zurück
„Verhandlungen sind intransparent“
reda
 |  aktualisiert: 05.08.2015 19:25 Uhr

Die Abkürzung TTIP steht für das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA. Diese vier Buchstaben sind für viele Menschen mittlerweile zum Inbegriff für Geheimverhandlungen zugunsten der Wirtschaft und auf Kosten der Allgemeinheit geworden. Thilo Bode ist einer von ihnen. Der 68-jährige Geschäftsführer der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch ist mit seinem Buch „Die Freihandelslüge“ seit mehreren Wochen in den Bestsellerlisten. Bode macht also kein Hehl aus seiner TTIP-Ablehnung.

Frage: Herr Bode, was haben Sie eigentlich gegen die USA?

Thilo Bode: Wir sind nicht gegen die USA. Unsere Kritik am Freihandelsabkommen TTIP hat weder etwas mit Anti-Freihandel zu tun, noch mit Anti-Amerikanismus, sondern in erster Linie mit der Besorgnis, dass dadurch bei uns demokratische Rechte geschwächt werden.

Deutschland hat Handelsabkommen mit diversen Ländern. Das hat nie jemanden interessiert. Warum TTIP?

Bode: TTIP ist ein besonderes Freihandelsabkommen, das sich von allen anderen bisher geschlossenen abhebt. Bei den bisherigen Abkommen geht es in erster Linie um Marktzugang, also um Zölle und klassische Handelsbeschränkungen. Bei TTIP geht es aber darüber hinaus um gesellschaftspolitische Regulierungen, wie etwa Sicherheitsbestimmungen für Lebensmittel. Diese Regulierungen sollen angeglichen oder gegenseitig anerkannt werden zwischen EU und USA, sodass sie kein Handelshemmnis mehr darstellen. Aber Umweltschutzstandards oder Arbeitnehmerrechte dürfen doch nicht zu einem bloßen „Handelshemmnis“ werden! Das sind gesellschaftliche Errungenschaften, die demokratisch beschlossen wurden – sie dürfen auch nur demokratisch geändert werden, und nicht in Hinterzimmerverhandlungen im Rahmen von TTIP.

Sind uns die USA in ihrem Werteverständnis nicht immer noch am nächsten?

Bode: Die Angleichung technischer Standards beispielsweise für Blinkerfarben oder Schraubenlängen wäre ja auch kein Problem. Aber wenn es um die Angleichung gesellschaftspolitischer Regelungen geht, müssen wir Vorkehrungen treffen, damit unsere Demokratie nicht beschädigt wird. Doch das passiert nicht. Im Gegenteil: Die nachteiligen Wirkungen auf die Demokratie werden sogar unter den Tisch gekehrt.

Welche Auswirkungen fürchten Sie?

Bode: Das geht schon los mit der Intransparenz der Verhandlungen. Der normale Bürger und selbst der normale Abgeordnete können nicht sagen, wie der aktuelle Verhandlungsstand ist. Da es aber bei TTIP nicht nur um Zölle geht, sondern um Regeln, die das tägliche Leben von Hunderten Millionen von Verbrauchern betreffen, ist das zutiefst undemokratisch. Hinzu kommt die mangelnde Beteiligung der Parlamente: Sie können nicht über Details abstimmen, sondern nur Ja oder Nein sagen – im Zweifel kann das Abkommen sogar vorläufig in Kraft gesetzt werden, ohne dass ein Parlament zustimmen muss. Nachdem das Abkommen in Kraft ist, könnten weitreichende Ergänzungen und Änderungen an dem Vertragswerk vorgenommen werden, ohne dass das Europäische Parlament überhaupt ein Zustimmungsrecht hat.

Generell gilt, dass jedes Gesetz, das in Zukunft in der EU verabschiedet wird, konform mit TTIP sein muss, weil Völkerrecht Vorrang vor europäischen Gesetzen hat. Das schränkt die Rechte der Parlamentarier und den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum ein – das hat uns sogar das Bundeskanzleramt schriftlich bestätigt. Wir müssen uns fragen und darüber diskutieren, ob wir das wirklich wollen.

Die Politik betont, dass bestehende Standards nicht gesenkt werden. Warum glauben Sie das nicht?

Bode: Ich glaube der Politik grundsätzlich nicht alles. Es ist die Pflicht von Demokraten, Politik zu kontrollieren. Ohnehin sind diese Zusicherungen aus vielerlei Hinsicht absurd: TTIP ist darauf angelegt, die Gesetzgebung anzugleichen. Daraus ergibt sich, dass in einigen Bereichen Abstriche gemacht werden. Auch wenn bestehende Regelungen nicht unmittelbar ausgehebelt werden, werden doch bereits jetzt anstehende Regulierungen wegen der TTIP-Verhandlungen aufgeschoben. Das Versprechen, dass Standards nicht gesenkt werden, wird damit eher zu einer Drohung. Denn wir finden nicht, dass Standards, die wir etwa im Lebensmittelbereich, in der Landwirtschaft, im Tierschutz oder bei Arbeitnehmerrechten haben, zufriedenstellend sind.

Wir wollen diese Standards selbstständig weiterentwickeln und immer weiter verbessern – aber genau das wird durch TTIP erschwert.

Bedienen die Gegner von TTIP bewusst Vorurteile gegen die „böse Wirtschaft“ und die „böse Politik“?

Bode: Die Politik hat in der Finanzkrise durchaus selbst gezeigt, dass sie sich zum willfährigen Verbündeten einer Deregulierung gemacht hat, die die gesamte Weltwirtschaft fast an die Wand gefahren hat. Wir schüren also kein Misstrauen – das ist vorhanden. Und wenn ich jetzt sehe, wie die EU-Kommission bei TTIP mit falschen Zahlen arbeitet, wie deutsche Politiker Zahlen beschönigen und die Unwahrheit sagen, ist Misstrauen die Devise der Stunde. Die TTIP-Verhandlungen sind intransparent – und wer etwas zu verbergen hat, dem muss man misstrauen. TTIP ist kein Pokerspiel. Natürlich haben Konzerne ein legitimes Ansinnen, Regulierungen des Staates zu verhindern. Sie denken an ihren Profit. Niemand hat etwas dagegen. Das Problem ist, dass das politische System Wirtschaftsinteressen zu großen Einfluss zubilligt – auf Kosten von uns Bürgern. Foto: Foodwatch

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bundeskanzleramt
Europäische Kommission
Foodwatch
Thilo Bode
Transatlantisches Freihandelsabkommen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen