare aus.

Film: In dem 2009 mit dem Oscar ausgezeichneten Kurzfilm Spielzeugland spielte Weber die Rolle des SS-Mannes Werner.

Autor: Diese Woche erscheint Webers neuestes Buch über seine Afghanistan-Erfahrung: „Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten gehts!“ (256 Seiten, 18 Euro, Droemer). Davor schrieb er die Krimis „Feindberührung“ (2011) und „Keine Vergebung“ (2013) sowie „Kochen ist Krieg!“ (2010)

Privat: Der 45-Jährige ist mit einer Dramaturgin verheiratet und hat zwei Kinder. Nach zehn Jahren in Berlin, wo Weber in einem Sterne-Restaurant eine Kochlehre absolvierte, lebt die Familie seit 2009 in Oberbayern. Text: Pohl

Diskussion im Autosalon: Gregor Weber (links) als Sohn von Hilde und Heinz Becker (Sabine Urig und Gerd Dudenhöffer).
| Diskussion im Autosalon: Gregor Weber (links) als Sohn von Hilde und Heinz Becker (Sabine Urig und Gerd Dudenhöffer).
Ermittler: Gregor Weber als Kommissar Deininger bei Dreharbeiten zum „Tatort“.
| Ermittler: Gregor Weber als Kommissar Deininger bei Dreharbeiten zum „Tatort“.
 
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