Theoretisch drohen ihm bis zu drei Jahre Haft. Weil der Kabarettist Dieter Nuhr in seinen Programmen auch den Islam nicht schont, hat ein mutmaßlicher Salafist ihn jetzt angezeigt – wegen antireligiöser Hetze. Erhat Toka, gelernter Mechaniker und Besitzer eine Kampfsportschule in Osnabrück, erregt sich unter anderem über eine satirische Bemerkung des Künstlers, in der sich dieser mit dem islamischen Recht beschäftigt, der Scharia. Wenn einem Dieb die Hand abgehackt werde, spottet Nuhr dabei, „hat das ja was für sich. Da klaut einer zweimal, aber beim dritten Mal wird's schwierig . . .“.
Dass ein Staatsanwalt deswegen ein Verfahren eröffnet, gilt zwar als unwahrscheinlich. Sein Ziel allerdings dürfte Toka mit der Anzeige gegen Nuhr auch so erreicht haben: Aufmerksamkeit. Der enorme Zulauf, den das Lager der radikalen Muslime in Deutschland hat, ist auch das Ergebnis einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit, die auf den einschlägigen Seiten im Internet beginnt und mit Demonstrationen wie am Samstag vor Nuhrs Auftritt in der Osnabrücker Stadthalle noch lange nicht endet. Bis zu 1800 Islamisten sollen nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bereits aus Deutschland in den „Heiligen Krieg“ nach Syrien und in den Irak gezogen sein.
Bestätigt wird diese Zahl im Innenministerium in Berlin nicht, dort ist nach wie vor von etwa 450 Dschihadisten aus der Bundesrepublik die Rede. Das Milieu jedoch, aus dem die selbst ernannten Gotteskrieger ihren Nachwuchs rekrutieren, wächst offenbar rasant. Noch vor wenigen Jahren habe seine Behörde rund 2800 Salafisten in der Bundesrepublik gezählt, betont der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Mittlerweile seien es fast 7000. Vor allem junge Leute zwischen 18 und 30 Jahren fühlen sich danach vom Salafismus angezogen. Menschen wie David G. aus Kempten, der im Januar in Syrien erschossen wurde. Er wurde nur 19 Jahre alt.
„Vom Underdog zum Topdog“
In einem Radiointerview hat Verfassungsschützer Maaßen den typischen Salafisten am Wochenende mit den „vier M“ beschrieben: Männlich – Muslimisch – Migrationshintergrund – Misserfolge in Pubertät und Schule. Häufig würden diese gescheiterten und orientierungslosen jungen Männer beim Verteilen des Koran oder Flugblättern angesprochen und „angefixt“ – und anschließend in den sozialen Netzwerken radikalisiert. Mit seinen einfachen Antworten und seinem starren Schwarz-Weiß-Denken verschaffe der Salafismus vielen von ihnen das Gefühl, „vom Underdog zum Topdog“ zu werden, warnt Maaßen. So habe sich in der Szene mittlerweile eine regelrechte „Jugendkultur“ entwickelt, in der es als „cool“ gilt, Twitter-Nachrichten aus Aleppo zu empfangen, über Facebook mit vermeintlichen Freunden in Kontakt zu stehen, die in den Dschihad gezogen sind, und irgendwann womöglich sogar selbst in Syrien oder im Irak zu kämpfen. Mindestens sieben Salafisten aus Deutschland haben nach den Recherchen des Verfassungsschutzes bereits Selbstmordattentate in Syrien verübt.
Ob der Staat gewaltbereite Islamisten an der Ausreise hindern oder lieber zügig aus dem Land werfen soll, ist gegenwärtig eine der umstrittensten Fragen der deutschen Innenpolitik. Im Falle von Erhan A., nur drei Jahre älter als David G. und ebenfalls aus Kempten stammend, hat der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) sich gegen heftige Widerstände seiner Länderkollegen für die Abschiebung entschieden. Auch er wolle den Terror nicht sehenden Auges exportieren, betont er. Wenn aber durch Salafisten „unmittelbare Gefahren für die Sicherheit Deutschlands drohen, dann haben unsere eigenen nationalen Interessen ganz klar den Vorrang“.
Warten auf Gesetzentwurf
Unausgesprochen schwingt darin die Sorge mit, dass eine zunehmende Zahl von Islamisten und ein striktes Ausreiseverbot am Ende nur den Druck im Kessel Deutschland erhöhen. Die bislang eher abstrakte Gefahr eines Anschlages, fürchten Sicherheitsexperten, könnte dann zu einer sehr konkreten werden.
Eine Resolution der Uno verpflichtet alle Mitgliedsländer, Reisen aus terroristischen Motiven zu verhindern – sei es in ein Ausbildungslager der Taliban oder zu den Milizen des Islamischen Staates (IS). Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung, nach dem verdächtigen Salafisten Pässe und Personalausweise entzogen werden sollen, lässt jedoch noch auf sich warten. Von Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Union und SPD ist in der Koalition die Rede, von der komplizierten Rechtslage und den schwierigen Kontrollen. Tatsächlich jedoch gibt es das alles bereits – und es funktioniert: Gewaltbereite Fußballfans werden regelmäßig mit Ausreisesperren gestoppt.