zurück
„Viele verstehen Israel nicht“
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 07.05.2017 03:51 Uhr

Wie lange die deutsch-israelische Verstimmung, die beim Besuch von Außenminister Sigmar Gabriel in Jerusalem entstand, anhalten wird, wird sich zeigen. Gabriel fand für sein Treffen mit regierungskritischen Gruppen viel Zustimmung und Unterstützung hierzulande. Es gab aber auch kritische Stimmen sowohl hier wie da. Auch die von Arye Sharuz Shalicar. Der 39-Jährige, der in Berlin aufgewachsen, nach Israel ausgewandert ist und dort die Regierung von Benjamin Netanjahu berät, erklärt, warum dieser ein Treffen mit Sigmar Gabriel abgesagt hat

Frage: Es kommt nicht alle Tage vor, dass der israelische Ministerpräsident den Außenminister eines befreundeten Landes wieder auslädt. Ging es nicht auch eine Nummer kleiner?

Arye Sharuz Shalicar: Jeder Politiker, der aus Deutschland nach Israel kommt, fordert mit den immer gleichen stereotypen Sätzen die Zwei-Staaten-Lösung. Die wollen wir Israelis auch, aber viele Deutsche verstehen nicht, dass man diese Lösung nicht erzwingen kann. Dazu muss man Vertrauen aufbauen, sich wieder näherkommen – und dazu braucht man verlässliche Partner auf der anderen, der palästinensischen Seite. Die beiden Organisationen jedoch, die Sigmar Gabriel am Dienstag besucht hat, bauen kein Vertrauen auf, sondern säen nur neues Misstrauen.

Für Gabriel sind „Breaking the silence“ und „B'Tselem“ Menschenrechtsorganisationen. Viele Israelis halten sie für Nestbeschmutzer, weil sie die Einsätze der israelischen Armee kritischer hinterfragen als die Politik der Palästinenser.

Shalicar: Ich war sowohl in Deutschland Soldat als auch in Israel, und ich habe kein Problem damit, wenn jemand Missstände klar benennt oder sie aufdeckt. Ich käme aber nicht im Traum auf die Idee, Herrn Gabriels Gesprächspartner auf eine Stufe mit Organisationen wie Amnesty International oder Greenpeace zu stellen. „Breaking the silence“ und „B'Tselem“ sind politische Gruppierungen, die ihr Geld aus dem Ausland bekommen und dort ein Israel-Bild zeichnen, das nicht der Realität entspricht, nämlich das eines Unrechtsstaates, der die Palästinenser im Westjordanland terrorisiert. In Israel selbst nimmt diese Propaganda, die im Übrigen auch den Antisemitismus schürt, mit Ausnahmen einiger extremer Linker niemand wahr.

Und überhaupt: Wie kann es sein, dass Herr Gabriel mit dem größten Terrorförderer der Welt, der Islamischen Republik Iran und ihrer antisemitischen Führung, kuschelt und Geschäfte vorantreibt? Meint er, Jerusalem sieht das nicht? Trifft er, geschweige denn, finanziert er regierungskritische Organisationen im Iran? Wenn nicht, wieso nicht?

Hat Gabriel den Eklat provoziert? Angeblich hat die israelische Regierung ihn schon lange vor seiner Abreise gebeten, die Aktivisten nicht durch ein Treffen zu adeln?

Shalicar: Die israelische Regierung hat kein Problem damit, wenn ausländische Gäste Regierungskritiker wie Oppositionschef Izchak Herzog oder die frühere Außenministerin Tzipi Livni treffen. Die Oppositionellen, mit denen Herr Gabriel sich verabredet hat, haben sich allerdings nur als Menschenrechtsorganisationen verkleidet, sie haben keine Bedeutung und sollten deshalb auch für andere Staaten keine Bedeutung haben. Das müsste er eigentlich wissen. Am Ende aber wollte offenbar niemand mehr nachgeben, weder Herr Netanjahu noch Herr Gabriel.

Spielten bei Netanjahus Entscheidung, Gabriel auszuladen, auch innenpolitische Motive eine Rolle? Muss er Rücksicht auf die orthodoxen Juden in seiner Koalition nehmen?

Shalicar: Wie Angela Merkel lebt auch Benjamin Netanjahu in einer Koalitionswelt und muss zwischen mehreren sehr verschiedenen Partnern ausgleichen und vermitteln. In einem allerdings sind sich linke wie rechte Parteien in Israel einig: Sie wollen hier in Frieden leben – mit den Palästinensern, mit den Syrern, mit dem Libanon und auch mit dem Iran. Was wir nicht wollen, sind Politiker aus dem Ausland, die mit dem erhobenen Zeigefinger zu uns kommen. Deutschland ist für uns ein wichtiger Partner, ja. Aber Deutschland sollte uns umgekehrt auch als wichtigen Partner betrachten.

Deutschland und Israel verbindet durch den Holocaust eine ganz besondere Beziehung. Neuerdings jedoch wird die Kritik aus Berlin an der israelischen Siedlungspolitik schärfer. Erodiert da gerade etwas?

Shalicar: Seien wir ehrlich: Israel kritisiert Deutschland und seine Kanzlerin eigentlich in nichts. Wir halten zu unserem Partner, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Zusammenarbeit der Geheimdienste. Umso trauriger ist es, dass Deutschland alles auf die Siedlungsfrage reduziert.

Das ist wie in einer Beziehung im richtigen Leben: Wenn du Liebe gibst und der andere sie nicht erwidert, ist irgendwann die Beziehung am Ende. Deshalb sollte man immer auf seinen Partner hören.

Nach der Legalisierung von 4000 Siedlerwohnungen im Westjordanland hat Angela Merkel die für Mai geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen auf unbestimmte Zeit verschoben. War Netanjahus Absage an Gabriel eine Retourkutsche dafür?

Shalicar: In der Politik hat alles mit allem zu tun. Das ist allerdings keine persönliche Sache zwischen Herrn Netanjahu und Herrn Gabriel oder zwischen Herrn Netanjahu und Frau Merkel. Jeder Staat vertritt seine Interessen, und das größte Interesse des Staates Israel ist es, seine Bevölkerung zu beschützen. Wenn wir Siedlungen räumen oder sie legalisieren, dann tun wir das, um weiter in Sicherheit leben zu können. Sich jetzt bedingungslos auf eine Zwei-Staaten-Lösung einzulassen, wäre politischer Selbstmord, weil die Hamas aus dem Gaza-Streifen sofort das Westjordanland überrennen und auf Israel zumarschieren würde.

Zur Person

Arye Sharuz Shalicar wuchs als Sohn iranischer Juden in Berlin auf. In einem stark muslimisch geprägten Kiez wurde er früh zur Zielscheibe von Hass und Ausgrenzung. Er landete in der Graffiti- und der Hip-Hop-Szene, studierte Politik und wanderte 2001 nach Israel aus. Heute arbeitet der 39-Jährige als außenpolitischer Berater von Geheimdienstminister Israel Katz. Zuvor war Shalicar einer von vier Sprechern der israelischen Armee. Seine Erfahrungen in Berlin hat er in dem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ beschrieben. FOTO: AZ/dpa
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Rudi Wais
Amnesty International
Außenminister
Benjamin Netanjahu
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Eklat
Greenpeace
Hamas
Israelische Armee
Israelische Regierungen
Selbstmord
Sigmar Gabriel
Tzipi Livni
Westjordanland
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen