Klein war der Kreis der Mitwisser nicht gerade. Als Erster erfuhr BKA-Chef Jörg Ziercke, dass der SPD-Parlamentarier Sebastian Edathy auf der Kundenliste eines kanadischen Kinderporno-Rings stehe. Er informierte den damaligen Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, dieser gab die brisante Information seinem Minister Hans-Peter Friedrich weiter. Der CSU-Politiker wiederum weihte SPD-Chef Sigmar Gabriel ein, der seinerseits den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und den Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann in Kenntnis setzte, Oppermann gab schließlich seiner Nachfolgerin Christine Lambrecht Bescheid. Aber auch in Niedersachsen stieg die Zahl der Mitwisser bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei, SPD-Innenminister Boris Pistorius wurde vom Göttinger Polizeipräsidenten informiert.
Gab jemand aus diesem Kreis die brisante Information an den Betroffenen weiter? Bekam Sebastian Eda-thy frühzeitig einen Hinweis, dass gegen ihn möglicherweise ermittelt werde, so dass er rechtzeitig die Dateien löschen und Beweismittel vernichten konnte? Nach dem Rücktritt des früheren Innenministers Hans-Peter Friedrich am Freitag, der diesen Schritt ausdrücklich mit der mangelnden politischen Unterstützung begründete, konzentrierte sich die Debatte am Wochenende auf die Frage, ob und von wem Edathy gewarnt wurde. Angeblich kursierten schon im November sowohl unter SPD- als auch unter Unions-Abgeordneten Berichte über den Verdacht gegen Edathy.
Ermittlungsverfahren
Die Staatsanwaltschaft erwägt, zur Aufklärung dieser Frage ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Strafvereitelung einzuleiten. Dabei könnten auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann vernommen werden. Sebastian Edathy selber bestritt gegenüber dem „Spiegel“, dass er vorab informiert worden sei. Er habe Mitte November in der Zeitung gelesen, dass eine Firma in Kanada von den dortigen Behörden der Verbreitung illegalen Materials bezichtigt werde. „Da mir erinnerlich war, bei einer kanadischen Firma, um die es mutmaßlich ging, vor etlichen Jahren Material bezogen zu haben, das ich für eindeutig legal halte, habe ich einen Anwalt um Beratung gebeten.“
Die Frage der Warnung
Trotz dieser Erklärung erhöhte die Union den Druck auf den Koalitionspartner und nahm dabei vor allem Oppermann ins Visier. So forderten sowohl der stellvertretende CDU-Chef Armin Laschet als auch der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl von allen beteiligten SPD-Politikern eidesstattliche Erklärungen, „dass sie den Verdächtigen nicht vorgewarnt haben“. Zudem müsse offengelegt werden, wer außer Gabriel, Steinmeier und Oppermann von den geplanten Ermittlungen gegen Edathy wusste.
CSU-Chef Horst Seehofer warf auf einem kleinen Parteitag der CSU in Bamberg der SPD „Geschwätzigkeit“ vor und forderte sie auf, „ihr Verhalten, ihre Widersprüche aufzuklären“. Aus Sicht der CSU habe Oppermann mit der Erklärung vom Donnerstag alle Schuld auf den damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich gelenkt, um vom eigenen Fehlverhalten der SPD-Spitze abzulenken. Friedrich selber sagte, Oppermann habe ein gezieltes Ablenkungsmanöver gefahren, um seine eigene Karriere zu retten. „Das ist nicht ganz fein.“
In der Union war offen die Rede davon, dass nach dem Rücktritt des CSU-Ministers nun auch die SPD einen Preis für die Affäre Edathy zahlen müsse. So sagte der Innenexperte Wolfgang Bosbach: „Die SPD legt sich jetzt in eine Ackerfurche und hofft, dass der Wind über sie hinweg weht.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel schloss allerdings bereits personelle Konsequenzen kategorisch aus.
Belastetes Klima
Oppermann seinerseits wies diese Vorwürfe zurück. Er habe die Erklärung mit Friedrich telefonisch abgestimmt, dieser habe auch die schriftliche Fassung vorab gekannt und „keine Einwände“ erhoben, was auch der Ex-Minister bestätigte. „Ich war mir der Brisanz der Informationen von Herrn Friedrich sehr bewusst und habe mich in jeder Hinsicht gesetzeskonform verhalten“, sagte der SPD-Fraktionschef. Niemand aus der seiner Partei habe Edathy direkt oder indirekt gewarnt, er selber habe „in dieser Angelegenheit bis zu seinem Rücktritt mit ihm keinen Kontakt gehabt“.
Auch seinen umstrittenen Anruf bei BKA-Chef Ziercke verteidigte Oppermann mit seinen Dienstpflichten als Fraktionsgeschäftsführer: „Es stand eine Regierungsbildung bevor mit wichtigen Personalien. Dann kann es zu schweren Fehlentscheidungen kommen.“ Ziercke habe ihm allerdings „keine Einzelheiten genannt“.
Absehbar ist, dass die Debatte, die längst das Klima der Großen Koalition belastet, in der kommenden Woche weitergehen wird. Am Dienstag treffen sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD zur ersten Sitzung des Koalitionsausschusses, der Innenausschuss wird sich damit beschäftigen, die Oppositionsparteien fordern eine Aktuelle Stunde des Bundestags. Aus der Affäre Edathy ist längst eine Krise der Großen Koalition geworden.
Kinderpornografie
Die Rechtslage bei Kinderpornografie ist zum Teil kompliziert. Laut Paragraf 184b Strafgesetzbuch handelt es sich bei Kinderpornografie um „Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben“. Dazu gehören auch Tonaufnahmen, Fotos, Videos und andere Abbildungen. Wer unter 14 Jahre alt ist, gilt im rechtlichen Sinn als Kind. Herstellung und Verbreitung sowie Besitz von kinderpornografischen Inhalten ist strafbar. Wer solches Material produziert, verbreitet oder vorführt, dem droht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Gewerbsmäßiger Handel wird mit bis zu zehn Jahren bestraft. Bei Besitz von Kinderpornos drohen Geldstrafen oder eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Wesentlich ist, was auf den Abbildungen zu sehen ist. Was ist ein Schnappschuss von einem nackten Kind am Strand? Und was ist Kinderpornografie? Eindeutig sind Fälle, in denen sexuelle Handlungen gezeigt werden. Schwierig ist die Lage, wenn keine Übergriffe zu sehen sind, sondern Jungen oder Mädchen nackt vor der Kamera posieren. Besitz oder Weitergabe solcher „Posing-Bilder“ ist nur strafbar, wenn die unbedeckten Genitalien der Kinder „aufreizend zur Schau gestellt“ sind. Auch wer im Internet auf einschlägigen Seiten surft, macht sich nach herrschender Rechtsprechung strafbar. Text: dpa