Das Phänomen ist neu – und bereitet den deutschen Sicherheitsbehörden gerade deshalb große Probleme. Vor genau einem Jahr riefen die Kämpfer der radikal-islamistischen Terrormiliz IS ihr „Kalifat“ im Norden Syriens und im Norden des Iraks aus, und schon haben sie das einst von Osama bin Laden ins Leben gerufene Terrornetzwerk El Kaida als Zentrum des Dschihads abgelöst.
Mit entsprechenden Konsequenzen: Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind bislang rund 700 Islamisten aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak gereist, um sich an den Kampfhandlungen des IS zu beteiligen oder die Terrormilizen auf andere Weise zu unterstützen.
„Der IS hat sich inzwischen zur wichtigsten Anlaufstation für Dschihadwillige aus Deutschland entwickelt“, heißt es im neuesten Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in Berlin vorstellten.
„Der islamistische Terrorismus ist und bleibt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“, sagte de Maiziere. Zu beobachten sei eine „zunehmende Professionalisierung“ bei der Nutzung des Internets und der sozialen Medien, um nicht nur über ihre angeblichen militärischen Erfolge zu berichten, sondern auch um radikalisierte Glaubensbrüder anzuwerben. Deutschland sei „weiter einer ernstzunehmenden Bedrohungsgefahr ausgesetzt“, sagte der Innenminister mit Blick auf die Anschläge in Tunesien und Frankreich am vergangenen Freitag.
Verfassungsschutz-Präsident Maaßen verwies darauf, dass sich die Zahl der radikalen Salafisten in Deutschland innerhalb weniger Jahre von 3800 auf 7500 praktisch verdoppelt habe. Der Salafismus sei somit „die dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland“. Praktisch alle Dschihadisten mit Deutschlandbezug hätten zuvor Kontakt mit salafistischen Strukturen gehabt. „Hier ist noch einiges zu tun“, sagte Maaßen. So müsse man die in Deutschland lebenden muslimischen Jugendlichen über die „brutale Realität“ der Terrormilizen aufklären. Es sei Zeit, dass der IS „endlich entzaubert wird“.
Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden stieg im vergangenen Jahr die Zahl der politisch motivierten Straftaten um 3,3 Prozent auf 32 700, die Zahl der Gewalttaten nahm im Vergleich zum Vorjahr gar um 18,3 Prozent auf 3368 Delikte zu, wobei allein die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten um 23,6 Prozent auf 990 stiegen – dies ist der höchste Stand seit dem Jahr 2008.
Dagegen stagnierte die Zahl der von Linksextremisten verübten Gewalttaten mit 995. Als „besonders besorgniserregend“ nannte de Maiziere den rasanten Anstieg der Übergriffe gegen Flüchtlings- und Asylbewerberheime. Hatte sich schon 2014 die Zahl der Straftaten mit 170 mehr als verdreifacht, wurden im ersten Halbjahr bereits rund 150 Anschläge registriert. „Hass und Gewalt gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland sind beschämend“, sagte der Innenminister. Mehr noch, es dürfe „kein stilles Verständnis und schon gar kein stilles Einverständnis“ der Bevölkerung bei solchen Übergriffen geben, jeder Anschlag sei ein „Anschlag auf den Rechtsstaat“.