Die USA haben laut Außenminister John Kerry „klare und schlüssige“ Beweise, dass das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad am 21. August chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Das sagte Kerry am Freitag in Washington. Die US-Geheimdienste hätten alle Fakten ausführlich überprüft und seien sich sicher, was exakt passiert sei. Die Ergebnisse der Untersuchung der Vereinten Nationen würden keine zusätzlich nötigen Beweise erbringen.
Bei dem Angriff seien 1429 Menschen getötet worden, darunter mindestens 426 Kinder, sagte Kerry. Dies sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Frage sei nicht mehr, was bekannt sei, sondern was die Welt nun gemeinschaftlich dagegen unternehmen wolle. Die USA würden entsprechend reagieren.
Wegen der „garantierten russischen Blockadepolitik“ im UN-Sicherheitsrat werde die US-Regierung weiter mit ihren Verbündeten und dem Kongress über das Vorgehen in Syrien beraten. „Wir werden unsere eigenen Entscheidungen zu den von uns gewählten Zeiten anhand unserer eigenen Werte treffen“, stellte Kerry klar.
Glaubwürdigkeitsproblem
Gleichzeitig veröffentlichte das Weiße Haus einen Bericht zu den Geschehnissen: „Die US-Regierung stellt fest, dass die syrische Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Giftgasangriff in den Vororten von Damaskus ausgeführt hat“, heißt es darin. Es sei „äußerst unwahrscheinlich“, dass die Opposition für die Angriffe verantwortlich sei.
Doch nach lautstarken Kriegsdrohungen gegen Assad bekommt US-Präsident Barack Obama inzwischen von überall Gegenwind. Geradezu trotzig reagierte das Weiße Haus am Freitag auf das Nein im britischen Parlament zu einem Militärschlag in Syrien. „Wir haben das Resultat der Abstimmung gesehen“, konstatierte kühl die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden – um sofort nachzulegen, dass sich die USA davon nicht beeinflussen ließen. Nun könnte Obama sogar die größte Blamage seiner Präsidentschaft drohen.
Ein Jahr nachdem er die „rote Linie“ bei einem Chemiewaffeneinsatz des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad gezogen hat, will er nun „internationale Konsequenzen“ folgen lassen. Seit einer Woche lässt er die Kriegstrommeln tönen, von Raketenschlägen ist die Rede. Doch immer mehr stellt sich heraus, dass er die Rechnung ohne seine Alliierten gemacht hat.
Die Briten sind abgesprungen, die Franzosen brauchen Zeit, Deutschland will erstmal nicht, im UN-Sicherheitsrat gibt es kein Vorbeikommen an den Russen und Chinesen. Zudem ist nach dem Abschluss der Syrien-Mission der UN-Chemiewaffenexperten noch unklar, wann ein Untersuchungsbericht veröffentlicht werden kann. „Es gibt da keinen Zeitplan“, sagte ein UN-Sprecher am Freitag in New York. „Es gibt technische Beschränkungen, wie schnell die Proben in den Laboren untersucht werden können.“ Alle gesammelten Informationen und Proben müssten zunächst vollständig analysiert werden, bevor ein Bericht an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon übergeben werden könne.
„Es geht hier, und das wird immer deutlicher, um ein Glaubwürdigkeitsproblem, das Obama hat. Wenn er nicht handelt, steht er vor der ganzen Welt als Duckmäuser da“, sagt Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Was sich Obama ohne Not mit der „roten Linie“ eingebrockt hat, könnte als seine größte außenpolitische Dummheit in die Geschichtsbücher eingehen. Er würde nun aus Scham Raketen abfeuern müssen, beklagt der einflussreiche konservative Kolumnist Charles Krauthammer. „Ein Präsident schickt seine Soldaten nicht in einen Krieg, für den er keinen Enthusiasmus verspürt.“
Doch auch daheim erhält Obama steifen Gegenwind. Nach einer am Freitag vom TV-Sender NBC veröffentlichten Umfrage sind 50 Prozent der Amerikaner gegen einen größeren Militäreinsatz. Die Syrien-Krise hat bereits jetzt kräftig an den Zustimmungswerten des Präsidenten gekratzt. Nur noch 41 Prozent der Amerikaner stimmen seiner Außenpolitik zu. Vor einem Monat waren es noch 46 Prozent. Gravierend ist, dass 79 Prozent der Befragten eine Zustimmung durch den Kongress zur Bedingung für einen Militäreinsatz machen. Die wäre aber alles andere als sicher: „Es hätte keine ,rote Linie' gezogen werden sollen, ohne vorher einen strategischen Plan aufzustellen und unsere Ressourcen einzuschätzen“, sagte der ranghöchste Republikaner im Verteidigungsausschuss des Senates, Jim Inhofe.