Eigentlich sollte Barack Obama Wahlkampf machen: Der Kalender des US-Präsidenten sieht Auftritte in Neuengland vor, zwei Tage in vier Bundesstaaten. Aus dem Programm in New Jersey und Connecticut wird schon mal nichts: Am Mittwochabend beruft der Präsident einen Krisengipfel zum Thema Ebola ein, sein Pressesprecher spricht von einer „ziemlich dringlichen Situation“. Seit bekannt wurde, dass im texanischen Dallas eine zweite Pflegekraft an dem Virus erkrankt ist, reißen die schlechten Nachrichten nicht ab. Die Sicherheitsvorkehrungen im Texas Health Presbyterian Hospital waren weit schlampiger als zunächst berichtet; die neue Patientin durfte trotz erhöhter Temperatur am Tag vor ihrer Diagnose noch fliegen.
Im Cabinet Room des Weißen Hauses drängen sich die obersten Sicherheits- und Gesundheitsberater des Präsidenten, Obama wendet sich über die zahlreichen Pressekameras direkt an sein Volk: „In den vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass die Menschen in diesem Land nicht viel Erfahrung in diesem Bereich haben“, sagt er. „Das gilt auch für viele nicht spezialisierte Krankenhäuser und Kliniken.“
Stunden zuvor ist mit der 29-jährigen Amber V. eine zweite Pflegekraft in Dallas mit Ebola diagnostiziert worden. Sie hatte wie ihre ebenfalls erkrankte Kollegin Nina P. einen Liberianer versorgt, der im Texas Health Presbyterian Hospital behandelt worden war; er ist vergangene Woche gestorben. Der 42-jährige Thomas Eric Duncan war nach einer Fehldiagnose zunächst nach Hause geschickt worden. Auch nach dem korrekten Befund bei seiner zweiten Visite scheint es zu haarsträubenden Fehlern gekommen zu sein: „Es war chaotisch“, erzählte die Krankenschwester Briana Aguirre dem Sender NBC. Duncan sei nach seiner Aufnahme nicht isoliert, sondern zusammen mit anderen Patienten versorgt worden. Wissen um das korrekte Vorgehen sei in der Klinik nicht auf Anhieb verfügbar gewesen.
Auch eine Laborprobe von Duncan sei unsachgemäß behandelt worden. Eine Freundin von Nina P. sagte dem Sender CNN, die Krankenschwester habe sehr wohl einen kompletten Schutzanzug getragen. Allerdings hat die Gewerkschaft National Nurses Union Fotos veröffentlicht, auf denen offene Stellen im Nacken- und Oberkörperbereich zu erkennen sind. „Diese Pfleger sind nicht gut vorbereitet“, kritisierte die Arbeitnehmervertretung. Der Gewerkschaft zufolge versorgten dieselben Betreuer, die sich um Duncan kümmerten, weiterhin auch andere Patienten. Insgesamt könnten 76 Pflegekräfte mit Duncan in Kontakt gekommen sein.
Die nationale Gesundheitsbehörde Centers of Disease Control and Prevention (CDC) ist in den einzelnen Bundesstaaten nur eingeschränkt weisungsbefugt, sieht sich aber ebenfalls in der Kritik. Mit einer schnelleren Präsenz vor Ort hätten die neuen Fälle vielleicht vermieden werden können, räumte CDC-Direktor Tom Frieden ein. Amber V. hatte obendrein bei sich eine erhöhte Temperatur festgestellt und diese auch gemeldet. Weil der Wert aber unter dem CDC-Richtwert lag, durfte sie am Tag vor ihrer Diagnose einen Linienflug von Cleveland (Ohio) nach Dallas nutzen. „Sie hätte nicht an Bord dieses Flugzeugs sein sollen“, sagte Frieden dazu.
In Washington mehren sich Rufe nach drastischen Maßnahmen: „Die Situation mit Ebola beginnt, außer Kontrolle zu geraten“, warnte der republikanische Senator Tom Marino aus Pennsylvania; er fordert Friedens Rücktritt. Auch der Ruf nach Reisebeschränkungen von und nach Westafrika wird lauter. „Unsere größte Gefahr ist Hybris“, sagte die Infektionsspezialistin Laurie Garrett vom Council of Foreign Relations der PBS Newshour. „Wenn man vergleicht, wie schnell das arme Vietnam 2003 SARS in den Griff bekam, und wie lang Toronto dafür gebraucht hat – das zeigt, dass mit Technologie oft eine gewisse Arroganz einhergeht.“
Die Tatsache, dass sich nun schon zum zweiten Mal Fachpersonal mit der schwer übertragbaren Krankheit infiziert hat, nährt im Land Zweifel an den grundsätzlichen wissenschaftlichen Befunden und den aus ihnen abgeleiteten Verfahrensregeln. Dieser Gefahr will das Weiße Haus unbedingt begegnen. Wenn die Vorschriften korrekt umgesetzt würden, wirkten sie auch, betont Obama. Er selbst habe Pflegern von Ebola-Patienten die Hand gegeben, sie umarmt und geküsst.
In Washington verspricht der Präsident, die Vorgänge in Texas „weitaus aggressiver“ zu untersuchen als bisher. Die Gesundheitsbehörde CDC soll künftig bei Verdachtsfällen im gesamten Land sofort ein hochkarätiges Spezialistenteam entsenden. Die Erkenntnisse sollen Krankenhäusern aktuell zur Verfügung gestellt werden. Obama erwähnt auch die Flughafenkontrollen; bei weiteren Verdachtsfällen sei dort ein sachgemäßer Ablauf gesichert. Spezialisten fordern weitergehende Schritte: Die Einrichtung von Ebola-Zentren etwa, in denen Patienten professionell behandelt werden könnten.