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Vermächtnis der Wüstenkönige
Felsenstadt Petra in Jordanien Vor 200 Jahren entdeckte der Orientreisende Johann Ludwig Burckhardt Petra, Stammessitz der Nabatäer. Heute zählt das antike Zentrum des Nomadenvolkes zu den neuen „Sieben Weltwundern“.
Von unserer Mitarbeiterin Nicole Quint und unserem Redaktionsmitglied Christine Jeske
 |  aktualisiert: 26.04.2023 19:11 Uhr

Schweizerdeutsch kann Leben retten. Hätte der aus Basel stammende Johann Ludwig Burckhardt die Mundart nicht beherrscht, wäre er im wahrsten Sprichwortsinn über den Jordan gegangen und hätte auch die heute bekannteste Touristenattraktion Jordaniens nicht wiederentdecken können – die Felsenstadt Petra, Zentrum des Nabatäer-Reiches. Jahrhundertelang lag es hinter Sand und Fels versteckt, kein Forschungsreisender fand dorthin, und nur wenige hatten überhaupt eine Ahnung von der Existenz der Felsenstadt, ihren Hunderten von Höhlen, gewaltigen Hallen, Grabanlagen, Tempeln und prunkvollen Fassaden. Petra war das arabische Atlantis.

„Im Abendland ist die Kenntnis um Petra nie ganz verloren gegangen“, sagt der Theologe Matthias Augustin, im oberfränkischen Forchheim lebender Professor für Altes Testament an der Universität Rostock. „Die Kreuzritter wussten von der Stadt, auch in mehreren Konzilien wurde Petra erwähnt.“ Als vorerst letzter abendländischer Besucher gelangte der christliche Pilger Thetmar im Jahr 1217 dorthin.

Wer den Siq betritt, eine rund 1,5 Kilometer lange Felsenschlucht, die bis zu 80 Meter in die Höhe ragt und ins Innere der Stadt führt, wird einen Augenblick lang glauben, der Erste zu sein, der Petra nach jahrhundertelanger Einsamkeit wieder betritt. Licht streift die Felswände und lässt das Aquarell des Sandsteins leuchten – Perlrosa, Ziegelrot, Flachsgelb, Apricot und Zartgrau. Ein Idyll – still und steinern, das im nächsten Moment hinter Staubwirbeln und Stimmengewirr verschwindet.

An gleicher Stelle hat Johann Ludwig Burckhardt am 22. August 1812 gestanden, von der Angst vor Entdeckung geplagt und sich vielleicht gefragt, ob er immer die richtigen Entscheidungen im Leben getroffen hatte. Zwei Jahre war der studierte Jurist vergeblich auf Jobsuche gewesen. In echter Existenznot meldete er sich schließlich bei der britischen African Association als Freiwilliger für eine Forschungsreise zum Niger. Getarnt als muslimischer Kaufmann wollte er von Kairo aus in das Innere Afrikas vordringen.

Innerhalb nur eines Jahres erlernte er in Cambridge die arabische Sprache so gut, dass er schon 1809 als Sheikh Ibrahim Ibn Abdallah nach Aleppo reisen konnte, um dort mit Sitten und Gebräuchen des Nahen Ostens vertrauter zu werden. Den Akzent seiner arabischen Aussprache begründete er damit, dass er aus Indien stammte. Wenn eine Probe der indischen Sprache von ihm verlangt wurde, so antwortete er „im schlechtesten Dialekt des Schweizerdeutschen, das beinahe unverständlich und in seinen Kehllauten sehr wohl mit den rauesten Ausdrücken des Arabischen rivalisieren möchte“, beschrieb Burckhardt später seine Tarnmethode.

1812 brach Burckhardt nach Kairo auf, nahm aber nicht die kürzere Küstenroute, sondern reiste mitten durch das Territorium des heutigen Jordaniens. Hinweise auf die Existenz Petras hatten seinen Ehrgeiz geweckt. Er wollte die Nabatäer-Stadt finden und drang südlich des Toten Meeres in unbekanntes Gebiet. Dort wurde es brenzlig für ihn, denn – Scheich hin, Schweizerdeutsch her – Burckhardts beduinischer Begleiter blieb misstrauisch und hielt ihn für einen potenziellen Plünderer antiker Stätten, den er niemals freiwillig in die Felsenstadt geführt hätte. Burckhardt aber spielte die Glaubenskarte. Moses Bruder Aaron liegt ganz in der Nähe Petras begraben, und Burckhardt bat darum, ihm ein Opfer bringen zu dürfen.

Professor Augustin beschreibt das Volk der Nabatäer als „seltsame Erscheinung“. Rund ein halbes Jahrtausend lang bestand ihr Reich. „Im dritten Jahrhundert vor Christus tauchten die Nabatäer auf, im dritten Jahrhundert nach Christus verschwanden sie wieder von der Bildfläche.“ Sie waren, so Augustin, Beduinen und wussten ihr Wissen über das Leben in der Wüste des Nahen und Mittleren Ostens zu ihrem Vorteil zu nutzen. „Sie stellten Karawanen zusammen, die aus der Tiefe der arabischen Halbinsel zu den Häfen am Mittelmeer zogen und kostbare Handelswaren transportierten. In Gaza und Jaffa beispielsweise wurden die arabischen Güter verschifft, die im Abendland sehr begehrt waren: Gewürze, Myrrhe und vor allem Weihrauch.“ Mit Transport und Handel haben die Nabatäer sehr viel Geld verdient. Im Lauf der Zeit wurde ein Teil des Beduinenvolkes sesshaft, der andere zog nach wie vor mit seinen Kamelen durch die Wüste. Um Christi Geburt entstanden aus den Karawansereien größere Niederlassungen – wie Petra, die wohlhabendste Stadt der Nabatäer, Handelsknotenpunkt und zugleich Zentrum ihres Königreiches. Heute zählt Petra neben dem Kolosseum in Rom, dem Taj Mahal in Indien oder der Chinesischen Mauer zu den neuen „sieben Weltwundern“. Und dies nicht nur wegen den architektonischen, sondern auch wegen den technischen Fähigkeiten der Nabatäer.

Matthias Augustin ist, obwohl er schon viele Gruppen nach Petra begleitet hat, bei jedem Besuch erneut beeindruckt: „Sie schlugen aus den Sandsteinfelsen Tempelfassaden heraus, die es so kein zweites Mal mehr gibt.“ Darüber hinaus entwickelten die Nabatäer ein raffiniertes System aus Aquädukten, mit denen sie Wasser aus den Bergen bis in die Stadt und auf ihre Felder umleiteten. Auch der Zugang zur Stadt, in der zu ihrer Blütezeit bis zu 40 000 Menschen lebten, ist einzigartig, so Augustin.

Wer sich auf den Weg macht, den erwarten hinter jeder Windung des Weges neue Aussichten, neue Farben, hier ein blühender Oleanderbusch, dort ein stämmiger Bambus, und am Ausgang des Siq formen vorstehende Felssprünge ein kolossales Schlüsselloch, durch das Touristen hindurch auf die rötlichen Säulen des Khazneh al-Firaun, das Schatzhaus des Pharaos, spähen. Als der schmale Pfad die Besucher und passenderweise auch einige Kamele wie durch ein Nadelöhr auf den Vorplatz entlässt, stehen alle wie zusammengefegt in kleinen Haufen am Rand, so als wollten sie nicht stören.

Burckhardt musste seine Begeisterung vor seinem argwöhnischen Begleiter verbergen, heute dürfen sich alle großäugig wundern und beeindrucken lassen von all den Pilastern, Treppen, Tempelfassaden und Totenhallen. Bis Mitte der 1980er Jahre dienten die kühlen Grabbauten den Nachfahren der Nabatäer, Beduinen vom Stamm der B'doul, als Wohnungen und Ziegenställe. Um Petra touristisch besser nutzen zu können, siedelte die Regierung die B'doul jedoch zwangsweise um. Heute leben sie in den umliegenden Dörfern in Wadi Musa, verdienen am Petra-Tourismus jedoch mit. Sie arbeiten als Fremdenführer und Souvenirverkäufer, posieren als Fotomodelle in nabatäischer Uniform.

Für sechs Dinar trägt ein Esel Touristen in der Mittagshitze über rund 800 Stufen – glattpoliert von den Sohlen von Millionen Besuchern – hinauf zum Deir-Plateau. Von dort oben reicht der Blick bis zum Horizont, vor dem eine gedehnte Landschaft aus schroffen Tafelbergen, elegant geschwungenen Hügeln, Quadern und isolierten Kegeln liegt: die arabische Wüste. Vom Jebel Harun strahlt der weiße Schrein herüber, der zu Ehren des Propheten Aarons gesetzt wurde. Dort brachte Burckhardt sein Opfer dar – ein Zicklein für die Chance, Petra zu finden. Für viele andere große Entdeckungen floss vergleichsweise mehr Blut.

Die Römer wollten natürlich die Nabatäer in ihr Reich integrieren. „Auf ihrem ersten Kriegszug scheiterten sie jedoch kläglich“, so Augustin, „erst im Jahr 106 nach Christus gelang es ihnen, die Nabatäer zu besiegen“. Mit diesem Datum begann die Assimilation des stolzen Wüstenvolkes mit den anderen Bevölkerungsgruppen des Römischen Reiches. „Wie sich diese gestaltete, wissen wir nicht, nur so viel: Die Nabatäer sind wieder aus der Geschichte verschwunden.“

Sein eigentliches Ziel, den Niger, hat Burckhardt nie erreicht. Kurz vor Aufbruch der Karawane, die ihn ins Innere Afrikas bringen sollte, erkrankte er an Ruhr und starb mit nur 32 Jahren. Als Freund und Kenner des Islam wird er bis heute auch in der arabischen Welt geachtet. Der noch um einiges populärere andere Brite im Arabergewand – Lawrence von Arabien – war natürlich auch in Petra und hielt ihn, für „den herrlichsten Ort der Welt“, unfähig allerdings ihn zu beschreiben. „Ich habe da eine Unmenge sehr schön geschriebener Berichte darüber gelesen“, notierte er, „doch sie geben überhaupt keinen Begriff davon und ich bin sicher, dass ich es nicht einmal so gut beschreiben kann, also wirst Du nie erfahren, was Petra eigentlich ist, falls Du nicht selbst hierherkommst.“

Ausstellungen zu Petra: Im Naturhistorischen Museum in Nürnberg lautet der Titel: „Antikes Zentrum des Weihrauchhandels“ (bis 28. April). Info im Internet: www.naturhistorisches museumnuernberg.de

„Petra. Wunder in der Wüste. Auf den Spuren von J. L. Burckhardt alias Scheich Ibrahim“ heißt die Sonderschau im Antikenmuseum Basel (bis 17. März): www.antikenmuseumbasel.ch

Johann Ludwig Burckhardt
Foto: wikipedia | Johann Ludwig Burckhardt
Baukunst der Nabatäer: Auf dem Berg steht der Felsentempel ad-Deir.
Foto: thinkstock | Baukunst der Nabatäer: Auf dem Berg steht der Felsentempel ad-Deir.
Schatzhaus von oben.
Foto: Jordanisches FVA | Schatzhaus von oben.
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