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BERLIN
Viele Regionen verlieren den Anschluss
Stadtansicht Bremerhaven       -  Im Westen Deutschlands zählt auch Bremerhaven zu den Regionen mit hohem Handlungsbedarf bei Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft.
Foto: Carmen Jaspersen, dpa | Im Westen Deutschlands zählt auch Bremerhaven zu den Regionen mit hohem Handlungsbedarf bei Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft.
Stefan Lange
 und  Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 25.08.2019 02:11 Uhr

Droht auch in Deutschland eine Spaltung zwischen städtischen Eliten und den Bewohnern ländlicher Regionen? Werden bald auch hierzulande die „Abgehängten“ aus der „Provinz“ ihrem Ärger auf den Straßen Luft machen, wie die Gelbwesten in Frankreich? Gilt rund 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch die These: Armer Osten, reicher Westen? Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) versucht in einer neuen Studie, Antworten auf diese Fragen zu geben. Das Ergebnis: Jede fünfte deutsche Region droht den Anschluss zu verlieren, das deutsche Erfolgsmodell, das auf Dezentralität setzt, ist in Gefahr.

Es gibt 19 besonders betroffene Problemregionen

Unter insgesamt 96 deutschen Regionen haben die Forscher 19 besonders betroffene Problemregionen ausgemacht. Und längst nicht alle liegen in den neuen Bundesländern oder im ländlichen Raum. Bedroht sind auch vier Regionen in Nordrhein-Westfalen entlang der Ruhr sowie Bremerhaven, das Saarland, Schleswig-Holstein Ost und die Westpfalz. Was die Studie auch zeigt: Den Menschen im Süden, in Bayern oder Baden-Württemberg etwa, geht es besser als denen im Norden der Republik.

Die Autoren der Studie haben verschiedene Kennzahlen in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur ausgewertet. Mit Blick auf die Wirtschaft liegen die Schlusslichter erstaunlicherweise im Westen der Republik. Besonders düster sieht es in Duisburg sowie Essen, der Emscher-Lippe-Region mit der Stadt Gelsenkirchen sowie in Bremerhaven aus. Der Grund, so Jens Südekum, Mitautor der Studie, von der Universität Düsseldorf, ist ein „nie bewältigter Strukturwandel“.

Seit kurzem kehren Menschen in den Osten zurück

Seinen Angaben zufolge hat Ostdeutschland vor allem ein Demografie-Problem. Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, Lausitz-Spreewald, Oberlausitz-Niederschlesien sowie Ost- und Südthüringen weisen demnach ein hohes Durchschnittsalter der Bevölkerung auf, das in den vergangenen Jahren auch noch überproportional gestiegen ist. Seit der Wende hat der Osten rund eine Million Menschen verloren. Erst seit kurzem, so Südekum, kehrten Menschen in die neuen Bundesländer zurück – oft Rentner, aber auch junge Familien.

Bei der Infrastruktur gibt es derweil deutschlandweit Probleme. Die drei westdeutschen Regionen Emscher-Lippe, Trier und Westpfalz plagen besonders hohe Verschuldungsquoten. In den ostdeutschen Regionen Altmark, Magdeburg und Halle/Saale steckt hingegen die digitale Infrastruktur noch in den Kinderschuhen, so die Studie.

IW-Chef Michael Hüther sieht in den 19 besonders betroffenen Regionen akuten Handlungsbedarf. Wenn die Politik nicht energisch gegensteuere, würden sie den Anschluss an den Rest des Landes verlieren. Noch klafft seiner Einschätzung nach in der Bundesrepublik die Schere zwischen den Regionen nicht so weit auseinander, wie in den USA oder Großbritannien. Doch die „Superstar-Firmen der Digitalisierung werden sich in Metropolen wie München oder Berlin ansiedeln“, glauben die Autoren. In den Großstädten wachse dadurch die Wohnungsnot, auf dem Land drohe noch mehr Leerstand.

Problemregionen werden teils schon lange gefördert

Helfen kann den Experten zufolge vor allem der Griff zum Scheckbuch. Hüther schlägt Schuldenerlasse für die betroffenen Kommunen vor. Für Co-Autor Südekum sollte „kluge Regionalpolitik den Kommunen die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen“. Aber auch Bund und Länder seien in der Verantwortung. Gleichzeitig weisen die Studienautoren aber auch darauf hin, dass die genannten Problemregionen zum Teil seit Jahrzehnten gefördert werden. Von der Politik sei also kein „Gießkannenansatz“ gefordert.

Weitere Stellschrauben sehen die Wissenschaftler darin, bürgerschaftliches Engagement besser zu unterstützen und zu vereinfachen, Bildungsangebote in den betroffenen Regionen zu verbessern und das Netz – sowohl in Form von Schienen als auch von Breitbandinternet – auszubauen. „Die Regionalpolitik muss jetzt dringend gegensteuern, sonst werden die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen und es kann zu gefährlichen Abwärtsspiralen kommen“, warnt Hüther.

Stadtansicht Boizenburg       -  Abgehängt: vor allem Regionen im Osten.
Foto: Jens Büttner, dpa | Abgehängt: vor allem Regionen im Osten.
 
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