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BRÜSSEL
Viele Rätsel um Salah Abdeslam
BELGIUM-FRANCE-ATTACKS-POLICE       -  Polizisten im Brüsseler Stadtviertel Molenbeek
Foto: Dirk Waem, afp | Polizisten im Brüsseler Stadtviertel Molenbeek
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 31.03.2016 03:33 Uhr

Der Witz ist den meisten längst im Hals steckengeblieben. „Wie? Sie haben Salah Abdeslam nicht gesehen? Der stand doch letzte Woche noch an der Pommes-Bude am Place Jourdan.“ Monatelang erzählten sich Brüsseler Einwohner den Spruch über den Terroristen, der eine Schlüsselrolle bei den Pariser Anschlägen am 13. November 2015 gespielt haben soll. Vorrangig waren dies jene wie die 35-jährige Programmiererin Anne Makers, die den „ganzen Firlefanz“ um die mehrtägige höchste Terrorwarnstufe vier im Dezember für ein „aufgeblasenes Getue“ der belgischen Regierung hielt. Sie stand nicht allein.

Doch seit dem Auftritt von Außenminister Didier Reynders am Wochenende sind solche Gags verstummt: „Wir haben viele Waffen, schwere Waffen gefunden“, berichtete der liberale Politiker einer geschockten Öffentlichkeit. Und dann setzte er die Worte hinzu, die der Stadt den Atem nahmen: Salah Abdeslam, der 26-jährige Top-Terrorist aus der Gemeinde Molenbeek, habe „weitere Anschläge“ vorbereitet – darunter „auch etwas in Brüssel“.

Stand dazu möglicherweise etwas auf dem Zettel, der Abdeslam aus dem Hosenbein rutschte, als er am Freitagnachmittag aus dem Haus Nummer 79 in der Rue du Quarte-Vents in Molenbeek stürmte, ehe ihn eine Polizeikugel am Bein verletzte und er endlich dingfest gemacht konnte – 126 Tage nach den Attentaten in Paris. „Ich wusste nicht, dass er hier lebt“, berichtet Omar, ein Metzger, dessen Geschäft direkt an der Ecke der Straße liegt. Die 24-jährige Amae wohnt praktisch gleich nebenan. „Das ist wirklich ironisch“, sagte sie. „Wir haben ihn irgendwo in Deutschland, der Türkei oder Syrien vermutet.“

Keiner will etwas gesehen haben, obwohl die belgische Generalstaatsanwalt Frédérick van Leeuw und sein französischer Amtskollege François Molins am Montag Indizien nicht widersprachen, dass sich Abdeslam sehr wohl aus seinem Keller herausgetraut haben soll. Es gibt so viele Widersprüche, die noch niemand wirklich erklären kann.

Fest steht, dass Salah Abdeslam in den Monaten vor den Pariser Mord-Anschlägen durch Deutschland, Österreich, Griechenland, Italien, Ungarn und die Niederlande gereist ist, um Gleichgesinnte zu suchen. So tauchte er am 3. Oktober 2015 vor einem Asylbewerberheim in Ulm auf, hielt sich eine Stunde dort auf und fuhr wieder zurück – wenig später stellten die Betreuer des Heims fest, dass drei Männer fehlten. Auf rund 30 Personen schätzen belgische und französische Staatsanwaltschaft inzwischen den Kreis der Helfer und Unterstützer.

Aber Abdeslam war der Drahtzieher, der Organisator. Er beschaffte die Waffen, er karrte Wasserstoffperoxid und Zünder für die Sprengstoffwesten heran. Er mietete die beiden Autos an, mit denen das Terror-Kommando nach Paris fuhr. Und er war es auch, der seinen Bruder Ibrahim vor dem Stade de France absetzte, wo gerade das Länderspiel Frankreich – Deutschland lief. Als der mittlere von drei Brüdern nicht auf die Tribüne vordringen konnte, zündete er seinen Sprengstoffgürtel draußen.

Doch da beginnen die Rätsel, die die Behörden noch nicht lösen können. Eigentlich wollte Abdeslam sich ebenfalls vor dem Stadium in die Luft jagen, aber er legte den Sprengstoffgürtel ab, warf ihn in der Nähe der Pariser Metro-Station Montrouge in einen Müllkübel, wo er zehn Tage später gefunden wurde. Geplant war das nicht, wie die spätere Erklärung der Pariser Terroristen verrät. In ihr ist ausdrücklich die Rede davon, dass man die Verantwortung für die Anschläge am Stade de France, den Cafés sowie im 18. Bezirk der französischen Hauptstadt übernehme. Doch in diesem Arrondissement gab es keinen Gewaltakt.

Stattdessen wird Abdeslam auf der Rückfahrt von Paris nach Brüssel am selben Abend von der Grenzpolizei gestoppt, kontrolliert und, da es noch keinen Hinweis auf eine Straftat gab, fahren gelassen. Hatte der 26-jährige Belgier also gekniffen? Oder passt das gängige Bild des fundamentalistischen Selbstmordattentäters nicht? Wollte er in der Metropole der Europäischen Union noch einmal zuschlagen?

„Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen“, hieß es am Montag von den Staatsanwaltschaften der beiden beteiligten Länder, die sich zwar in dem Fahndungserfolg sonnen, aber gleichzeitig doch vor Entspannung warnten. Stattdessen wurde die Bevölkerung um Hinweise auf den 24-jährigen Najim Laachraoui gebeten. Er soll zum Kreis der unmittelbaren Helfer Abdeslams gehören und mit einem gefälschten belgischen Ausweis geflohen sein.

Dieser Appell passt zu der Feststellung des belgischen Premiers Charles Michel und des französischen Präsident François Hollande, die schon unmittelbar nach der Festnahme des Top-Terroristen am Freitagabend von weiteren notwendigen Festnahmen gesprochen hatten. Man rechne mit einem weitverzweigten Netzwerk, hieß es auch am Montag. Brüssel kommt nicht zur ruhe.

Dabei hatte die Stadt doch gerade erst wieder zur Normalität gefunden, so weit dies unter der zweithöchsten Terrorwarnstufe drei, die nun seit Monaten gilt, möglich ist. Engagierte Stadtführer lotsten Besucher sogar durch die Gemeinde Molenbeek, um deren Ruf als „Terrornest“, „Dschihad Central“ oder „Terrorhochburg“ zu widerlegen.

 
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